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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Ainderlieder und Rinderspiele

Die Erwählung eines Weibes und die Eheschließung ist der Inhalt des leichtver¬
ständlichen Spieles, und beigemischt erscheint eine spöttische Andeutung über häus¬
lichen Zwist in einer solchen bäuerlichen Ehe. Eine etwas veränderte Fassung stellt
die allmähliche Ausweitung dieses ländlichen Hausstandes dar. Sie lautet:

1. Der Bauer, der ging ins Holz,
Der Bauer, der ging ins Holz,
Der Bauer, der ging ins KirmeSholz,
Si sa Kirmesholz,
Der Bauer, der ging ins Holz.
2. Der Bauer nahm sich ein Weib, usw.
3. Das Weib nahm sich ein Kind, usw.
4 u. ff. Dies eine Magd, sie einen Knecht, der eine Kuh. usw.

Hier sitzt der Bauer ans einem Fußschemel, und alle aus dem umschreitenden Kreise
hineingerufnen setzen sich über einander auf jenen. Der Schluß ist, daß man ihm
seinen Sitz unten wegzieht, sodaß um alles schreiend, kichernd, quieksend durch ein¬
ander purzelt.

Hier hat also der Scherz die Oberhand. In dieser oder jener Gestalt oder
in beiden zuweilen verschmolzen ist Spiel und Lied bezeugt, natürlich mit viel
kleinen Abweichungen, von Mitteldeutschland bis ins Preußenland. ^) Dagegen ist
in Münster in Westfalen 2) der harmlose Scherz umgeschlagen in den geringschätzigen
Spott des Städters über den Bauer. Merkwürdig nur und vorläufig unver¬
ständlich, daß es dort mit der altertümlichen Feier eines volkstümlichen Festes ver¬
knüpft ist.

1. Guden Dag, Buer, in de Stadt!
Guden Dag, Buer, in de Kiarmißstadt,
Heissa vivat Kiarmißstadt. (Der Bauer im Kreise verneigt sich.)
2. O Buer, wat kost ju Heu?
O Buer, wat kost ju Kiärmißheu,
Heissa vivat Kiärmißheu,
O Buer, wat kost ju Heu?
'
3. Min Heu, dat tost n Kron; usw.
4. O Buer, dat is viel te beler; usw.

Nun mit gewaltsamen Übergänge:

ö. O Buer, nu sont ti ne Frau.
6. Deel is mine leiwe Frau.
7. O Buer, wat ne schöne Frau.
8. O Buer, nu sont din Kind.
9. Dlle is min leiwe Kind.
10. O Buer, wat 'n schonet Kind.
11. O Buer, nu sont din Knecht --dann Magd.
16. Nu giese den Buer en Schuv,
Nu giese den Buer en Kiärmißschup!

Dann dringen alle auf ihn ein, und er entflieht.




') Die beiden oben gegebnen Fassungen sind die in meiner altenburgischen Heimat ttb-
lichen. Andre bei Dünger 348. Fiedler (Volksreime und Volkslieder in Anhalt-Dessau. Dessau,
1847) Ur. 89. Müller 203, 19. Frischbier 660. Friedrich Drosiehn (Deutsche Kinderreime.
Nach seinem Tode herausgegeben von Bolle und Polle. Leipzig, Teubner, 1897) Ur. 291.
Erk, Volkslieder it, 29. Liederlexikon 602. Gewiß nun auch bei K. Diihnhardt: Volkstümliches
aus dem Königreich Sachsen. I und II. Leipzig, Teubner, 1897/98, waS mir jetzt nicht zur
Hand ist.
''
") Josef Weingärtner a. n. O.
Deutsche Ainderlieder und Rinderspiele

Die Erwählung eines Weibes und die Eheschließung ist der Inhalt des leichtver¬
ständlichen Spieles, und beigemischt erscheint eine spöttische Andeutung über häus¬
lichen Zwist in einer solchen bäuerlichen Ehe. Eine etwas veränderte Fassung stellt
die allmähliche Ausweitung dieses ländlichen Hausstandes dar. Sie lautet:

1. Der Bauer, der ging ins Holz,
Der Bauer, der ging ins Holz,
Der Bauer, der ging ins KirmeSholz,
Si sa Kirmesholz,
Der Bauer, der ging ins Holz.
2. Der Bauer nahm sich ein Weib, usw.
3. Das Weib nahm sich ein Kind, usw.
4 u. ff. Dies eine Magd, sie einen Knecht, der eine Kuh. usw.

Hier sitzt der Bauer ans einem Fußschemel, und alle aus dem umschreitenden Kreise
hineingerufnen setzen sich über einander auf jenen. Der Schluß ist, daß man ihm
seinen Sitz unten wegzieht, sodaß um alles schreiend, kichernd, quieksend durch ein¬
ander purzelt.

Hier hat also der Scherz die Oberhand. In dieser oder jener Gestalt oder
in beiden zuweilen verschmolzen ist Spiel und Lied bezeugt, natürlich mit viel
kleinen Abweichungen, von Mitteldeutschland bis ins Preußenland. ^) Dagegen ist
in Münster in Westfalen 2) der harmlose Scherz umgeschlagen in den geringschätzigen
Spott des Städters über den Bauer. Merkwürdig nur und vorläufig unver¬
ständlich, daß es dort mit der altertümlichen Feier eines volkstümlichen Festes ver¬
knüpft ist.

