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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

schlechtesten aller Staatsformen, zur Demokratie hinabgleite. Der Anfang des
Untergangs sei es, sagen die Konsuln des Jahres 461, wenn die Schlechtesten
den Besten Gesetze geben. Dagegen hören wir dann wieder einen Valerier
ausführen, daß die Teilnahme aller am Staate diesen doch nur stärken könne.
Und während im Jahre 470 der Ämilier eine Ackerverteilung schon aus dein
Grunde empfiehlt, weil die Besitzlosen entweder gar keine Kinder zeugten oder
die Gezeugter schlecht erzogen, behauptet ihm gegenüber der Claudier, was
einmal ein Lump sei, das bleibe ein Lump; alle bisherigen Ackerverteilungen
und Begünstigungen hätten bei diesem Gesinde! nichts genützt; immer gerieten
sie wieder aufs neue in Not; daraus gehe klar hervor, daß ihnen auch in Zu¬
kunft nicht zu helfen sei; nicht in ihrer Vermögenslage stecke der Fehler, sondern
in ihrem Charakter. Ist es nicht interessant, daß die letzten Claudier Tiberius,
Claudius und Nero heißen?

Führen wir noch an, daß die Plebejer bei der Aushebung des Jahres 495,
auf die Fesseln der Schuldsklaven weisend, höhnisch fragten, ob das vielleicht
die teuern vaterländischen Güter seien, für die sie ins Feld ziehen sollten, und
gedenken wir noch einer von Livius mitgeteilten Rede, worin sich nicht die
Erbitterung des armen Teufels gegen die Reichen, sondern die des Bourgeois
gegen den privilegierten Junker ausspricht! Im Jahre 445 beantragte der
Tribun Canulejus, daß Ehen zwischen Plebejern und Patriziern giltig sein
sollten, und daß es dem Volke frei stehn solle, die Konsuln auch aus den
Plebejern zu wählen. Als die Patrizier diese beiden Nogationen heftig be¬
kämpften, sagte ihr Urheber unter anderen: Erst jetzt sähe man deutlich, in
welchem Grade die Väter das Volk der Quiriten verachteten; sie hielten es
nicht für würdig, in denselben Mauern mit ihnen zu wohnen. Sei nicht das
Bürgerrecht mehr als Connubium, und sei das nicht oft besiegten Feinden
verliehen worden? Werde der Staat zu Grunde gehn, wenn ein verdienter
und würdiger Manu aus der Plebs das höchste Amt bekleide? Begreift ihr
endlich, redet er die Volksversammlung an, "in welcher Verachtung ihr lebt?
Das Sonnenlicht gönnen sie euch nicht, und würden es euch entziehen, wenn
sie könnten. Es ärgert sie schon, daß ihr atmet, daß ihr Laute von euch gebt,
daß ihr Menschengestalt habt. Ist denn etwa ein Konsul mehr als ein König,
und hat mau denn vergessen, daß Numa Pompilius und Tarquinius Priscus
nicht nur keine Patrizier, sondern nicht einmal römische Bürger gewesen sind,
und daß den Servius Tullius eine Sklavin geboren hat? Aber auch nach
der Vertreibung der Könige hat sich die Stadt gegen Einwandrer nicht abge¬
sperrt; haben wir doch das Geschlecht der Claudier nicht bloß ins Bürgerrecht,
sondern sogar ins Patriziat aufgenommen. Und ist eine ärgere Beschimpfung
denkbar, als wenn man einen Teil der Bürgerschaft für unwürdig des Connu-
biums und damit gewissermaßen für unrein erklärt? Kein Plebejer wird je


Der Römerstaat

schlechtesten aller Staatsformen, zur Demokratie hinabgleite. Der Anfang des
Untergangs sei es, sagen die Konsuln des Jahres 461, wenn die Schlechtesten
den Besten Gesetze geben. Dagegen hören wir dann wieder einen Valerier
ausführen, daß die Teilnahme aller am Staate diesen doch nur stärken könne.
Und während im Jahre 470 der Ämilier eine Ackerverteilung schon aus dein
Grunde empfiehlt, weil die Besitzlosen entweder gar keine Kinder zeugten oder
die Gezeugter schlecht erzogen, behauptet ihm gegenüber der Claudier, was
einmal ein Lump sei, das bleibe ein Lump; alle bisherigen Ackerverteilungen
und Begünstigungen hätten bei diesem Gesinde! nichts genützt; immer gerieten
sie wieder aufs neue in Not; daraus gehe klar hervor, daß ihnen auch in Zu¬
kunft nicht zu helfen sei; nicht in ihrer Vermögenslage stecke der Fehler, sondern
in ihrem Charakter. Ist es nicht interessant, daß die letzten Claudier Tiberius,
Claudius und Nero heißen?

