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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Wirkungen der Polizeiaufsicht

Martin G,, der am 22. April im Preungesheim entlassen wurde, aber Stadt¬
verweis auf die Dauer von fünf Jahren erhalten hat. Die Leute sagten zur
Frau K., weil ihr Sohn von B. (einem Vororte Frankfurts) gebürtig sei,
könnte er sich in B. aufhalten. Er ist Samstag den 22. April aus dem Ge¬
fängnis entlassen worden und hat Montag den 24. April bei W. (Näh¬
maschinenfabrik) zu arbeiten angefangen, wo er bis am letzten Mittwoch von
der Polizei abgeführt wurde, nun denken Sie sich selbst, lieber Herr Pfarrer,
ist das nicht einen Menschen ins Unglück mit Peitschen gejagt. An seinem
ganzen Unglück ist nur sein Stiefvater schuld, und jetzt ist Frau K. von
diesem Manne, der sein eignes Kind nicht sehen kann, viel weniger seinen
Stiefsohn, schon ein Jahr getrennt und leben einig und zufrieden zusammen.
Ein Beamter hat Frau K. aufmerksam gemacht, der Stadtverweis könnte ihm
abgenommen werden. Lieber Herr Pfarrer, er ist wirklich ordentlich und trinkt
kein Glas Bier die ganze Woche. Seit am Mittwoch ist er von der Polizei
abgeführt, und überall, wo wir uns erkundigt haben, werden wir abgewiesen,
wir haben keine Ahnung, wo er ist, und wann er wiederkommt. Deshalb,
lieber Herr Pfarrer, wende ich mich an Sie und denke, daß Sie mir helfen,
wenn es in Ihren Kräften steht . . . schreiben Sie mir, wo ich mich hinwende,
daß er seinen Stadtverweis abgenommen bekommt, und wie lange er jetzt
Strafe hat, er ist deshalb abgeführt worden, weil er bei mir in B. wohnt."

Aus diesem Briefe ersieht man deutlich, wie schädlich schablonenhaft ausge¬
führte administrative Maßregeln wirken können. Ist ein ehrlicher Wille zur
Arbeit und zur Rückkehr in die bürgerliche Rechtsordnung da -- ich weiß
wohl, daß dieser oft nur ein Scheinmanöver ist --, dann muß die Polizc
einen solchen Menschen gewähren lassen. Im Auge ist er zu behalten, aber
dies darf nicht auf lappige, sergeantenhafte Weise durch Nachfragen in den
Fabrikräumen, in kaufmännischen Comptoiren, bei Hausleuten usw. geschehen.
So war es einem akademisch gebildeten ehemaligen Beamten, der ein Opfer einer
sinnlichen Leidenschaft geworden war und diese seine Leidenschaft mit Verlust
seines Amts und durch eine langjährige Gefängnisstrafe gebüßt hatte, nach
wiedererlangter Freiheit gelungen, auf dem Comptoir einer Fabrik eine Ver¬
trauensstellung zu finden. Seine neue Stellung, seine Wohnung ist polizeilich
gemeldet, seine bürgerlichen Verhältnisse sind wieder korrekt. Nach mehr als
Jahresfrist betritt ein Schutzmann das Comptoir und erkundigt sich nach diesem
Herrn H., ohne den Grund seiner polizeilichen Erkundigung angeben zu können.
Vierzehn Tage darauf wiederholt sich dasselbe Manöver. Das ist dem Manne,
der gar nicht unter Polizeiaufsicht steht, dem übrigen Personal gegenüber im
höchsten Grade peinlich. Als dieses Experiment dann vierzehn Tage später
zum drittenmale mit ihm gemacht wird, stellt er irgend ein Organ des be¬
treffenden Polizeireviers zur Rede und erhält die Auskunft, man habe geglaubt,
es handle sich nur um einen Arbeiter, seine Adresse werde gesucht, um Ge-


