Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Die großen Berliner Kunstausstellungen Überlieferung, teils dem nationalen Temperament entsprossene Energie erscheint Die Berliner Ausstellung hat ein figuren- und umfangreiches Bild dieser Wie schlecht ist es dagegen auf dem Gebiete der Malerei großen Stils So müssen wir auch in diesem Jahre die alte Klage wiederholen, daß an Die großen Berliner Kunstausstellungen Überlieferung, teils dem nationalen Temperament entsprossene Energie erscheint Die Berliner Ausstellung hat ein figuren- und umfangreiches Bild dieser Wie schlecht ist es dagegen auf dem Gebiete der Malerei großen Stils So müssen wir auch in diesem Jahre die alte Klage wiederholen, daß an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231213"/> <fw type="header" place="top"> Die großen Berliner Kunstausstellungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> Überlieferung, teils dem nationalen Temperament entsprossene Energie erscheint<lb/> uns um so rühmlicher, wenn wir daneben sehen, wie sich die deutschen Maler<lb/> durch eine litterarische Agitation, die immer nur die Verirrungen, nicht die<lb/> nationalen Tugenden der ausländischen, insbesondre der französischen Kunst<lb/> Preise und als nachahmungswert hinstellt, fast völlig von der geschichtlichen<lb/> Malerei großen Stils haben abdrängen lassen, die heute nur noch durch Staats¬<lb/> aufträge und durch Bestellungen fürstlicher Personen ein kümmerliches Dasein<lb/> fristet.</p><lb/> <p xml:id="ID_100"> Die Berliner Ausstellung hat ein figuren- und umfangreiches Bild dieser<lb/> Gattung französischer Großmalerei von Georges Rochegrosse aufzuweisen, der<lb/> einer ihrer begabtesten und energievollsten Vertreter ist. Diese „Jagd nach<lb/> dem Glück," in der man jene oben erwähnten Eigenschaften, frostiges Pathos<lb/> und die Freude an dem mit Wollust gemischten Grausen mit kühler Virtuosität<lb/> der malerischen Darstellung und großer Verwegenheit im Aufbau der einen Hügel<lb/> hinaufkletternden, dem in den Wolken verschwimmenden Phantom der Glücks¬<lb/> göttin nachjagenden und mit einander um den Preis ringenden Figuren ver¬<lb/> bunden sieht, ist zugleich bezeichnend sür die entschlossene, von philosophischen<lb/> Grübeleien freie Art, mit der die Franzosen Realistisches und sinnbildliches,<lb/> leibhaftige Gestalten aus dem modernen Leben mit allegorischen schemenhaften<lb/> Wesen in unmittelbaren Zusammenhang bringen. Jeder der beiden Pariser<lb/> „Salons" führt den Franzosen jährlich Hunderte solcher Bilder vor, und in<lb/> ihnen, nicht in den schon längst den Tagesinteressen entrückten Streitigkeiten<lb/> zwischen Hell- und Duukelmalern, zwischen Symbolisten und Naturalisten,<lb/> zwischen Impressionisten und Punktierern sehen die Franzosen die vollkommenste<lb/> Äußerung nationalen Kunstgeistes.</p><lb/> <p xml:id="ID_101"> Wie schlecht ist es dagegen auf dem Gebiete der Malerei großen Stils<lb/> und der in Frankreich nicht minder eifrig gepflegten Geschichtsmalerei in Deutsch¬<lb/> land bestellt! Nicht daß es uns an hervorragenden Talenten dazu fehlte!<lb/> Aber während die Franzosen in dem Streit um neue Ausdrucksmittel in der<lb/> Kunst ihre höchsten Ziele und namentlich den nationalen Zug ihrer Kunst nicht<lb/> aus den Augen verloren haben, haben sich die Deutschen mit der unserm<lb/> Stamme eigentümlichen pedantischen Gründlichkeit und Hartnäckigkeit in diesen<lb/> Streit so fest verbissen, daß sie für nichts andres mehr Sinn und Verstand<lb/> zu haben scheinen und nicht einmal merken, daß die Künstler andrer Nationen<lb/> über diese nichtigen Streitigkeiten, die niemals das wahre Wesen der Kunst<lb/> betroffen haben, längst hinweggegangen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_102" next="#ID_103"> So müssen wir auch in diesem Jahre die alte Klage wiederholen, daß an<lb/> Bildern großen Umfangs und bedeutsamen Inhalts ein Mangel herrscht, der<lb/> um so tiefer empfunden wird, je mehr solche Bilder für unsre großen Kunst¬<lb/> ausstellungen, wie sie nun einmal eingerichtet sind und auf absehbare Zeit<lb/> hinaus in dieser Einrichtung auch weiter besteh» werden, unentbehrlich sind.