Führen wir noch an, daß die Plebejer bei der Aushebung des Jahres 495,
auf die Fesseln der Schuldsklaven weisend, höhnisch fragten, ob das vielleicht
die teuern vaterländischen Güter seien, für die sie ins Feld ziehen sollten, und
gedenken wir noch einer von Livius mitgeteilten Rede, worin sich nicht die
Erbitterung des armen Teufels gegen die Reichen, sondern die des Bourgeois
gegen den privilegierten Junker ausspricht! Im Jahre 445 beantragte der
Tribun Canulejus, daß Ehen zwischen Plebejern und Patriziern giltig sein
sollten, und daß es dem Volke frei stehn solle, die Konsuln auch aus den
Plebejern zu wählen. Als die Patrizier diese beiden Nogationen heftig be¬
kämpften, sagte ihr Urheber unter anderen: Erst jetzt sähe man deutlich, in
welchem Grade die Väter das Volk der Quiriten verachteten; sie hielten es
nicht für würdig, in denselben Mauern mit ihnen zu wohnen. Sei nicht das
Bürgerrecht mehr als Connubium, und sei das nicht oft besiegten Feinden
verliehen worden? Werde der Staat zu Grunde gehn, wenn ein verdienter
und würdiger Manu aus der Plebs das höchste Amt bekleide? Begreift ihr
endlich, redet er die Volksversammlung an, „in welcher Verachtung ihr lebt?
Das Sonnenlicht gönnen sie euch nicht, und würden es euch entziehen, wenn
sie könnten. Es ärgert sie schon, daß ihr atmet, daß ihr Laute von euch gebt,
daß ihr Menschengestalt habt. Ist denn etwa ein Konsul mehr als ein König,
und hat mau denn vergessen, daß Numa Pompilius und Tarquinius Priscus
nicht nur keine Patrizier, sondern nicht einmal römische Bürger gewesen sind,
und daß den Servius Tullius eine Sklavin geboren hat? Aber auch nach
der Vertreibung der Könige hat sich die Stadt gegen Einwandrer nicht abge¬
sperrt; haben wir doch das Geschlecht der Claudier nicht bloß ins Bürgerrecht,
sondern sogar ins Patriziat aufgenommen. Und ist eine ärgere Beschimpfung
denkbar, als wenn man einen Teil der Bürgerschaft für unwürdig des Connu-
biums und damit gewissermaßen für unrein erklärt? Kein Plebejer wird je


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[0323] Der Römerstaat schlechtesten aller Staatsformen, zur Demokratie hinabgleite. Der Anfang des Untergangs sei es, sagen die Konsuln des Jahres 461, wenn die Schlechtesten den Besten Gesetze geben. Dagegen hören wir dann wieder einen Valerier ausführen, daß die Teilnahme aller am Staate diesen doch nur stärken könne. Und während im Jahre 470 der Ämilier eine Ackerverteilung schon aus dein Grunde empfiehlt, weil die Besitzlosen entweder gar keine Kinder zeugten oder die Gezeugter schlecht erzogen, behauptet ihm gegenüber der Claudier, was einmal ein Lump sei, das bleibe ein Lump; alle bisherigen Ackerverteilungen und Begünstigungen hätten bei diesem Gesinde! nichts genützt; immer gerieten sie wieder aufs neue in Not; daraus gehe klar hervor, daß ihnen auch in Zu¬ kunft nicht zu helfen sei; nicht in ihrer Vermögenslage stecke der Fehler, sondern in ihrem Charakter. Ist es nicht interessant, daß die letzten Claudier Tiberius, Claudius und Nero heißen? Führen wir noch an, daß die Plebejer bei der Aushebung des Jahres 495, auf die Fesseln der Schuldsklaven weisend, höhnisch fragten, ob das vielleicht die teuern vaterländischen Güter seien, für die sie ins Feld ziehen sollten, und gedenken wir noch einer von Livius mitgeteilten Rede, worin sich nicht die Erbitterung des armen Teufels gegen die Reichen, sondern die des Bourgeois gegen den privilegierten Junker ausspricht! Im Jahre 445 beantragte der Tribun Canulejus, daß Ehen zwischen Plebejern und Patriziern giltig sein sollten, und daß es dem Volke frei stehn solle, die Konsuln auch aus den Plebejern zu wählen. Als die Patrizier diese beiden Nogationen heftig be¬ kämpften, sagte ihr Urheber unter anderen: Erst jetzt sähe man deutlich, in welchem Grade die Väter das Volk der Quiriten verachteten; sie hielten es nicht für würdig, in denselben Mauern mit ihnen zu wohnen. Sei nicht das Bürgerrecht mehr als Connubium, und sei das nicht oft besiegten Feinden verliehen worden? Werde der Staat zu Grunde gehn, wenn ein verdienter und würdiger Manu aus der Plebs das höchste Amt bekleide? Begreift ihr endlich, redet er die Volksversammlung an, „in welcher Verachtung ihr lebt? Das Sonnenlicht gönnen sie euch nicht, und würden es euch entziehen, wenn sie könnten. Es ärgert sie schon, daß ihr atmet, daß ihr Laute von euch gebt, daß ihr Menschengestalt habt. Ist denn etwa ein Konsul mehr als ein König, und hat mau denn vergessen, daß Numa Pompilius und Tarquinius Priscus nicht nur keine Patrizier, sondern nicht einmal römische Bürger gewesen sind, und daß den Servius Tullius eine Sklavin geboren hat? Aber auch nach der Vertreibung der Könige hat sich die Stadt gegen Einwandrer nicht abge¬ sperrt; haben wir doch das Geschlecht der Claudier nicht bloß ins Bürgerrecht, sondern sogar ins Patriziat aufgenommen. Und ist eine ärgere Beschimpfung denkbar, als wenn man einen Teil der Bürgerschaft für unwürdig des Connu- biums und damit gewissermaßen für unrein erklärt? Kein Plebejer wird je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/323>, abgerufen am 15.01.2025.