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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrte"

des Meeres feinst wallend hebt, und alles still ist mit Ausnahme des gelegent¬
lichen Flatterns der Segel. Wohl ist es schön, einmal einen Sturm zu sehen,
wie er sich am Horizonte erhebt und mit Wut daher kommt, oder den heftigen
Orkan mit den berghohen Wogen. Aber ich bekenne, daß meine Einbildung
mir etwas Großartigeres, etwas Schrecklicheres in dem Anblick eines rechten
Sturmes vorspiegelte. Es ist ein unvergleichlich schöneres Schauspiel, wenn
man ihn am Lande sieht, wo das Schwanken der Bäume, der wilde Flug
der Vögel, die schwarzen Schatten und die hellen Lichter, das Rauschen der
Ströme den Kampf der entfesselten Elemente verkünden." Alle Achtung vor
Darwins Geist; aber dieser Satz würde jederzeit hinreichen, zu beweisen, daß
man ein großer Geist und eine enge Seele sein kann. In diesem Anspruch
gegenüber dem Meere, daß es nicht so sein solle, wie es ist, liegt dieselbe
Beschränktheit, die den Kampf um Nahrung zur Triebkraft der Schöpfung
alles Lebens machen wollte. Darwin war eine merkwürdige Mischung von
Genie und Philister. Schon sein umständlicher Stil ist mir auf die Dauer
zuwider. Schade, daß gerade deutsche Gelehrte hohen Ranges zuerst und
zumeist vor Darwin auf den Knieen gelegen sind, der sicherlich die Bewunderung
nicht voll verdient hat, die ihm noch heute von vielen gezollt wird, immer
uoch mehr im Auslande als in England und Amerika. Gerade über diese
Proskynesis wäre manches zu sagen. Ich fürchte, es wird sich noch mehr
Gelegenheit dazu geben, als mir lieb ist.

Ein Ozeandampfer von zehntausend Tonnen, der im Nebel mit fast un-
geminderter Geschwindigkeit seinen Weg durch pfadlose Meere macht, ist mir
immer ein viel überzeugenderer Ausdruck für das gewesen, was man Fort¬
schritt der Wissenschaft nennt, als die plumpe Hypothese vom "Überleben des
Passendsten im Kampf ums Dasein." Die Schiffskonstruktion, der Chrono¬
meter, der Kompaß, die Seekarten, und was sonst dazu nötig ist, sind
Triumphe des menschlichen Geistes. Aber noch immer giebt es Unberechen¬
barkeiten. Hörte man nicht eben den Gang des Schiffes sich verlangsamen?
Warum das? Einigen fährt schon ein Schrecken in die Glieder. Gemach.
Du fühlst den kalten Hauch, der uns entgegenweht. In wenigen Minuten
wird der Offizier, der ohne Unterlaß die Temperaturen der ins Meer hinein-
geseulteu Thermometer abliest, die Nähe des Gefrierpunkts zu notieren haben.
Eisberge müssen nahe sein, oder mindestens Treibeismassen, groß genug,
daß sie viel Abkühlung bringen. Diesesmal scheinen sie nicht auftauchen zu
wollen die geheimnisvollen schneeweißen Schlösser, Mauern, Gebirgsketten,
Klippen mit den grünlich leuchtenden Linien ihrer Spalten, Thäler, Friese
und Pilaster. Der Nebel will sich heben, die Nebelfrauen fangen an, mit
langen Gewändern und fliegenden Bändern über den Wellen zu tanzen, ein
gebieterisch geradliniger Sonncnlichtrcflex durchzuckt schwertgleich das Gewölk
und legt sich breit auf das Meer, wo sich sein Licht in tausend Funken auflöst.


Briefe eines Zurückgekehrte»

des Meeres feinst wallend hebt, und alles still ist mit Ausnahme des gelegent¬
lichen Flatterns der Segel. Wohl ist es schön, einmal einen Sturm zu sehen,
wie er sich am Horizonte erhebt und mit Wut daher kommt, oder den heftigen
Orkan mit den berghohen Wogen. Aber ich bekenne, daß meine Einbildung
mir etwas Großartigeres, etwas Schrecklicheres in dem Anblick eines rechten
Sturmes vorspiegelte. Es ist ein unvergleichlich schöneres Schauspiel, wenn
man ihn am Lande sieht, wo das Schwanken der Bäume, der wilde Flug
der Vögel, die schwarzen Schatten und die hellen Lichter, das Rauschen der
Ströme den Kampf der entfesselten Elemente verkünden." Alle Achtung vor
Darwins Geist; aber dieser Satz würde jederzeit hinreichen, zu beweisen, daß
man ein großer Geist und eine enge Seele sein kann. In diesem Anspruch
gegenüber dem Meere, daß es nicht so sein solle, wie es ist, liegt dieselbe
Beschränktheit, die den Kampf um Nahrung zur Triebkraft der Schöpfung
alles Lebens machen wollte. Darwin war eine merkwürdige Mischung von
Genie und Philister. Schon sein umständlicher Stil ist mir auf die Dauer
zuwider. Schade, daß gerade deutsche Gelehrte hohen Ranges zuerst und
zumeist vor Darwin auf den Knieen gelegen sind, der sicherlich die Bewunderung
nicht voll verdient hat, die ihm noch heute von vielen gezollt wird, immer
uoch mehr im Auslande als in England und Amerika. Gerade über diese
Proskynesis wäre manches zu sagen. Ich fürchte, es wird sich noch mehr
Gelegenheit dazu geben, als mir lieb ist.

