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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

unwiderruflich hergestellt, jetzt ist das fünfundsechzigjährige Interregnum, die
kaiserlose, die schreckliche Zeit vorbei, wir verdanken dies wesentlich dem Gro߬
herzog von Baden, der unausgesetzt thätig gewesen." ')

Daß König Wilhelm in treuer Anhänglichkeit an seine preußischen Tradi¬
tionen und im stolzen Selbstgefühl seiner ererbten Souveränität der Annahme
einer Würde, die ihm als eine übertragne und daher minderwertige erschien,
ursprünglich abgeneigt war, bezeugt er selbst in einem Briefe an seine Ge¬
mahlin vom 18. Januar 18712) wird auch von Abeken wie von Schneider
ausdrücklich uoch bezeugt. Besonders scheint es ihm dann unangenehm ge¬
wesen zu sein, daß sich der Reichstag, noch bevor er sich selbst ausgesprochen,
und alle Fürsten zugestimmt hatten, für den Kaisertitel erklärt hatte, und die
Aussicht, die Kaiserdeputatiou unter Simson empfangen zu müssen, war ihm
deshalb zunächst ein peinlicher Gedanke.'') "Der König will nichts vom
Empfange der Deputation hören, schreibt der Kronprinz am 16. Dezember,
doch lebt er sich mehr und mehr in die Sache ein," und der Großherzog von
Baden wirkte "wie ein guter Genius." So empfing er sie denn am 18. De¬
zember nachmittags 2 Uhr durchaus gnädig, wenn auch unter Vorbehalt der
Zustimmung sämtlicher Fürsten.^) Dann setzten der Kronprinz und der Groß-
herzog den Entwurf zur Kaiserprotlcnnation auf und bestimmten den König,
in die Proklamation am 18. Januar zu willigen; bei der Feststellung der
Jnsignien wirkte der Hausminister von Schleinitz mit.°)

Ausführlicher als über diese Fragen berichtet Fürst Bismarck über die
Schwierigkeiten, die in der Form des Kaisertitels lagen. König Wilhelm
wollte "Kaiser von Deutschland" heißen, Bismarck schlug "Deutscher Kaiser"
vor, weil jene Form den Anspruch auf Souveränität über ganz Deutschland in
sich schließe, und wurde darin vom Kronprinzen und vom Großherzog von Baden
unterstützt. Noch in der Schlußberatung am 17. Januar, der auch der Kron¬
prinz und Schleinitz beiwohnten, wollte der König von einem "Deutschen
Kaiser" trotz aller Beispiele Bismarcks (römischer Kaiser, russischer Kaiser) und
obwohl jene Form schon in 8 11 der Reichsverfassung aufgenommen worden
war, nichts hören, wurde sogar heftig und blieb beim "Kaiser von Deutsch¬
land." Wie sehr sich Bismarck innerlich mit diesem Zwiespalt beschäftigte,
sieht man daraus, daß er diese Frage auch im Kreise "seiner Leute" mehr-







>) Der Text des Kniserbriefs, der am 5. Dezember dem Reichstage vorgelegt wurde,
u. a. bei Oncken, Zeitalter des Königs Wilhelm II, 2!)5 f. Abeken 4<i0 und 463 vom 5.. und
8. Dezember, Tagebuch des Kronprinzen vom 3. Dezember.
Bei Oncken, Unser Heldenkaiser 21" f.
°) Abeken 468 vom 10. und 13. Dezember. Schneider III, 117.
>) Busch 1, 540 und die dort angeführte Litteratur.
°) Tagebuch des Kronprinzen vom 28. Dezember, 8., 12. und 1K. Januar. Abeken 477
vom 1. Januar.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

unwiderruflich hergestellt, jetzt ist das fünfundsechzigjährige Interregnum, die
kaiserlose, die schreckliche Zeit vorbei, wir verdanken dies wesentlich dem Gro߬
herzog von Baden, der unausgesetzt thätig gewesen." ')

Daß König Wilhelm in treuer Anhänglichkeit an seine preußischen Tradi¬
tionen und im stolzen Selbstgefühl seiner ererbten Souveränität der Annahme
einer Würde, die ihm als eine übertragne und daher minderwertige erschien,
ursprünglich abgeneigt war, bezeugt er selbst in einem Briefe an seine Ge¬
mahlin vom 18. Januar 18712) wird auch von Abeken wie von Schneider
ausdrücklich uoch bezeugt. Besonders scheint es ihm dann unangenehm ge¬
wesen zu sein, daß sich der Reichstag, noch bevor er sich selbst ausgesprochen,
und alle Fürsten zugestimmt hatten, für den Kaisertitel erklärt hatte, und die
Aussicht, die Kaiserdeputatiou unter Simson empfangen zu müssen, war ihm
deshalb zunächst ein peinlicher Gedanke.'') „Der König will nichts vom
Empfange der Deputation hören, schreibt der Kronprinz am 16. Dezember,
doch lebt er sich mehr und mehr in die Sache ein," und der Großherzog von
Baden wirkte „wie ein guter Genius." So empfing er sie denn am 18. De¬
zember nachmittags 2 Uhr durchaus gnädig, wenn auch unter Vorbehalt der
Zustimmung sämtlicher Fürsten.^) Dann setzten der Kronprinz und der Groß-
herzog den Entwurf zur Kaiserprotlcnnation auf und bestimmten den König,
in die Proklamation am 18. Januar zu willigen; bei der Feststellung der
Jnsignien wirkte der Hausminister von Schleinitz mit.°)

