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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Briefe eines Zurückgekehrten

grünen; aber sie trägt Wunden von diesem Kampfe, die nur der Tod oder
die Heimkehr heilen. Sie mögen äußerlich noch so frisch erscheinen, es sind
im Grunde leidende Menschen, die mit ihren Erinnerungen nicht fertig werden
können. Es entstehen in ihrem Gehirn die seltsamst gewundnen Gedankenwege,
die alle an bestimmten kleinen Punkten enden, die die größte Ähnlichkeit mit
dem haben müssen, was man fixe Ideen nennt. An diesen Punkten erheben
sich nicht so ausschließlich, wie uns die Bücher glauben machen wollen, Gräber
der Liebe, Rasenbänke mit verliebten Erinnerungen, uralte Vüume der Kind¬
heit und dergleichen; ich habe Männer gekannt, deren Erinnerungen um eine
kleine Weinschenke (die man dort Beisel nennt) in Lerchenfeld und wieder um
einen bestimmten Winkel in dem kleinen hölzernen Raum eines Gastzimmers
schwebten wie Schatten, die an einen Ort gebannt sind, an den sie immer
zurückkehren müssen; und andre, die heimwehkrank waren an der Erinnerung
an die Durlacher Kirchweih. Mein Beruf brachte mich einmal mit drei Pfälzer
Deserteuren von demselben Regiment zusammen, die sich mit leuchtenden Augen
von ihren Erinnerungen an die alte Kaserne, sogar an ihren Gefängnisraum,
worin sie öfters gesessen hatten, unterhielten. Ich bin überzeugt, daß sie gern
in ihr "Kaschoh," wie sie es mit heimischem Klänge nannten, zurückgekehrt
wären, wenn sie sich damit, die Rückkehr überhaupt hätten erkaufen können.
Für solche Leute ist der größte Festtag des Jahres die Nachahmung einer
heimischen Gewohnheit, so wie die Bayern ihre "Wiesn," eine enge Erinnerung
an die Münchner Theresienwiese beim Oktoberfest, und die Schwaben ihr Ecum-
statter Volksfest in Newyork haben. Man muß den Zug der deutschen Vereine
beim Deutscheutag in Chicago 1893 gesehen haben, damit man dieses Hängen
an den kleinen Besonderheiten der kleinsten Landschaften und Bezirke versteht:
es kommt aus derselben Wurzel wie das Gesündeste an dem alten politischen
Partikularismus, und man hatte ja gerade dort die Empfindung, daß die
Liebe zum Vaterlande leicht durch die Liebe zu den Vaterländern verdunkelt
werden könnte. Ich zweifle, ob dem großen Vaterlande mit gleicher Freude
das wiederkehrende Opfer tagelanger Reisen nach einem zentralen Versamm¬
lungsort gebracht würde, das gewisse alte Korpsstudenten hier in Amerika
alljährlich auf dem Altar ihrer Univcrsitätserinnerungen niederlegen.

Es liegt da eine deutsche Besonderheit vor, die zu der oft besprochnen poli¬
tischen Ausstattung unsers Volkes gehört. Der Ire, der ja so ziemlich überall in
Amerika gleich neben dem Deutschen kommt, folgt <M irmWö seiner grünen Fahne,
die sich am Se. Patrickstage sogar den Ehrenplatz auf deu Flaggenstangen der
ersten Regierungsgebäude einzelner Staaten erobert. Die Franzosen, zu wenig
zahlreich, daß sie als Menge wirken könnten, hängen bekanntlich mit einer leiden¬
schaftlichen, geradezu krankmachenden Sehnsucht an der Heimat. Das berühmte
Schweizerheimweh ist nichts im Vergleich mit dieser Sehnsucht, die dem, den
sie befällt, die Lebenslust aussaugt und den Willen welken macht. Selbstmorde


Briefe eines Zurückgekehrten

grünen; aber sie trägt Wunden von diesem Kampfe, die nur der Tod oder
die Heimkehr heilen. Sie mögen äußerlich noch so frisch erscheinen, es sind
im Grunde leidende Menschen, die mit ihren Erinnerungen nicht fertig werden
können. Es entstehen in ihrem Gehirn die seltsamst gewundnen Gedankenwege,
die alle an bestimmten kleinen Punkten enden, die die größte Ähnlichkeit mit
dem haben müssen, was man fixe Ideen nennt. An diesen Punkten erheben
sich nicht so ausschließlich, wie uns die Bücher glauben machen wollen, Gräber
der Liebe, Rasenbänke mit verliebten Erinnerungen, uralte Vüume der Kind¬
heit und dergleichen; ich habe Männer gekannt, deren Erinnerungen um eine
kleine Weinschenke (die man dort Beisel nennt) in Lerchenfeld und wieder um
einen bestimmten Winkel in dem kleinen hölzernen Raum eines Gastzimmers
schwebten wie Schatten, die an einen Ort gebannt sind, an den sie immer
zurückkehren müssen; und andre, die heimwehkrank waren an der Erinnerung
an die Durlacher Kirchweih. Mein Beruf brachte mich einmal mit drei Pfälzer
Deserteuren von demselben Regiment zusammen, die sich mit leuchtenden Augen
von ihren Erinnerungen an die alte Kaserne, sogar an ihren Gefängnisraum,
worin sie öfters gesessen hatten, unterhielten. Ich bin überzeugt, daß sie gern
in ihr „Kaschoh," wie sie es mit heimischem Klänge nannten, zurückgekehrt
wären, wenn sie sich damit, die Rückkehr überhaupt hätten erkaufen können.
Für solche Leute ist der größte Festtag des Jahres die Nachahmung einer
heimischen Gewohnheit, so wie die Bayern ihre „Wiesn," eine enge Erinnerung
an die Münchner Theresienwiese beim Oktoberfest, und die Schwaben ihr Ecum-
statter Volksfest in Newyork haben. Man muß den Zug der deutschen Vereine
beim Deutscheutag in Chicago 1893 gesehen haben, damit man dieses Hängen
an den kleinen Besonderheiten der kleinsten Landschaften und Bezirke versteht:
es kommt aus derselben Wurzel wie das Gesündeste an dem alten politischen
Partikularismus, und man hatte ja gerade dort die Empfindung, daß die
Liebe zum Vaterlande leicht durch die Liebe zu den Vaterländern verdunkelt
werden könnte. Ich zweifle, ob dem großen Vaterlande mit gleicher Freude
das wiederkehrende Opfer tagelanger Reisen nach einem zentralen Versamm¬
lungsort gebracht würde, das gewisse alte Korpsstudenten hier in Amerika
alljährlich auf dem Altar ihrer Univcrsitätserinnerungen niederlegen.

