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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

geklagten Konsular Servilius in seiner Verteidigungsrede unter anderm sagen:
"Dahin ist es bei uns gekommen, daß wir den Krieg dem Frieden vorziehen,
da wir im Kriege nur unsre Feinde, im Frieden aber unsre Mitbürger
schädigen." Auch kam es vor, daß der Konsul oder der Diktator die Truppen
nach Beendigung des Feldzugs noch bei den Fahnen behielt, um die Bürger
unter Kriegsrecht zu stellen und so den Ausbruch neuer innerer Unruhen zu
verhindern oder wenigstens hinauszuschieben. Dieses Manöver bekam jedoch
den Vätern das einemal schlecht: der Römer hielt zwar den Fahneneid heilig
und hätte seine Fahne um keinen Preis im Stich gelassen, aber er war nicht
der Ansicht, daß ein andrer als er selbst darüber zu entscheiden habe, welche
Richtung seine Fahne einschlagen solle, und so marschierte er denn im Jahre 494
mit seiner Fahne auf den heiligen Berg. Überhaupt scheint den Vätern ihre
Taktik manchmal zweifelhaft geworden zu sein. Während sie sich gewöhnlich
über eine Kriegsgelegenheit freuen, finden sie nach Livius im Jahre 438 den
Frieden vorteilhaft; die Tribunen erreichen in diesem Jahre nichts und werden
ausgelacht, als sie mit Verhinderung der Aushebungen drohen, da man ja
keine Soldaten brauche. Und manchmal wurde im Kriege die Mißstimmung
der Bürger wirklich gefährlich. Im Jahre 479, wird erzählt, sei das Heer
des beliebten Spurius Furius vou seinem Zuge gegen die Vejenter mit reicher
Beute zurückgekehrt, die Legionen des Cüso Fabius dagegen, die gegen die
Äquer gezogen seien, Hütten aus Haß gegen ihren Anführer im offnen Felde
gemeutert und dafür gesorgt, daß der Zug ganz ergebnislos verlaufen sei.
Einmal wurde gegen die Meuterer ein Verfahren eingeschlagen, das sich nicht
zur Regel machen ließ, wenn man die Bürgerschaft nicht zu Grunde richten
wollte. Als im Jahre 483 der Tribune Mcmius, um eine Ackerverteilung
zu erzwingen, die Aushebung hinderte, da stellten die Konsuln vor der Stadt,
bis wohin die Amtsgewalt der Tribunen nicht reichte, ihre Amtsstühle auf
und befahlen, daß man den Bauern, die der Aushebung nicht Folge leisteten,
die Äcker verwüste und die Höfe zerstöre, denen aber, die Pachtgüter bewirt¬
schafteten, das Vieh und die Ackergeräte wegnehme.

Es liegt auf der Hand, daß ein Großstaat heutiger Zeit nicht bestehn
könnte, wenn die Erfüllung der Dienstpflicht in die Willkür der Bürger ge¬
stellt wäre, und jede Entzweiung der Staatsangehörigen sich in die Regimenter
fortpflanzte. Sogar der kleine Römerstaat würde an dieser Verfassung zu
Grunde gegangen sein, wenn seine Bürgerschaft nicht von einem Geiste der Gesetz¬
lichkeit und des Patriotismus beseelt gewesen wäre, der stark genug war, die
aus der Verfassung entspringenden Schwierigkeiten zu überwinden, und der in
gleich hohem Grade wohl keinem andern Volke eigen gewesen ist. Von Fällen
eines gesetzwidrigen Ungehorsams wird außer der oben erwähnten Meuterei
der Truppen des Caso Fabius keiner berichtet; die Weigerung, dem Aushebungs¬
befehl zu folgen, scheint von beiden Teilen für berechtigt angesehen worden zu


Der Römerstaat

geklagten Konsular Servilius in seiner Verteidigungsrede unter anderm sagen:
„Dahin ist es bei uns gekommen, daß wir den Krieg dem Frieden vorziehen,
da wir im Kriege nur unsre Feinde, im Frieden aber unsre Mitbürger
schädigen." Auch kam es vor, daß der Konsul oder der Diktator die Truppen
nach Beendigung des Feldzugs noch bei den Fahnen behielt, um die Bürger
unter Kriegsrecht zu stellen und so den Ausbruch neuer innerer Unruhen zu
verhindern oder wenigstens hinauszuschieben. Dieses Manöver bekam jedoch
den Vätern das einemal schlecht: der Römer hielt zwar den Fahneneid heilig
und hätte seine Fahne um keinen Preis im Stich gelassen, aber er war nicht
der Ansicht, daß ein andrer als er selbst darüber zu entscheiden habe, welche
Richtung seine Fahne einschlagen solle, und so marschierte er denn im Jahre 494
mit seiner Fahne auf den heiligen Berg. Überhaupt scheint den Vätern ihre
Taktik manchmal zweifelhaft geworden zu sein. Während sie sich gewöhnlich
über eine Kriegsgelegenheit freuen, finden sie nach Livius im Jahre 438 den
Frieden vorteilhaft; die Tribunen erreichen in diesem Jahre nichts und werden
ausgelacht, als sie mit Verhinderung der Aushebungen drohen, da man ja
keine Soldaten brauche. Und manchmal wurde im Kriege die Mißstimmung
der Bürger wirklich gefährlich. Im Jahre 479, wird erzählt, sei das Heer
des beliebten Spurius Furius vou seinem Zuge gegen die Vejenter mit reicher
Beute zurückgekehrt, die Legionen des Cüso Fabius dagegen, die gegen die
Äquer gezogen seien, Hütten aus Haß gegen ihren Anführer im offnen Felde
gemeutert und dafür gesorgt, daß der Zug ganz ergebnislos verlaufen sei.
Einmal wurde gegen die Meuterer ein Verfahren eingeschlagen, das sich nicht
zur Regel machen ließ, wenn man die Bürgerschaft nicht zu Grunde richten
wollte. Als im Jahre 483 der Tribune Mcmius, um eine Ackerverteilung
zu erzwingen, die Aushebung hinderte, da stellten die Konsuln vor der Stadt,
bis wohin die Amtsgewalt der Tribunen nicht reichte, ihre Amtsstühle auf
und befahlen, daß man den Bauern, die der Aushebung nicht Folge leisteten,
die Äcker verwüste und die Höfe zerstöre, denen aber, die Pachtgüter bewirt¬
schafteten, das Vieh und die Ackergeräte wegnehme.

