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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bisiucncks Gedanke" und Lrinnernngen

Bismarck zu Tisch; an jenem Tage schrieb Bismarck den Brief an den König
"abends zwischen sieben und acht Uhr ... in aller Eile" und ließ dem Grafen
Hvlnstein sagen, er müsse um neun Uhr aufbrechen; dieser aber reiste schon um
acht Uhr ab. Nach der Rückkehr sagte Graf Bismarck-Vohlen, des Kanzlers
Vetter und Sekretär, zu ihm: "Es ist eine weltgeschichtliche Tour, die Sie
gemacht haben," und L- Bücher bemerkte zu Busch: "Der Graf ist in der
Kaiserfrage weggewesen und bringt gute Nachricht mit." Der Kanzler hatte
ihn sofort nach seiner Ankunft um Mittag empfangen und dann Champagner
bestellt. i)

Über die Vorgänge in München giebt L. von Kobell noch einige merk¬
würdige Ergänzungen. 2) Graf Holnstein (der am Abend des 29. November
in Hohenschwangau eingetroffen war) kam am 30. November nach München,
eilte ins Nefideuztheater zum Kabinettschef Eisenbart, "teilte ihm kurz den
Sachverhalt mit und überreichte ihm im Namen Sr. Majestät ein versiegeltes,
an Eisenbart adressiertes Couvert. Es enthielt einen eigenhändig von Ludwig U.
geschriebnen Brief an den König von Preußen und einen an meinen Mann.
Dem letztern Schreiben lag der Gedanke zu Grunde, ob etwa angesichts der
deutschen Verfassungsfrage und der Sachlage ein anders gefaßter Brief als
besser und angemessener sich herausstellen würde. Dem Schreiben war die
ausdrückliche Ermächtigung beigefügt, den Brief an den König von Preußen
nach eignem Ermessen Eisenharts eventuell nicht abgehn zu lassen." Mit der
Last dieser ungewöhnlichen Verantwortung beladen begab sich Eisenbart "tags
drauf si. Dezembers in früher Morgenstunde" zum Minister von Lutz, und
als dieser "sich unbedingt einverstanden" erklärte, übergab er das Schreiben
des Königs dem Grafen Hvlnsteiu, der auf der Stelle die Rückreise nach Ver¬
sailles antrat. Am nächsten Tage (2. Dezember) richtete Ludwig II. noch an
Bismarck einen Brief in überaus gnädigen und bewundernden Worten.")

^ Noch eine besondre Erörterung verlangen die Briefe Bismarcks. Es
handelt sich zunächst um zwei Briefe, das Konzept für den Kaiserbrief des
Königs von Bayern und das Schreibe" an deu König mit der Aufforderung,
die Kaiserkrone anzubieten. Zu dem ersten gab Graf Holnstein, der seinen
Herrn genau kannte, dem Bundeskanzler unmittelbar die Veranlassung, indem
er zu ihm sagte: "Wissens was, Exzellenz, Schreibens gleich selbst einen Brief
auf, so wie er sein soll, sonst giebts Hintennach doch wieder Anstand." Der
Text des zweiten liegt uns jetzt in zwei Redaktionen vor, in dem Konzept,
das Bismarck auf dem Eßtisch schrieb, und in der Reinschrift, die er dem König






>) Busch 1, 435. 469. Der Kanzler selbst speiste am 3. Dezember beim König.
S, 5!" f,
G. u. E, I, 354.
L. von Kobell S. 39 nach Graf Holnsteins eigner Erzählung. -- Der Kronprinz drückt
in seinem Tagebuch vom 3V, November ein gelindes Erstaunen über den Vorgang aus.
Kritische Studien zu Fürst Bisiucncks Gedanke» und Lrinnernngen

Bismarck zu Tisch; an jenem Tage schrieb Bismarck den Brief an den König
„abends zwischen sieben und acht Uhr ... in aller Eile" und ließ dem Grafen
Hvlnstein sagen, er müsse um neun Uhr aufbrechen; dieser aber reiste schon um
acht Uhr ab. Nach der Rückkehr sagte Graf Bismarck-Vohlen, des Kanzlers
Vetter und Sekretär, zu ihm: „Es ist eine weltgeschichtliche Tour, die Sie
gemacht haben," und L- Bücher bemerkte zu Busch: „Der Graf ist in der
Kaiserfrage weggewesen und bringt gute Nachricht mit." Der Kanzler hatte
ihn sofort nach seiner Ankunft um Mittag empfangen und dann Champagner
bestellt. i)

Über die Vorgänge in München giebt L. von Kobell noch einige merk¬
würdige Ergänzungen. 2) Graf Holnstein (der am Abend des 29. November
in Hohenschwangau eingetroffen war) kam am 30. November nach München,
eilte ins Nefideuztheater zum Kabinettschef Eisenbart, „teilte ihm kurz den
Sachverhalt mit und überreichte ihm im Namen Sr. Majestät ein versiegeltes,
an Eisenbart adressiertes Couvert. Es enthielt einen eigenhändig von Ludwig U.
geschriebnen Brief an den König von Preußen und einen an meinen Mann.
Dem letztern Schreiben lag der Gedanke zu Grunde, ob etwa angesichts der
deutschen Verfassungsfrage und der Sachlage ein anders gefaßter Brief als
besser und angemessener sich herausstellen würde. Dem Schreiben war die
ausdrückliche Ermächtigung beigefügt, den Brief an den König von Preußen
nach eignem Ermessen Eisenharts eventuell nicht abgehn zu lassen." Mit der
Last dieser ungewöhnlichen Verantwortung beladen begab sich Eisenbart „tags
drauf si. Dezembers in früher Morgenstunde" zum Minister von Lutz, und
als dieser „sich unbedingt einverstanden" erklärte, übergab er das Schreiben
des Königs dem Grafen Hvlnsteiu, der auf der Stelle die Rückreise nach Ver¬
sailles antrat. Am nächsten Tage (2. Dezember) richtete Ludwig II. noch an
Bismarck einen Brief in überaus gnädigen und bewundernden Worten.")

