Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Römerstaat

sein, und wurde, so oft wirklich Gefahr drohte, niemals bis zum äußersten
getrieben. Die Plebs wandte dieses Mittel an, um einen kräftigen Druck auf
die Privilegierten auszuüben, zog aber zuletzt doch jedesmal, wenn auch
murrend, gegen den drohenden Feind. Und beide Parteien beobachteten, wie
schon hervorgehoben worden ist, eine solche Müßigung und Selbstbeherrschung,
daß es niemals zum Blutvergießen kam. Weder hat sich die Schar, die auf
den heiligen Berg hinauszog, obwohl sie bewaffnet war, an einem ihrer Gegner
thätlich vergriffen, noch haben die mit unumschränkter Gewalt ausgerüsteten
hohen Beamten ihre Beile je wegen andrer als militärischer Disziplinarver¬
gehen in Vürgerblnt getaucht, abgesehen von Fällen, wo die Anklage auf Hoch¬
verrat oder Streben nach der Alleinherrschaft lautete. Die Diktatur wurde
zwar zu dem Zwecke eingeführt, das Valerische Gesetz as xrovoog-tivris zeit¬
weise suspendieren und die meuternden Plebejer durch Anwendung des Kriegs¬
rechts innerhalb der Mauern zwangsweise aufheben zu können, aber gleich
vom ersten Diktator, Titus Lartius, wird gerühmt, daß er keinen Römer
weder getötet, noch verbannt, noch sonst geschädigt habe, und so haben auch
die übrigen Diktatoren ihre unumschränkte Gewalt mit Mäßigung gebraucht.
Als eine Verschwörung von Leuten entdeckt worden war, die die Stadt den
Tarquiniern ausliefern wollten, wurden die Verschwornen zwar hingerichtet,
aber, erzählt Dionys 5, 57, der Senat beschloß, daß alle Bürger gereinigt
werden müßten, weil sie genötigt gewesen seien, aus die Vergießung von Vürger¬
blnt zu erkennen; vor der Sühnung dieser Schuld sei es ihnen nicht erlaubt,
in den Tempeln zu erscheinen und Opfer darzubringen. So erkennt diese
heidnische Obrigkeit sich selbst schuldig wegen des im Drange der Not ver¬
gossenen Bürgerbluts; dem frommen Christen Theodosius mußte erst vom
Bischof Ambrosius gesagt werden, daß die Himnetzelung von 7000 meist völlig
schuldlosen Menschen im Theater zu Thessalonich ein Verbrechen sei, das vom
Gottesdienst ausschließe, und daß das der Bischof zu sagen wagte, wurde als
großartige Kühnheit allgemein bewundert. Ob Karl der Große wegen des
Blutbads an der Aller Gewissensbisse empfunden hat oder von einem seiner
Geistlichen getadelt worden ist, hat sein Biograph zu melden vergessen.

Wenn nun aber die beschriebne Unterordnung der Militürgewalt unter
die bürgerliche im modernen Großstaat nicht möglich ist, so bedeutet das nichts
andres, als daß wir auf die politische Freiheit haben verzichten müssen. Der
moderne Mensch mag sich im Privatleben viel freier bewegen als der durch
die Kleinheit seines Staats und durch strenge Sitte so vielfach gebundne Römer
in den ersten Jahrhunderten der Republik, politisch betrachtet ist er nur Unter¬
than. Sein bischen Teilnahme um der Gesetzgebung reicht nicht hin, ihn zur
Führung des Namens eines freien Bürgers zu berechtigten. Er wird von
Beamten regiert und von Richtern gerichtet, die er nicht gewählt hat, und
deren Amtsdauer er nicht bestimmt, und wenn er den Anordnungen dieser