Grenzboten III 1899 S7
Wirkungen der Polizeiaufsicht

Martin G,, der am 22. April im Preungesheim entlassen wurde, aber Stadt¬
verweis auf die Dauer von fünf Jahren erhalten hat. Die Leute sagten zur
Frau K., weil ihr Sohn von B. (einem Vororte Frankfurts) gebürtig sei,
könnte er sich in B. aufhalten. Er ist Samstag den 22. April aus dem Ge¬
fängnis entlassen worden und hat Montag den 24. April bei W. (Näh¬
maschinenfabrik) zu arbeiten angefangen, wo er bis am letzten Mittwoch von
der Polizei abgeführt wurde, nun denken Sie sich selbst, lieber Herr Pfarrer,
ist das nicht einen Menschen ins Unglück mit Peitschen gejagt. An seinem
ganzen Unglück ist nur sein Stiefvater schuld, und jetzt ist Frau K. von
diesem Manne, der sein eignes Kind nicht sehen kann, viel weniger seinen
Stiefsohn, schon ein Jahr getrennt und leben einig und zufrieden zusammen.
Ein Beamter hat Frau K. aufmerksam gemacht, der Stadtverweis könnte ihm
abgenommen werden. Lieber Herr Pfarrer, er ist wirklich ordentlich und trinkt
kein Glas Bier die ganze Woche. Seit am Mittwoch ist er von der Polizei
abgeführt, und überall, wo wir uns erkundigt haben, werden wir abgewiesen,
wir haben keine Ahnung, wo er ist, und wann er wiederkommt. Deshalb,
lieber Herr Pfarrer, wende ich mich an Sie und denke, daß Sie mir helfen,
wenn es in Ihren Kräften steht . . . schreiben Sie mir, wo ich mich hinwende,
daß er seinen Stadtverweis abgenommen bekommt, und wie lange er jetzt
Strafe hat, er ist deshalb abgeführt worden, weil er bei mir in B. wohnt."

Aus diesem Briefe ersieht man deutlich, wie schädlich schablonenhaft ausge¬
führte administrative Maßregeln wirken können. Ist ein ehrlicher Wille zur
Arbeit und zur Rückkehr in die bürgerliche Rechtsordnung da — ich weiß
wohl, daß dieser oft nur ein Scheinmanöver ist —, dann muß die Polizc
einen solchen Menschen gewähren lassen. Im Auge ist er zu behalten, aber
dies darf nicht auf lappige, sergeantenhafte Weise durch Nachfragen in den
Fabrikräumen, in kaufmännischen Comptoiren, bei Hausleuten usw. geschehen.
So war es einem akademisch gebildeten ehemaligen Beamten, der ein Opfer einer
sinnlichen Leidenschaft geworden war und diese seine Leidenschaft mit Verlust
seines Amts und durch eine langjährige Gefängnisstrafe gebüßt hatte, nach
wiedererlangter Freiheit gelungen, auf dem Comptoir einer Fabrik eine Ver¬
trauensstellung zu finden. Seine neue Stellung, seine Wohnung ist polizeilich
gemeldet, seine bürgerlichen Verhältnisse sind wieder korrekt. Nach mehr als
Jahresfrist betritt ein Schutzmann das Comptoir und erkundigt sich nach diesem
Herrn H., ohne den Grund seiner polizeilichen Erkundigung angeben zu können.
Vierzehn Tage darauf wiederholt sich dasselbe Manöver. Das ist dem Manne,
der gar nicht unter Polizeiaufsicht steht, dem übrigen Personal gegenüber im
höchsten Grade peinlich. Als dieses Experiment dann vierzehn Tage später
zum drittenmale mit ihm gemacht wird, stellt er irgend ein Organ des be¬
treffenden Polizeireviers zur Rede und erhält die Auskunft, man habe geglaubt,
es handle sich nur um einen Arbeiter, seine Adresse werde gesucht, um Ge-