Ausführlicher als über diese Fragen berichtet Fürst Bismarck über die
Schwierigkeiten, die in der Form des Kaisertitels lagen. König Wilhelm
wollte „Kaiser von Deutschland" heißen, Bismarck schlug „Deutscher Kaiser"
vor, weil jene Form den Anspruch auf Souveränität über ganz Deutschland in
sich schließe, und wurde darin vom Kronprinzen und vom Großherzog von Baden
unterstützt. Noch in der Schlußberatung am 17. Januar, der auch der Kron¬
prinz und Schleinitz beiwohnten, wollte der König von einem „Deutschen
Kaiser" trotz aller Beispiele Bismarcks (römischer Kaiser, russischer Kaiser) und
obwohl jene Form schon in 8 11 der Reichsverfassung aufgenommen worden
war, nichts hören, wurde sogar heftig und blieb beim „Kaiser von Deutsch¬
land." Wie sehr sich Bismarck innerlich mit diesem Zwiespalt beschäftigte,
sieht man daraus, daß er diese Frage auch im Kreise „seiner Leute" mehr-







>) Der Text des Kniserbriefs, der am 5. Dezember dem Reichstage vorgelegt wurde,
u. a. bei Oncken, Zeitalter des Königs Wilhelm II, 2!)5 f. Abeken 4<i0 und 463 vom 5.. und
8. Dezember, Tagebuch des Kronprinzen vom 3. Dezember.
Bei Oncken, Unser Heldenkaiser 21« f.
°) Abeken 468 vom 10. und 13. Dezember. Schneider III, 117.
>) Busch 1, 540 und die dort angeführte Litteratur.
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vom 1. Januar.
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[0360] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen unwiderruflich hergestellt, jetzt ist das fünfundsechzigjährige Interregnum, die kaiserlose, die schreckliche Zeit vorbei, wir verdanken dies wesentlich dem Gro߬ herzog von Baden, der unausgesetzt thätig gewesen." ') Daß König Wilhelm in treuer Anhänglichkeit an seine preußischen Tradi¬ tionen und im stolzen Selbstgefühl seiner ererbten Souveränität der Annahme einer Würde, die ihm als eine übertragne und daher minderwertige erschien, ursprünglich abgeneigt war, bezeugt er selbst in einem Briefe an seine Ge¬ mahlin vom 18. Januar 18712) wird auch von Abeken wie von Schneider ausdrücklich uoch bezeugt. Besonders scheint es ihm dann unangenehm ge¬ wesen zu sein, daß sich der Reichstag, noch bevor er sich selbst ausgesprochen, und alle Fürsten zugestimmt hatten, für den Kaisertitel erklärt hatte, und die Aussicht, die Kaiserdeputatiou unter Simson empfangen zu müssen, war ihm deshalb zunächst ein peinlicher Gedanke.'') „Der König will nichts vom Empfange der Deputation hören, schreibt der Kronprinz am 16. Dezember, doch lebt er sich mehr und mehr in die Sache ein," und der Großherzog von Baden wirkte „wie ein guter Genius." So empfing er sie denn am 18. De¬ zember nachmittags 2 Uhr durchaus gnädig, wenn auch unter Vorbehalt der Zustimmung sämtlicher Fürsten.^) Dann setzten der Kronprinz und der Groß- herzog den Entwurf zur Kaiserprotlcnnation auf und bestimmten den König, in die Proklamation am 18. Januar zu willigen; bei der Feststellung der Jnsignien wirkte der Hausminister von Schleinitz mit.°) Ausführlicher als über diese Fragen berichtet Fürst Bismarck über die Schwierigkeiten, die in der Form des Kaisertitels lagen. König Wilhelm wollte „Kaiser von Deutschland" heißen, Bismarck schlug „Deutscher Kaiser" vor, weil jene Form den Anspruch auf Souveränität über ganz Deutschland in sich schließe, und wurde darin vom Kronprinzen und vom Großherzog von Baden unterstützt. Noch in der Schlußberatung am 17. Januar, der auch der Kron¬ prinz und Schleinitz beiwohnten, wollte der König von einem „Deutschen Kaiser" trotz aller Beispiele Bismarcks (römischer Kaiser, russischer Kaiser) und obwohl jene Form schon in 8 11 der Reichsverfassung aufgenommen worden war, nichts hören, wurde sogar heftig und blieb beim „Kaiser von Deutsch¬ land." Wie sehr sich Bismarck innerlich mit diesem Zwiespalt beschäftigte, sieht man daraus, daß er diese Frage auch im Kreise „seiner Leute" mehr- >) Der Text des Kniserbriefs, der am 5. Dezember dem Reichstage vorgelegt wurde, u. a. bei Oncken, Zeitalter des Königs Wilhelm II, 2!)5 f. Abeken 4<i0 und 463 vom 5.. und 8. Dezember, Tagebuch des Kronprinzen vom 3. Dezember. Bei Oncken, Unser Heldenkaiser 21« f. °) Abeken 468 vom 10. und 13. Dezember. Schneider III, 117. >) Busch 1, 540 und die dort angeführte Litteratur. °) Tagebuch des Kronprinzen vom 28. Dezember, 8., 12. und 1K. Januar. Abeken 477 vom 1. Januar.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/360>, abgerufen am 15.01.2025.