Der Römerstaat

sein, und wurde, so oft wirklich Gefahr drohte, niemals bis zum äußersten
getrieben. Die Plebs wandte dieses Mittel an, um einen kräftigen Druck auf
die Privilegierten auszuüben, zog aber zuletzt doch jedesmal, wenn auch
murrend, gegen den drohenden Feind. Und beide Parteien beobachteten, wie
schon hervorgehoben worden ist, eine solche Müßigung und Selbstbeherrschung,
daß es niemals zum Blutvergießen kam. Weder hat sich die Schar, die auf
den heiligen Berg hinauszog, obwohl sie bewaffnet war, an einem ihrer Gegner
thätlich vergriffen, noch haben die mit unumschränkter Gewalt ausgerüsteten
hohen Beamten ihre Beile je wegen andrer als militärischer Disziplinarver¬
gehen in Vürgerblnt getaucht, abgesehen von Fällen, wo die Anklage auf Hoch¬
verrat oder Streben nach der Alleinherrschaft lautete. Die Diktatur wurde
zwar zu dem Zwecke eingeführt, das Valerische Gesetz as xrovoog-tivris zeit¬
weise suspendieren und die meuternden Plebejer durch Anwendung des Kriegs¬
rechts innerhalb der Mauern zwangsweise aufheben zu können, aber gleich
vom ersten Diktator, Titus Lartius, wird gerühmt, daß er keinen Römer
weder getötet, noch verbannt, noch sonst geschädigt habe, und so haben auch
die übrigen Diktatoren ihre unumschränkte Gewalt mit Mäßigung gebraucht.
Als eine Verschwörung von Leuten entdeckt worden war, die die Stadt den
Tarquiniern ausliefern wollten, wurden die Verschwornen zwar hingerichtet,
aber, erzählt Dionys 5, 57, der Senat beschloß, daß alle Bürger gereinigt
werden müßten, weil sie genötigt gewesen seien, aus die Vergießung von Vürger¬
blnt zu erkennen; vor der Sühnung dieser Schuld sei es ihnen nicht erlaubt,
in den Tempeln zu erscheinen und Opfer darzubringen. So erkennt diese
heidnische Obrigkeit sich selbst schuldig wegen des im Drange der Not ver¬
gossenen Bürgerbluts; dem frommen Christen Theodosius mußte erst vom
Bischof Ambrosius gesagt werden, daß die Himnetzelung von 7000 meist völlig
schuldlosen Menschen im Theater zu Thessalonich ein Verbrechen sei, das vom
Gottesdienst ausschließe, und daß das der Bischof zu sagen wagte, wurde als
großartige Kühnheit allgemein bewundert. Ob Karl der Große wegen des
Blutbads an der Aller Gewissensbisse empfunden hat oder von einem seiner
Geistlichen getadelt worden ist, hat sein Biograph zu melden vergessen.

Wenn nun aber die beschriebne Unterordnung der Militürgewalt unter
die bürgerliche im modernen Großstaat nicht möglich ist, so bedeutet das nichts
andres, als daß wir auf die politische Freiheit haben verzichten müssen. Der
moderne Mensch mag sich im Privatleben viel freier bewegen als der durch
die Kleinheit seines Staats und durch strenge Sitte so vielfach gebundne Römer
in den ersten Jahrhunderten der Republik, politisch betrachtet ist er nur Unter¬
than. Sein bischen Teilnahme um der Gesetzgebung reicht nicht hin, ihn zur
Führung des Namens eines freien Bürgers zu berechtigten. Er wird von
Beamten regiert und von Richtern gerichtet, die er nicht gewählt hat, und
deren Amtsdauer er nicht bestimmt, und wenn er den Anordnungen dieser