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[0457] Wirkungen der Polizeiaufsicht Martin G,, der am 22. April im Preungesheim entlassen wurde, aber Stadt¬ verweis auf die Dauer von fünf Jahren erhalten hat. Die Leute sagten zur Frau K., weil ihr Sohn von B. (einem Vororte Frankfurts) gebürtig sei, könnte er sich in B. aufhalten. Er ist Samstag den 22. April aus dem Ge¬ fängnis entlassen worden und hat Montag den 24. April bei W. (Näh¬ maschinenfabrik) zu arbeiten angefangen, wo er bis am letzten Mittwoch von der Polizei abgeführt wurde, nun denken Sie sich selbst, lieber Herr Pfarrer, ist das nicht einen Menschen ins Unglück mit Peitschen gejagt. An seinem ganzen Unglück ist nur sein Stiefvater schuld, und jetzt ist Frau K. von diesem Manne, der sein eignes Kind nicht sehen kann, viel weniger seinen Stiefsohn, schon ein Jahr getrennt und leben einig und zufrieden zusammen. Ein Beamter hat Frau K. aufmerksam gemacht, der Stadtverweis könnte ihm abgenommen werden. Lieber Herr Pfarrer, er ist wirklich ordentlich und trinkt kein Glas Bier die ganze Woche. Seit am Mittwoch ist er von der Polizei abgeführt, und überall, wo wir uns erkundigt haben, werden wir abgewiesen, wir haben keine Ahnung, wo er ist, und wann er wiederkommt. Deshalb, lieber Herr Pfarrer, wende ich mich an Sie und denke, daß Sie mir helfen, wenn es in Ihren Kräften steht . . . schreiben Sie mir, wo ich mich hinwende, daß er seinen Stadtverweis abgenommen bekommt, und wie lange er jetzt Strafe hat, er ist deshalb abgeführt worden, weil er bei mir in B. wohnt." Aus diesem Briefe ersieht man deutlich, wie schädlich schablonenhaft ausge¬ führte administrative Maßregeln wirken können. Ist ein ehrlicher Wille zur Arbeit und zur Rückkehr in die bürgerliche Rechtsordnung da — ich weiß wohl, daß dieser oft nur ein Scheinmanöver ist —, dann muß die Polizc einen solchen Menschen gewähren lassen. Im Auge ist er zu behalten, aber dies darf nicht auf lappige, sergeantenhafte Weise durch Nachfragen in den Fabrikräumen, in kaufmännischen Comptoiren, bei Hausleuten usw. geschehen. So war es einem akademisch gebildeten ehemaligen Beamten, der ein Opfer einer sinnlichen Leidenschaft geworden war und diese seine Leidenschaft mit Verlust seines Amts und durch eine langjährige Gefängnisstrafe gebüßt hatte, nach wiedererlangter Freiheit gelungen, auf dem Comptoir einer Fabrik eine Ver¬ trauensstellung zu finden. Seine neue Stellung, seine Wohnung ist polizeilich gemeldet, seine bürgerlichen Verhältnisse sind wieder korrekt. Nach mehr als Jahresfrist betritt ein Schutzmann das Comptoir und erkundigt sich nach diesem Herrn H., ohne den Grund seiner polizeilichen Erkundigung angeben zu können. Vierzehn Tage darauf wiederholt sich dasselbe Manöver. Das ist dem Manne, der gar nicht unter Polizeiaufsicht steht, dem übrigen Personal gegenüber im höchsten Grade peinlich. Als dieses Experiment dann vierzehn Tage später zum drittenmale mit ihm gemacht wird, stellt er irgend ein Organ des be¬ treffenden Polizeireviers zur Rede und erhält die Auskunft, man habe geglaubt, es handle sich nur um einen Arbeiter, seine Adresse werde gesucht, um Ge- Grenzboten III 1899 S7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/457>, abgerufen am 15.01.2025.