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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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mals, am 12., 13. und 22. Januar erörterte; auch war er nach jener Kon¬
ferenz sehr verstimmt und reizbar. Die Bezeichnung als "Deutscher Kaiser"
setzte er allerdings bei der Proklamation am 18. Januar durch, aber der Kaiser
verübelte ihm das als eine Eigenmächtigkeit derart, daß er ihn nach der Feier
ignorierte. Mit dieser fast tragischen Szene schließt das Kapitel. Kein Wunder,
daß Bismarck am Abend seiner Umgebung "ermüdet und abgespannt" erschiene)

Das Ergebnis der Untersuchung ist also dies: die Darstellung ist auch
in diesen beiden Kapiteln keineswegs vollständig, sie hat vielmehr große Lücken.
Sie greift im ganzen nur bestimmte Gruppen von Ereignissen heraus und
zwar solche, an denen Bismarck einen starken persönlichen Anteil gehabt hat.
Aber auch darüber hinaus werden sehr wichtige Dinge, bei denen dies der
Fall gewesen ist, und die sogar für das Verständnis des wirklich Erzählten
unentbehrlich sind, weggelassen, offenbar aus taktischen Gründen, zu ganz be¬
stimmten praktischen Zwecken, denn ohne Zweck hat der Historiker Bismarck so
wenig geschrieben wie der Staatsmann gehandelt. Die berichteten Thatsachen
sind in diesen beiden Kapiteln zum größten Teile stichhaltig, in viel höherm
Grade als etwa in den Abschnitten aus der Zeit des Krimkriegs, deren Un-
zuverlässigkeit jüngst Max Lenz in der Deutschen Rundschau überzeugend dar-
gethcin hat; doch fehlt es auch hier nicht an wesentlichen Irrtümern, Ver¬
schiebungen und Färbungen. Am zuverlässigsten und zugleich am anschaulichsten
ist die Darstellung da, wo sie einzelne Szenen vorführt, die sich in ihrer Gegen¬
ständlichkeit fest seinem Gedächtnis eingeprägt und in mehrfacher mündlicher
Wiedergabe schon feste Formen angenommen hatten; dagegen ist sie bei größern
Zusammenhängen oft durch Unsicherheit des Gedächtnisses oder unwillkürliche
Fürbnng aus einer spätern Auffassung heraus oder auch durch die nachwirkende
Erregung des alten Kampfes getrübt. Daß also die Gedanken und Erinne¬
rungen bei aller subjektiven Wahrheit weder eine vollständige noch eine objek¬
tive noch eine unbedingt glaubwürdige Geschichtsdarstellung sind, lehrt jede
eingehendere Betrachtung auch dieser beiden Kapitel und wird jede weitere
Forschung lehren, wie es E, Marcks schon im allgemeinen als einen wesent¬
lichen Charakterzug des Werkes nachdrücklich betont hat.






') Busch II, 38. 42. 69. Abeken 487 (vom 17. Januar abends). Tagebuch des Kron¬
prinzen vom 17. Januar. Über den Zorn des Königs Bismarck bei Busch III, 269 (10. Fe¬
bruar 1889).
-) Busch II, 61.
Grenzboten III 18994S

mals, am 12., 13. und 22. Januar erörterte; auch war er nach jener Kon¬
ferenz sehr verstimmt und reizbar. Die Bezeichnung als „Deutscher Kaiser"
setzte er allerdings bei der Proklamation am 18. Januar durch, aber der Kaiser
verübelte ihm das als eine Eigenmächtigkeit derart, daß er ihn nach der Feier
ignorierte. Mit dieser fast tragischen Szene schließt das Kapitel. Kein Wunder,
daß Bismarck am Abend seiner Umgebung „ermüdet und abgespannt" erschiene)