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
Die großen Berliner Kunstausstellungen
Überlieferung, teils dem nationalen Temperament entsprossene Energie erscheint
uns um so rühmlicher, wenn wir daneben sehen, wie sich die deutschen Maler
durch eine litterarische Agitation, die immer nur die Verirrungen, nicht die
nationalen Tugenden der ausländischen, insbesondre der französischen Kunst
Preise und als nachahmungswert hinstellt, fast völlig von der geschichtlichen
Malerei großen Stils haben abdrängen lassen, die heute nur noch durch Staats¬
aufträge und durch Bestellungen fürstlicher Personen ein kümmerliches Dasein
fristet.
Die Berliner Ausstellung hat ein figuren- und umfangreiches Bild dieser
Gattung französischer Großmalerei von Georges Rochegrosse aufzuweisen, der
einer ihrer begabtesten und energievollsten Vertreter ist. Diese „Jagd nach
dem Glück," in der man jene oben erwähnten Eigenschaften, frostiges Pathos
und die Freude an dem mit Wollust gemischten Grausen mit kühler Virtuosität
der malerischen Darstellung und großer Verwegenheit im Aufbau der einen Hügel
hinaufkletternden, dem in den Wolken verschwimmenden Phantom der Glücks¬
göttin nachjagenden und mit einander um den Preis ringenden Figuren ver¬
bunden sieht, ist zugleich bezeichnend sür die entschlossene, von philosophischen
Grübeleien freie Art, mit der die Franzosen Realistisches und sinnbildliches,
leibhaftige Gestalten aus dem modernen Leben mit allegorischen schemenhaften
Wesen in unmittelbaren Zusammenhang bringen. Jeder der beiden Pariser
„Salons" führt den Franzosen jährlich Hunderte solcher Bilder vor, und in
ihnen, nicht in den schon längst den Tagesinteressen entrückten Streitigkeiten
zwischen Hell- und Duukelmalern, zwischen Symbolisten und Naturalisten,
zwischen Impressionisten und Punktierern sehen die Franzosen die vollkommenste
Äußerung nationalen Kunstgeistes.
Wie schlecht ist es dagegen auf dem Gebiete der Malerei großen Stils
und der in Frankreich nicht minder eifrig gepflegten Geschichtsmalerei in Deutsch¬
land bestellt! Nicht daß es uns an hervorragenden Talenten dazu fehlte!
Aber während die Franzosen in dem Streit um neue Ausdrucksmittel in der
Kunst ihre höchsten Ziele und namentlich den nationalen Zug ihrer Kunst nicht
aus den Augen verloren haben, haben sich die Deutschen mit der unserm
Stamme eigentümlichen pedantischen Gründlichkeit und Hartnäckigkeit in diesen
Streit so fest verbissen, daß sie für nichts andres mehr Sinn und Verstand
zu haben scheinen und nicht einmal merken, daß die Künstler andrer Nationen
über diese nichtigen Streitigkeiten, die niemals das wahre Wesen der Kunst
betroffen haben, längst hinweggegangen sind.
So müssen wir auch in diesem Jahre die alte Klage wiederholen, daß an
Bildern großen Umfangs und bedeutsamen Inhalts ein Mangel herrscht, der
um so tiefer empfunden wird, je mehr solche Bilder für unsre großen Kunst¬
ausstellungen, wie sie nun einmal eingerichtet sind und auf absehbare Zeit
hinaus in dieser Einrichtung auch weiter besteh» werden, unentbehrlich sind.
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