Ein Ozeandampfer von zehntausend Tonnen, der im Nebel mit fast un-
geminderter Geschwindigkeit seinen Weg durch pfadlose Meere macht, ist mir
immer ein viel überzeugenderer Ausdruck für das gewesen, was man Fort¬
schritt der Wissenschaft nennt, als die plumpe Hypothese vom „Überleben des
Passendsten im Kampf ums Dasein." Die Schiffskonstruktion, der Chrono¬
meter, der Kompaß, die Seekarten, und was sonst dazu nötig ist, sind
Triumphe des menschlichen Geistes. Aber noch immer giebt es Unberechen¬
barkeiten. Hörte man nicht eben den Gang des Schiffes sich verlangsamen?
Warum das? Einigen fährt schon ein Schrecken in die Glieder. Gemach.
Du fühlst den kalten Hauch, der uns entgegenweht. In wenigen Minuten
wird der Offizier, der ohne Unterlaß die Temperaturen der ins Meer hinein-
geseulteu Thermometer abliest, die Nähe des Gefrierpunkts zu notieren haben.
Eisberge müssen nahe sein, oder mindestens Treibeismassen, groß genug,
daß sie viel Abkühlung bringen. Diesesmal scheinen sie nicht auftauchen zu
wollen die geheimnisvollen schneeweißen Schlösser, Mauern, Gebirgsketten,
Klippen mit den grünlich leuchtenden Linien ihrer Spalten, Thäler, Friese
und Pilaster. Der Nebel will sich heben, die Nebelfrauen fangen an, mit
langen Gewändern und fliegenden Bändern über den Wellen zu tanzen, ein
gebieterisch geradliniger Sonncnlichtrcflex durchzuckt schwertgleich das Gewölk
und legt sich breit auf das Meer, wo sich sein Licht in tausend Funken auflöst.


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[0350] Briefe eines Zurückgekehrte» des Meeres feinst wallend hebt, und alles still ist mit Ausnahme des gelegent¬ lichen Flatterns der Segel. Wohl ist es schön, einmal einen Sturm zu sehen, wie er sich am Horizonte erhebt und mit Wut daher kommt, oder den heftigen Orkan mit den berghohen Wogen. Aber ich bekenne, daß meine Einbildung mir etwas Großartigeres, etwas Schrecklicheres in dem Anblick eines rechten Sturmes vorspiegelte. Es ist ein unvergleichlich schöneres Schauspiel, wenn man ihn am Lande sieht, wo das Schwanken der Bäume, der wilde Flug der Vögel, die schwarzen Schatten und die hellen Lichter, das Rauschen der Ströme den Kampf der entfesselten Elemente verkünden." Alle Achtung vor Darwins Geist; aber dieser Satz würde jederzeit hinreichen, zu beweisen, daß man ein großer Geist und eine enge Seele sein kann. In diesem Anspruch gegenüber dem Meere, daß es nicht so sein solle, wie es ist, liegt dieselbe Beschränktheit, die den Kampf um Nahrung zur Triebkraft der Schöpfung alles Lebens machen wollte. Darwin war eine merkwürdige Mischung von Genie und Philister. Schon sein umständlicher Stil ist mir auf die Dauer zuwider. Schade, daß gerade deutsche Gelehrte hohen Ranges zuerst und zumeist vor Darwin auf den Knieen gelegen sind, der sicherlich die Bewunderung nicht voll verdient hat, die ihm noch heute von vielen gezollt wird, immer uoch mehr im Auslande als in England und Amerika. Gerade über diese Proskynesis wäre manches zu sagen. Ich fürchte, es wird sich noch mehr Gelegenheit dazu geben, als mir lieb ist. Ein Ozeandampfer von zehntausend Tonnen, der im Nebel mit fast un- geminderter Geschwindigkeit seinen Weg durch pfadlose Meere macht, ist mir immer ein viel überzeugenderer Ausdruck für das gewesen, was man Fort¬ schritt der Wissenschaft nennt, als die plumpe Hypothese vom „Überleben des Passendsten im Kampf ums Dasein." Die Schiffskonstruktion, der Chrono¬ meter, der Kompaß, die Seekarten, und was sonst dazu nötig ist, sind Triumphe des menschlichen Geistes. Aber noch immer giebt es Unberechen¬ barkeiten. Hörte man nicht eben den Gang des Schiffes sich verlangsamen? Warum das? Einigen fährt schon ein Schrecken in die Glieder. Gemach. Du fühlst den kalten Hauch, der uns entgegenweht. In wenigen Minuten wird der Offizier, der ohne Unterlaß die Temperaturen der ins Meer hinein- geseulteu Thermometer abliest, die Nähe des Gefrierpunkts zu notieren haben. Eisberge müssen nahe sein, oder mindestens Treibeismassen, groß genug, daß sie viel Abkühlung bringen. Diesesmal scheinen sie nicht auftauchen zu wollen die geheimnisvollen schneeweißen Schlösser, Mauern, Gebirgsketten, Klippen mit den grünlich leuchtenden Linien ihrer Spalten, Thäler, Friese und Pilaster. Der Nebel will sich heben, die Nebelfrauen fangen an, mit langen Gewändern und fliegenden Bändern über den Wellen zu tanzen, ein gebieterisch geradliniger Sonncnlichtrcflex durchzuckt schwertgleich das Gewölk und legt sich breit auf das Meer, wo sich sein Licht in tausend Funken auflöst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/350>, abgerufen am 15.01.2025.