Das Ergebnis der Untersuchung ist also dies: die Darstellung ist auch
in diesen beiden Kapiteln keineswegs vollständig, sie hat vielmehr große Lücken.
Sie greift im ganzen nur bestimmte Gruppen von Ereignissen heraus und
zwar solche, an denen Bismarck einen starken persönlichen Anteil gehabt hat.
Aber auch darüber hinaus werden sehr wichtige Dinge, bei denen dies der
Fall gewesen ist, und die sogar für das Verständnis des wirklich Erzählten
unentbehrlich sind, weggelassen, offenbar aus taktischen Gründen, zu ganz be¬
stimmten praktischen Zwecken, denn ohne Zweck hat der Historiker Bismarck so
wenig geschrieben wie der Staatsmann gehandelt. Die berichteten Thatsachen
sind in diesen beiden Kapiteln zum größten Teile stichhaltig, in viel höherm
Grade als etwa in den Abschnitten aus der Zeit des Krimkriegs, deren Un-
zuverlässigkeit jüngst Max Lenz in der Deutschen Rundschau überzeugend dar-
gethcin hat; doch fehlt es auch hier nicht an wesentlichen Irrtümern, Ver¬
schiebungen und Färbungen. Am zuverlässigsten und zugleich am anschaulichsten
ist die Darstellung da, wo sie einzelne Szenen vorführt, die sich in ihrer Gegen¬
ständlichkeit fest seinem Gedächtnis eingeprägt und in mehrfacher mündlicher
Wiedergabe schon feste Formen angenommen hatten; dagegen ist sie bei größern
Zusammenhängen oft durch Unsicherheit des Gedächtnisses oder unwillkürliche
Fürbnng aus einer spätern Auffassung heraus oder auch durch die nachwirkende
Erregung des alten Kampfes getrübt. Daß also die Gedanken und Erinne¬
rungen bei aller subjektiven Wahrheit weder eine vollständige noch eine objek¬
tive noch eine unbedingt glaubwürdige Geschichtsdarstellung sind, lehrt jede
eingehendere Betrachtung auch dieser beiden Kapitel und wird jede weitere
Forschung lehren, wie es E, Marcks schon im allgemeinen als einen wesent¬
lichen Charakterzug des Werkes nachdrücklich betont hat.






') Busch II, 38. 42. 69. Abeken 487 (vom 17. Januar abends). Tagebuch des Kron¬
prinzen vom 17. Januar. Über den Zorn des Königs Bismarck bei Busch III, 269 (10. Fe¬
bruar 1889).
-) Busch II, 61.
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[0361] mals, am 12., 13. und 22. Januar erörterte; auch war er nach jener Kon¬ ferenz sehr verstimmt und reizbar. Die Bezeichnung als „Deutscher Kaiser" setzte er allerdings bei der Proklamation am 18. Januar durch, aber der Kaiser verübelte ihm das als eine Eigenmächtigkeit derart, daß er ihn nach der Feier ignorierte. Mit dieser fast tragischen Szene schließt das Kapitel. Kein Wunder, daß Bismarck am Abend seiner Umgebung „ermüdet und abgespannt" erschiene) Das Ergebnis der Untersuchung ist also dies: die Darstellung ist auch in diesen beiden Kapiteln keineswegs vollständig, sie hat vielmehr große Lücken. Sie greift im ganzen nur bestimmte Gruppen von Ereignissen heraus und zwar solche, an denen Bismarck einen starken persönlichen Anteil gehabt hat. Aber auch darüber hinaus werden sehr wichtige Dinge, bei denen dies der Fall gewesen ist, und die sogar für das Verständnis des wirklich Erzählten unentbehrlich sind, weggelassen, offenbar aus taktischen Gründen, zu ganz be¬ stimmten praktischen Zwecken, denn ohne Zweck hat der Historiker Bismarck so wenig geschrieben wie der Staatsmann gehandelt. Die berichteten Thatsachen sind in diesen beiden Kapiteln zum größten Teile stichhaltig, in viel höherm Grade als etwa in den Abschnitten aus der Zeit des Krimkriegs, deren Un- zuverlässigkeit jüngst Max Lenz in der Deutschen Rundschau überzeugend dar- gethcin hat; doch fehlt es auch hier nicht an wesentlichen Irrtümern, Ver¬ schiebungen und Färbungen. Am zuverlässigsten und zugleich am anschaulichsten ist die Darstellung da, wo sie einzelne Szenen vorführt, die sich in ihrer Gegen¬ ständlichkeit fest seinem Gedächtnis eingeprägt und in mehrfacher mündlicher Wiedergabe schon feste Formen angenommen hatten; dagegen ist sie bei größern Zusammenhängen oft durch Unsicherheit des Gedächtnisses oder unwillkürliche Fürbnng aus einer spätern Auffassung heraus oder auch durch die nachwirkende Erregung des alten Kampfes getrübt. Daß also die Gedanken und Erinne¬ rungen bei aller subjektiven Wahrheit weder eine vollständige noch eine objek¬ tive noch eine unbedingt glaubwürdige Geschichtsdarstellung sind, lehrt jede eingehendere Betrachtung auch dieser beiden Kapitel und wird jede weitere Forschung lehren, wie es E, Marcks schon im allgemeinen als einen wesent¬ lichen Charakterzug des Werkes nachdrücklich betont hat. ') Busch II, 38. 42. 69. Abeken 487 (vom 17. Januar abends). Tagebuch des Kron¬ prinzen vom 17. Januar. Über den Zorn des Königs Bismarck bei Busch III, 269 (10. Fe¬ bruar 1889). -) Busch II, 61. Grenzboten III 18994S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/361>, abgerufen am 15.01.2025.