Es liegt da eine deutsche Besonderheit vor, die zu der oft besprochnen poli¬
tischen Ausstattung unsers Volkes gehört. Der Ire, der ja so ziemlich überall in
Amerika gleich neben dem Deutschen kommt, folgt <M irmWö seiner grünen Fahne,
die sich am Se. Patrickstage sogar den Ehrenplatz auf deu Flaggenstangen der
ersten Regierungsgebäude einzelner Staaten erobert. Die Franzosen, zu wenig
zahlreich, daß sie als Menge wirken könnten, hängen bekanntlich mit einer leiden¬
schaftlichen, geradezu krankmachenden Sehnsucht an der Heimat. Das berühmte
Schweizerheimweh ist nichts im Vergleich mit dieser Sehnsucht, die dem, den
sie befällt, die Lebenslust aussaugt und den Willen welken macht. Selbstmorde


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[0346] Briefe eines Zurückgekehrten grünen; aber sie trägt Wunden von diesem Kampfe, die nur der Tod oder die Heimkehr heilen. Sie mögen äußerlich noch so frisch erscheinen, es sind im Grunde leidende Menschen, die mit ihren Erinnerungen nicht fertig werden können. Es entstehen in ihrem Gehirn die seltsamst gewundnen Gedankenwege, die alle an bestimmten kleinen Punkten enden, die die größte Ähnlichkeit mit dem haben müssen, was man fixe Ideen nennt. An diesen Punkten erheben sich nicht so ausschließlich, wie uns die Bücher glauben machen wollen, Gräber der Liebe, Rasenbänke mit verliebten Erinnerungen, uralte Vüume der Kind¬ heit und dergleichen; ich habe Männer gekannt, deren Erinnerungen um eine kleine Weinschenke (die man dort Beisel nennt) in Lerchenfeld und wieder um einen bestimmten Winkel in dem kleinen hölzernen Raum eines Gastzimmers schwebten wie Schatten, die an einen Ort gebannt sind, an den sie immer zurückkehren müssen; und andre, die heimwehkrank waren an der Erinnerung an die Durlacher Kirchweih. Mein Beruf brachte mich einmal mit drei Pfälzer Deserteuren von demselben Regiment zusammen, die sich mit leuchtenden Augen von ihren Erinnerungen an die alte Kaserne, sogar an ihren Gefängnisraum, worin sie öfters gesessen hatten, unterhielten. Ich bin überzeugt, daß sie gern in ihr „Kaschoh," wie sie es mit heimischem Klänge nannten, zurückgekehrt wären, wenn sie sich damit, die Rückkehr überhaupt hätten erkaufen können. Für solche Leute ist der größte Festtag des Jahres die Nachahmung einer heimischen Gewohnheit, so wie die Bayern ihre „Wiesn," eine enge Erinnerung an die Münchner Theresienwiese beim Oktoberfest, und die Schwaben ihr Ecum- statter Volksfest in Newyork haben. Man muß den Zug der deutschen Vereine beim Deutscheutag in Chicago 1893 gesehen haben, damit man dieses Hängen an den kleinen Besonderheiten der kleinsten Landschaften und Bezirke versteht: es kommt aus derselben Wurzel wie das Gesündeste an dem alten politischen Partikularismus, und man hatte ja gerade dort die Empfindung, daß die Liebe zum Vaterlande leicht durch die Liebe zu den Vaterländern verdunkelt werden könnte. Ich zweifle, ob dem großen Vaterlande mit gleicher Freude das wiederkehrende Opfer tagelanger Reisen nach einem zentralen Versamm¬ lungsort gebracht würde, das gewisse alte Korpsstudenten hier in Amerika alljährlich auf dem Altar ihrer Univcrsitätserinnerungen niederlegen. Es liegt da eine deutsche Besonderheit vor, die zu der oft besprochnen poli¬ tischen Ausstattung unsers Volkes gehört. Der Ire, der ja so ziemlich überall in Amerika gleich neben dem Deutschen kommt, folgt <M irmWö seiner grünen Fahne, die sich am Se. Patrickstage sogar den Ehrenplatz auf deu Flaggenstangen der ersten Regierungsgebäude einzelner Staaten erobert. Die Franzosen, zu wenig zahlreich, daß sie als Menge wirken könnten, hängen bekanntlich mit einer leiden¬ schaftlichen, geradezu krankmachenden Sehnsucht an der Heimat. Das berühmte Schweizerheimweh ist nichts im Vergleich mit dieser Sehnsucht, die dem, den sie befällt, die Lebenslust aussaugt und den Willen welken macht. Selbstmorde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/346>, abgerufen am 15.01.2025.