Es liegt auf der Hand, daß ein Großstaat heutiger Zeit nicht bestehn
könnte, wenn die Erfüllung der Dienstpflicht in die Willkür der Bürger ge¬
stellt wäre, und jede Entzweiung der Staatsangehörigen sich in die Regimenter
fortpflanzte. Sogar der kleine Römerstaat würde an dieser Verfassung zu
Grunde gegangen sein, wenn seine Bürgerschaft nicht von einem Geiste der Gesetz¬
lichkeit und des Patriotismus beseelt gewesen wäre, der stark genug war, die
aus der Verfassung entspringenden Schwierigkeiten zu überwinden, und der in
gleich hohem Grade wohl keinem andern Volke eigen gewesen ist. Von Fällen
eines gesetzwidrigen Ungehorsams wird außer der oben erwähnten Meuterei
der Truppen des Caso Fabius keiner berichtet; die Weigerung, dem Aushebungs¬
befehl zu folgen, scheint von beiden Teilen für berechtigt angesehen worden zu


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[0317] Der Römerstaat geklagten Konsular Servilius in seiner Verteidigungsrede unter anderm sagen: „Dahin ist es bei uns gekommen, daß wir den Krieg dem Frieden vorziehen, da wir im Kriege nur unsre Feinde, im Frieden aber unsre Mitbürger schädigen." Auch kam es vor, daß der Konsul oder der Diktator die Truppen nach Beendigung des Feldzugs noch bei den Fahnen behielt, um die Bürger unter Kriegsrecht zu stellen und so den Ausbruch neuer innerer Unruhen zu verhindern oder wenigstens hinauszuschieben. Dieses Manöver bekam jedoch den Vätern das einemal schlecht: der Römer hielt zwar den Fahneneid heilig und hätte seine Fahne um keinen Preis im Stich gelassen, aber er war nicht der Ansicht, daß ein andrer als er selbst darüber zu entscheiden habe, welche Richtung seine Fahne einschlagen solle, und so marschierte er denn im Jahre 494 mit seiner Fahne auf den heiligen Berg. Überhaupt scheint den Vätern ihre Taktik manchmal zweifelhaft geworden zu sein. Während sie sich gewöhnlich über eine Kriegsgelegenheit freuen, finden sie nach Livius im Jahre 438 den Frieden vorteilhaft; die Tribunen erreichen in diesem Jahre nichts und werden ausgelacht, als sie mit Verhinderung der Aushebungen drohen, da man ja keine Soldaten brauche. Und manchmal wurde im Kriege die Mißstimmung der Bürger wirklich gefährlich. Im Jahre 479, wird erzählt, sei das Heer des beliebten Spurius Furius vou seinem Zuge gegen die Vejenter mit reicher Beute zurückgekehrt, die Legionen des Cüso Fabius dagegen, die gegen die Äquer gezogen seien, Hütten aus Haß gegen ihren Anführer im offnen Felde gemeutert und dafür gesorgt, daß der Zug ganz ergebnislos verlaufen sei. Einmal wurde gegen die Meuterer ein Verfahren eingeschlagen, das sich nicht zur Regel machen ließ, wenn man die Bürgerschaft nicht zu Grunde richten wollte. Als im Jahre 483 der Tribune Mcmius, um eine Ackerverteilung zu erzwingen, die Aushebung hinderte, da stellten die Konsuln vor der Stadt, bis wohin die Amtsgewalt der Tribunen nicht reichte, ihre Amtsstühle auf und befahlen, daß man den Bauern, die der Aushebung nicht Folge leisteten, die Äcker verwüste und die Höfe zerstöre, denen aber, die Pachtgüter bewirt¬ schafteten, das Vieh und die Ackergeräte wegnehme. Es liegt auf der Hand, daß ein Großstaat heutiger Zeit nicht bestehn könnte, wenn die Erfüllung der Dienstpflicht in die Willkür der Bürger ge¬ stellt wäre, und jede Entzweiung der Staatsangehörigen sich in die Regimenter fortpflanzte. Sogar der kleine Römerstaat würde an dieser Verfassung zu Grunde gegangen sein, wenn seine Bürgerschaft nicht von einem Geiste der Gesetz¬ lichkeit und des Patriotismus beseelt gewesen wäre, der stark genug war, die aus der Verfassung entspringenden Schwierigkeiten zu überwinden, und der in gleich hohem Grade wohl keinem andern Volke eigen gewesen ist. Von Fällen eines gesetzwidrigen Ungehorsams wird außer der oben erwähnten Meuterei der Truppen des Caso Fabius keiner berichtet; die Weigerung, dem Aushebungs¬ befehl zu folgen, scheint von beiden Teilen für berechtigt angesehen worden zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/317>, abgerufen am 15.01.2025.