^ Noch eine besondre Erörterung verlangen die Briefe Bismarcks. Es
handelt sich zunächst um zwei Briefe, das Konzept für den Kaiserbrief des
Königs von Bayern und das Schreibe» an deu König mit der Aufforderung,
die Kaiserkrone anzubieten. Zu dem ersten gab Graf Holnstein, der seinen
Herrn genau kannte, dem Bundeskanzler unmittelbar die Veranlassung, indem
er zu ihm sagte: „Wissens was, Exzellenz, Schreibens gleich selbst einen Brief
auf, so wie er sein soll, sonst giebts Hintennach doch wieder Anstand." Der
Text des zweiten liegt uns jetzt in zwei Redaktionen vor, in dem Konzept,
das Bismarck auf dem Eßtisch schrieb, und in der Reinschrift, die er dem König






>) Busch 1, 435. 469. Der Kanzler selbst speiste am 3. Dezember beim König.
S, 5!» f,
G. u. E, I, 354.
L. von Kobell S. 39 nach Graf Holnsteins eigner Erzählung. — Der Kronprinz drückt
in seinem Tagebuch vom 3V, November ein gelindes Erstaunen über den Vorgang aus.
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[0356] Kritische Studien zu Fürst Bisiucncks Gedanke» und Lrinnernngen Bismarck zu Tisch; an jenem Tage schrieb Bismarck den Brief an den König „abends zwischen sieben und acht Uhr ... in aller Eile" und ließ dem Grafen Hvlnstein sagen, er müsse um neun Uhr aufbrechen; dieser aber reiste schon um acht Uhr ab. Nach der Rückkehr sagte Graf Bismarck-Vohlen, des Kanzlers Vetter und Sekretär, zu ihm: „Es ist eine weltgeschichtliche Tour, die Sie gemacht haben," und L- Bücher bemerkte zu Busch: „Der Graf ist in der Kaiserfrage weggewesen und bringt gute Nachricht mit." Der Kanzler hatte ihn sofort nach seiner Ankunft um Mittag empfangen und dann Champagner bestellt. i) Über die Vorgänge in München giebt L. von Kobell noch einige merk¬ würdige Ergänzungen. 2) Graf Holnstein (der am Abend des 29. November in Hohenschwangau eingetroffen war) kam am 30. November nach München, eilte ins Nefideuztheater zum Kabinettschef Eisenbart, „teilte ihm kurz den Sachverhalt mit und überreichte ihm im Namen Sr. Majestät ein versiegeltes, an Eisenbart adressiertes Couvert. Es enthielt einen eigenhändig von Ludwig U. geschriebnen Brief an den König von Preußen und einen an meinen Mann. Dem letztern Schreiben lag der Gedanke zu Grunde, ob etwa angesichts der deutschen Verfassungsfrage und der Sachlage ein anders gefaßter Brief als besser und angemessener sich herausstellen würde. Dem Schreiben war die ausdrückliche Ermächtigung beigefügt, den Brief an den König von Preußen nach eignem Ermessen Eisenharts eventuell nicht abgehn zu lassen." Mit der Last dieser ungewöhnlichen Verantwortung beladen begab sich Eisenbart „tags drauf si. Dezembers in früher Morgenstunde" zum Minister von Lutz, und als dieser „sich unbedingt einverstanden" erklärte, übergab er das Schreiben des Königs dem Grafen Hvlnsteiu, der auf der Stelle die Rückreise nach Ver¬ sailles antrat. Am nächsten Tage (2. Dezember) richtete Ludwig II. noch an Bismarck einen Brief in überaus gnädigen und bewundernden Worten.") ^ Noch eine besondre Erörterung verlangen die Briefe Bismarcks. Es handelt sich zunächst um zwei Briefe, das Konzept für den Kaiserbrief des Königs von Bayern und das Schreibe» an deu König mit der Aufforderung, die Kaiserkrone anzubieten. Zu dem ersten gab Graf Holnstein, der seinen Herrn genau kannte, dem Bundeskanzler unmittelbar die Veranlassung, indem er zu ihm sagte: „Wissens was, Exzellenz, Schreibens gleich selbst einen Brief auf, so wie er sein soll, sonst giebts Hintennach doch wieder Anstand." Der Text des zweiten liegt uns jetzt in zwei Redaktionen vor, in dem Konzept, das Bismarck auf dem Eßtisch schrieb, und in der Reinschrift, die er dem König >) Busch 1, 435. 469. Der Kanzler selbst speiste am 3. Dezember beim König. S, 5!» f, G. u. E, I, 354. L. von Kobell S. 39 nach Graf Holnsteins eigner Erzählung. — Der Kronprinz drückt in seinem Tagebuch vom 3V, November ein gelindes Erstaunen über den Vorgang aus.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/356>, abgerufen am 15.01.2025.