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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die großen Berliner Kunstausstellungen

reihen durch Pflanzengruppen, Wandteppiche und andre dekorative Veranstal¬
tungen zu begegnen und ihnen auch die Gelegenheit zu bieten, sich in den mit
den Kunstausstellungen verbundnen Park- und Gartenanlagen zu ergehn und sich
dort an Konzerten zu ergötzen. Nun könnte man dagegen einwenden, daß das
Ziel, die Besucher vor Ermüdung zu bewahren, durch die Ausstellungen der
Sezession in München und jetzt in Berlin auf kürzeren Wege und mit viel
einfachern Mitteln, durch die Beschränkung auf eine möglichst geringe und
dabei möglichst erlesene Anzahl von Kunstwerken, erreicht worden wäre. Gegen
eine Durchführung dieser Beschränkung bei den großen Ausstellungen in
Berlin, München und Dresden sprechen aber so viele triftige und ernsthafte
Gründe, daß die Leiter dieser Ausstellungen eine schwere Verantwortung ans
sich laden würden, wenn sie auch nur einmal den Versuch machen wollten,
eine sogenannte "Eliteausstellnng" zu veranstalten und statt zweitausend nur
etwa vier- oder fünfhundert Kunstwerke vorzuführen.

Viel schwerer als das Unbehagen von ein paar hundert Besuchern, die
nur dem Vergnügen nachlaufen oder ihre Schaulust mit möglichst geringen
körperlichen Beschwerden befriedigen wollen, wiegt der wirtschaftliche Verlust,
den Hunderte von Künstlern erleiden würden, denen durch die nicht aus künst¬
lerischen, sondern zuletzt nur aus räumlichen Gründen erfolgte Ausweisung
ihrer Werke aus den großen Jahresausstellnngen der Hauptkunstmarkt ver¬
schlossen würde. Und wo giebt es eine Jury, die so scharfblickend wäre, daß
es ihr nicht einmal bei der Durchführung der strengsten Grundsätze wider¬
fahren könnte, das Erstlingswerk eines wahren, nur noch nicht völlig ent¬
wickelten Talents zurückzuweisen und damit dessen weitere Entwicklung zu
hemmen oder vielleicht ganz zu ersticken? Und widerspricht es nicht gerade
dem obersten Grundsatze der künstlerischen Freiheit, als deren Hüter sich die
Sezessionisten so eifrig gebärden, wenn man den Strom des künstlerischen
Schaffens durch die Beschränkung der großen Ausstellungen nach Grundsätzen,
die immer nur, bei den Alten wie bei den Jungen, Ausflüsse individueller
Willkür sind, also dnrch gewaltsame Mittel eindämmen wollte?

Die Vertreter der modernen Richtung, die Sezessiouisten und ihr Anhang,
haben die Gewohnheit, die Erbärmlichkeit und die Nichtsnutzigkeit der deutscheu
Kunsteinrichtungen, insbesondre der Kunstausstellungen immer durch den Hin¬
weis auf das Ausland, insbesondre auf Frankreich in ein möglichst grelles
Acht zu stellen. Wie steht es aber jetzt mit den Ausstellungen der Pariser
LoÄvtv clvs Lsiiux-^res, die das Vorbild der deutschen Sezessionen ge¬
wesen ist? Schon ihre erste Ausstellung vor zehn Jahren ging mit mehr als
1300 Nummern bedenklich weit über den Rahmen einer "Eliteausstellung"
hinaus, und die diesjährige führt gar über 2700 Kunstwerke vor, also
wehr als beide Berliner Ausstellungen zusammengenommen. Je mehr also
die sezessionistischen Vereinigungen an Mitgliedern zunehmen, desto mehr


Die großen Berliner Kunstausstellungen

reihen durch Pflanzengruppen, Wandteppiche und andre dekorative Veranstal¬
tungen zu begegnen und ihnen auch die Gelegenheit zu bieten, sich in den mit
den Kunstausstellungen verbundnen Park- und Gartenanlagen zu ergehn und sich
dort an Konzerten zu ergötzen. Nun könnte man dagegen einwenden, daß das
Ziel, die Besucher vor Ermüdung zu bewahren, durch die Ausstellungen der
Sezession in München und jetzt in Berlin auf kürzeren Wege und mit viel
einfachern Mitteln, durch die Beschränkung auf eine möglichst geringe und
dabei möglichst erlesene Anzahl von Kunstwerken, erreicht worden wäre. Gegen
eine Durchführung dieser Beschränkung bei den großen Ausstellungen in
Berlin, München und Dresden sprechen aber so viele triftige und ernsthafte
Gründe, daß die Leiter dieser Ausstellungen eine schwere Verantwortung ans
sich laden würden, wenn sie auch nur einmal den Versuch machen wollten,
eine sogenannte „Eliteausstellnng" zu veranstalten und statt zweitausend nur
etwa vier- oder fünfhundert Kunstwerke vorzuführen.

Viel schwerer als das Unbehagen von ein paar hundert Besuchern, die
nur dem Vergnügen nachlaufen oder ihre Schaulust mit möglichst geringen
körperlichen Beschwerden befriedigen wollen, wiegt der wirtschaftliche Verlust,
den Hunderte von Künstlern erleiden würden, denen durch die nicht aus künst¬
lerischen, sondern zuletzt nur aus räumlichen Gründen erfolgte Ausweisung
ihrer Werke aus den großen Jahresausstellnngen der Hauptkunstmarkt ver¬
schlossen würde. Und wo giebt es eine Jury, die so scharfblickend wäre, daß
es ihr nicht einmal bei der Durchführung der strengsten Grundsätze wider¬
fahren könnte, das Erstlingswerk eines wahren, nur noch nicht völlig ent¬
wickelten Talents zurückzuweisen und damit dessen weitere Entwicklung zu
hemmen oder vielleicht ganz zu ersticken? Und widerspricht es nicht gerade
dem obersten Grundsatze der künstlerischen Freiheit, als deren Hüter sich die
Sezessionisten so eifrig gebärden, wenn man den Strom des künstlerischen
Schaffens durch die Beschränkung der großen Ausstellungen nach Grundsätzen,
die immer nur, bei den Alten wie bei den Jungen, Ausflüsse individueller
Willkür sind, also dnrch gewaltsame Mittel eindämmen wollte?

Die Vertreter der modernen Richtung, die Sezessiouisten und ihr Anhang,
haben die Gewohnheit, die Erbärmlichkeit und die Nichtsnutzigkeit der deutscheu
Kunsteinrichtungen, insbesondre der Kunstausstellungen immer durch den Hin¬
weis auf das Ausland, insbesondre auf Frankreich in ein möglichst grelles
Acht zu stellen. Wie steht es aber jetzt mit den Ausstellungen der Pariser
LoÄvtv clvs Lsiiux-^res, die das Vorbild der deutschen Sezessionen ge¬
wesen ist? Schon ihre erste Ausstellung vor zehn Jahren ging mit mehr als
1300 Nummern bedenklich weit über den Rahmen einer „Eliteausstellung"
hinaus, und die diesjährige führt gar über 2700 Kunstwerke vor, also
wehr als beide Berliner Ausstellungen zusammengenommen. Je mehr also
die sezessionistischen Vereinigungen an Mitgliedern zunehmen, desto mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/37>, abgerufen am 15.01.2025.