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0318" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231488"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_991" prev="#ID_990"> sein, und wurde, so oft wirklich Gefahr drohte, niemals bis zum äußersten<lb/>
getrieben. Die Plebs wandte dieses Mittel an, um einen kräftigen Druck auf<lb/>
die Privilegierten auszuüben, zog aber zuletzt doch jedesmal, wenn auch<lb/>
murrend, gegen den drohenden Feind. Und beide Parteien beobachteten, wie<lb/>
schon hervorgehoben worden ist, eine solche Müßigung und Selbstbeherrschung,<lb/>
daß es niemals zum Blutvergießen kam. Weder hat sich die Schar, die auf<lb/>
den heiligen Berg hinauszog, obwohl sie bewaffnet war, an einem ihrer Gegner<lb/>
thätlich vergriffen, noch haben die mit unumschränkter Gewalt ausgerüsteten<lb/>
hohen Beamten ihre Beile je wegen andrer als militärischer Disziplinarver¬<lb/>
gehen in Vürgerblnt getaucht, abgesehen von Fällen, wo die Anklage auf Hoch¬<lb/>
verrat oder Streben nach der Alleinherrschaft lautete. Die Diktatur wurde<lb/>
zwar zu dem Zwecke eingeführt, das Valerische Gesetz as xrovoog-tivris zeit¬<lb/>
weise suspendieren und die meuternden Plebejer durch Anwendung des Kriegs¬<lb/>
rechts innerhalb der Mauern zwangsweise aufheben zu können, aber gleich<lb/>
vom ersten Diktator, Titus Lartius, wird gerühmt, daß er keinen Römer<lb/>
weder getötet, noch verbannt, noch sonst geschädigt habe, und so haben auch<lb/>
die übrigen Diktatoren ihre unumschränkte Gewalt mit Mäßigung gebraucht.<lb/>
Als eine Verschwörung von Leuten entdeckt worden war, die die Stadt den<lb/>
Tarquiniern ausliefern wollten, wurden die Verschwornen zwar hingerichtet,<lb/>
aber, erzählt Dionys 5, 57, der Senat beschloß, daß alle Bürger gereinigt<lb/>
werden müßten, weil sie genötigt gewesen seien, aus die Vergießung von Vürger¬<lb/>
blnt zu erkennen; vor der Sühnung dieser Schuld sei es ihnen nicht erlaubt,<lb/>
in den Tempeln zu erscheinen und Opfer darzubringen. So erkennt diese<lb/>
heidnische Obrigkeit sich selbst schuldig wegen des im Drange der Not ver¬<lb/>
gossenen Bürgerbluts; dem frommen Christen Theodosius mußte erst vom<lb/>
Bischof Ambrosius gesagt werden, daß die Himnetzelung von 7000 meist völlig<lb/>
schuldlosen Menschen im Theater zu Thessalonich ein Verbrechen sei, das vom<lb/>
Gottesdienst ausschließe, und daß das der Bischof zu sagen wagte, wurde als<lb/>
großartige Kühnheit allgemein bewundert. Ob Karl der Große wegen des<lb/>
Blutbads an der Aller Gewissensbisse empfunden hat oder von einem seiner<lb/>
Geistlichen getadelt worden ist, hat sein Biograph zu melden vergessen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_992" next="#ID_993"> Wenn nun aber die beschriebne Unterordnung der Militürgewalt unter<lb/>
die bürgerliche im modernen Großstaat nicht möglich ist, so bedeutet das nichts<lb/>
andres, als daß wir auf die politische Freiheit haben verzichten müssen. Der<lb/>
moderne Mensch mag sich im Privatleben viel freier bewegen als der durch<lb/>
die Kleinheit seines Staats und durch strenge Sitte so vielfach gebundne Römer<lb/>
in den ersten Jahrhunderten der Republik, politisch betrachtet ist er nur Unter¬<lb/>
than. Sein bischen Teilnahme um der Gesetzgebung reicht nicht hin, ihn zur<lb/>
Führung des Namens eines freien Bürgers zu berechtigten. Er wird von<lb/>
Beamten regiert und von Richtern gerichtet, die er nicht gewählt hat, und<lb/>
deren Amtsdauer er nicht bestimmt, und wenn er den Anordnungen dieser</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0318] Der Römerstaat sein, und wurde, so oft wirklich Gefahr drohte, niemals bis zum äußersten getrieben. Die Plebs wandte dieses Mittel an, um einen kräftigen Druck auf die Privilegierten auszuüben, zog aber zuletzt doch jedesmal, wenn auch murrend, gegen den drohenden Feind. Und beide Parteien beobachteten, wie schon hervorgehoben worden ist, eine solche Müßigung und Selbstbeherrschung, daß es niemals zum Blutvergießen kam. Weder hat sich die Schar, die auf den heiligen Berg hinauszog, obwohl sie bewaffnet war, an einem ihrer Gegner thätlich vergriffen, noch haben die mit unumschränkter Gewalt ausgerüsteten hohen Beamten ihre Beile je wegen andrer als militärischer Disziplinarver¬ gehen in Vürgerblnt getaucht, abgesehen von Fällen, wo die Anklage auf Hoch¬ verrat oder Streben nach der Alleinherrschaft lautete. Die Diktatur wurde zwar zu dem Zwecke eingeführt, das Valerische Gesetz as xrovoog-tivris zeit¬ weise suspendieren und die meuternden Plebejer durch Anwendung des Kriegs¬ rechts innerhalb der Mauern zwangsweise aufheben zu können, aber gleich vom ersten Diktator, Titus Lartius, wird gerühmt, daß er keinen Römer weder getötet, noch verbannt, noch sonst geschädigt habe, und so haben auch die übrigen Diktatoren ihre unumschränkte Gewalt mit Mäßigung gebraucht. Als eine Verschwörung von Leuten entdeckt worden war, die die Stadt den Tarquiniern ausliefern wollten, wurden die Verschwornen zwar hingerichtet, aber, erzählt Dionys 5, 57, der Senat beschloß, daß alle Bürger gereinigt werden müßten, weil sie genötigt gewesen seien, aus die Vergießung von Vürger¬ blnt zu erkennen; vor der Sühnung dieser Schuld sei es ihnen nicht erlaubt, in den Tempeln zu erscheinen und Opfer darzubringen. So erkennt diese heidnische Obrigkeit sich selbst schuldig wegen des im Drange der Not ver¬ gossenen Bürgerbluts; dem frommen Christen Theodosius mußte erst vom Bischof Ambrosius gesagt werden, daß die Himnetzelung von 7000 meist völlig schuldlosen Menschen im Theater zu Thessalonich ein Verbrechen sei, das vom Gottesdienst ausschließe, und daß das der Bischof zu sagen wagte, wurde als großartige Kühnheit allgemein bewundert. Ob Karl der Große wegen des Blutbads an der Aller Gewissensbisse empfunden hat oder von einem seiner Geistlichen getadelt worden ist, hat sein Biograph zu melden vergessen. Wenn nun aber die beschriebne Unterordnung der Militürgewalt unter die bürgerliche im modernen Großstaat nicht möglich ist, so bedeutet das nichts andres, als daß wir auf die politische Freiheit haben verzichten müssen. Der moderne Mensch mag sich im Privatleben viel freier bewegen als der durch die Kleinheit seines Staats und durch strenge Sitte so vielfach gebundne Römer in den ersten Jahrhunderten der Republik, politisch betrachtet ist er nur Unter¬ than. Sein bischen Teilnahme um der Gesetzgebung reicht nicht hin, ihn zur Führung des Namens eines freien Bürgers zu berechtigten. Er wird von Beamten regiert und von Richtern gerichtet, die er nicht gewählt hat, und deren Amtsdauer er nicht bestimmt, und wenn er den Anordnungen dieser

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/318
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/318>, abgerufen am 15.01.2025.