1. Guden Dag, Buer, in de Stadt!
Guden Dag, Buer, in de Kiarmißstadt,
Heissa vivat Kiarmißstadt. (Der Bauer im Kreise verneigt sich.)
2. O Buer, wat kost ju Heu?
O Buer, wat kost ju Kiärmißheu,
Heissa vivat Kiärmißheu,
O Buer, wat kost ju Heu?
'
3. Min Heu, dat tost n Kron; usw.
4. O Buer, dat is viel te beler; usw.

Nun mit gewaltsamen Übergänge:

ö. O Buer, nu sont ti ne Frau.
6. Deel is mine leiwe Frau.
7. O Buer, wat ne schöne Frau.
8. O Buer, nu sont din Kind.
9. Dlle is min leiwe Kind.
10. O Buer, wat 'n schonet Kind.
11. O Buer, nu sont din Knecht —dann Magd.
16. Nu giese den Buer en Schuv,
Nu giese den Buer en Kiärmißschup!

Dann dringen alle auf ihn ein, und er entflieht.




') Die beiden oben gegebnen Fassungen sind die in meiner altenburgischen Heimat ttb-
lichen. Andre bei Dünger 348. Fiedler (Volksreime und Volkslieder in Anhalt-Dessau. Dessau,
1847) Ur. 89. Müller 203, 19. Frischbier 660. Friedrich Drosiehn (Deutsche Kinderreime.
Nach seinem Tode herausgegeben von Bolle und Polle. Leipzig, Teubner, 1897) Ur. 291.
Erk, Volkslieder it, 29. Liederlexikon 602. Gewiß nun auch bei K. Diihnhardt: Volkstümliches
aus dem Königreich Sachsen. I und II. Leipzig, Teubner, 1897/98, waS mir jetzt nicht zur
Hand ist.
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") Josef Weingärtner a. n. O.
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[0378] Deutsche Ainderlieder und Rinderspiele Die Erwählung eines Weibes und die Eheschließung ist der Inhalt des leichtver¬ ständlichen Spieles, und beigemischt erscheint eine spöttische Andeutung über häus¬ lichen Zwist in einer solchen bäuerlichen Ehe. Eine etwas veränderte Fassung stellt die allmähliche Ausweitung dieses ländlichen Hausstandes dar. Sie lautet: 1. Der Bauer, der ging ins Holz, Der Bauer, der ging ins Holz, Der Bauer, der ging ins KirmeSholz, Si sa Kirmesholz, Der Bauer, der ging ins Holz. 2. Der Bauer nahm sich ein Weib, usw. 3. Das Weib nahm sich ein Kind, usw. 4 u. ff. Dies eine Magd, sie einen Knecht, der eine Kuh. usw. Hier sitzt der Bauer ans einem Fußschemel, und alle aus dem umschreitenden Kreise hineingerufnen setzen sich über einander auf jenen. Der Schluß ist, daß man ihm seinen Sitz unten wegzieht, sodaß um alles schreiend, kichernd, quieksend durch ein¬ ander purzelt. Hier hat also der Scherz die Oberhand. In dieser oder jener Gestalt oder in beiden zuweilen verschmolzen ist Spiel und Lied bezeugt, natürlich mit viel kleinen Abweichungen, von Mitteldeutschland bis ins Preußenland. ^) Dagegen ist in Münster in Westfalen 2) der harmlose Scherz umgeschlagen in den geringschätzigen Spott des Städters über den Bauer. Merkwürdig nur und vorläufig unver¬ ständlich, daß es dort mit der altertümlichen Feier eines volkstümlichen Festes ver¬ knüpft ist. 1. Guden Dag, Buer, in de Stadt! Guden Dag, Buer, in de Kiarmißstadt, Heissa vivat Kiarmißstadt. (Der Bauer im Kreise verneigt sich.) 2. O Buer, wat kost ju Heu? O Buer, wat kost ju Kiärmißheu, Heissa vivat Kiärmißheu, O Buer, wat kost ju Heu? ' 3. Min Heu, dat tost n Kron; usw. 4. O Buer, dat is viel te beler; usw. Nun mit gewaltsamen Übergänge: ö. O Buer, nu sont ti ne Frau. 6. Deel is mine leiwe Frau. 7. O Buer, wat ne schöne Frau. 8. O Buer, nu sont din Kind. 9. Dlle is min leiwe Kind. 10. O Buer, wat 'n schonet Kind. 11. O Buer, nu sont din Knecht —dann Magd. 16. Nu giese den Buer en Schuv, Nu giese den Buer en Kiärmißschup! Dann dringen alle auf ihn ein, und er entflieht. ') Die beiden oben gegebnen Fassungen sind die in meiner altenburgischen Heimat ttb- lichen. Andre bei Dünger 348. Fiedler (Volksreime und Volkslieder in Anhalt-Dessau. Dessau, 1847) Ur. 89. Müller 203, 19. Frischbier 660. Friedrich Drosiehn (Deutsche Kinderreime. Nach seinem Tode herausgegeben von Bolle und Polle. Leipzig, Teubner, 1897) Ur. 291. Erk, Volkslieder it, 29. Liederlexikon 602. Gewiß nun auch bei K. Diihnhardt: Volkstümliches aus dem Königreich Sachsen. I und II. Leipzig, Teubner, 1897/98, waS mir jetzt nicht zur Hand ist. '' ") Josef Weingärtner a. n. O.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/378>, abgerufen am 28.01.2025.