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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnernngeit

das war auch vier oder sechs Wochen früher möglich. Andrerseits konnte eine
solche Auffassung der militärischen Sachlage dnrch die "Humanitären" Einflüsse
hochgestellter Damen nur bestärkt werden.

Daß die Gereiztheit, der Vismack Ausdruck gab, von der andern Seite
einen starken Wiederhall fand, war natürlich, denn beide Teile glaubten im
Rechte zu sein und pflichtgemäß zu handeln. "Die Schlachtenbummler räson¬
nieren, die das Kriegsleben ohne Verantwortung und Sachkenntnis mitmachen,"
schreibt der Kronprinz am 28. November. "Ich biete jedem, der mir davon
>von der Beschleunigung der Beschießung^ redet, das Kommando an," und er
that das wirklich in diesen Tagen gegenüber Bismarck, der am liebsten darauf
geantwortet hätte oder auch wirklich geantwortet hat: "Ich bin bereit, es an¬
zunehmen, für vierundzwanzig Stunden." ^) Auch Blumenthal will nicht hören
auf "die Stimmen militärisch unwissender, hinterm grünen Tisch sitzender Leute
im In- und Auslande," und selbst Moltke verwahrt sich gegen das Hinein¬
tragen "politischer Momente, die nur insoweit Berücksichtigung finden" können,
als sie nicht etwas militärisch Unzulässiges oder Unmögliches beanspruchend)
Die Behauptung, daß nichtmilitärische Rücksichten mit im Spiele seien, um
die Beschießung zu verzögern, machte auf ihn keinen Eindruck. "Aus den
Zeitungen und Zuschriften sehe ich, schreibt er am 18. Dezember, daß man in
der Heimat glaubt, daß wir das feindliche Feuer bis jetzt nicht beantworten
aus zarter Rücksicht auf Paris oder gar auf Verwendung hoher Persönlich¬
keiten. Das ist durchaus nicht der Fall; es geschieht, was zweckmäßig und
ausführbar."

Endlich brachte Bismarcks Energie auch diese stockende Sache in Fluß.
Nachdem persönliche Vorstellungen bei Blumenthal (28. November) und beim
Kronprinzen natürlich keinen Erfolg gehabt hatten, reichte er beim König gegen
Ende November einen Jmmediatbericht über die Frage ein, zu Novus größter
Genugthuung. Daraufhin richtete der König, nachdem er sich schon drei
Tage vorher von Hindersin und Kleist hatte Vortrag halten lassen und zu
seinem "Erstaunen" erfahren hatte, daß der ursprüngliche Termin (Anfang
Dezember) nicht eingehalten werden und der Angriff "nicht vor Ende Dezember,
ja Anfang Januar" beginnen könne, am 28. November in fast scharfem Tone
ein Schreiben an Moltke, in dessen Gedankengang man Bismarcks Denkschrift
wird wiederfinden dürfen. Diese Verzögerung errege ihm "die allergrößten
Bedenken, sowohl in militärischer als politischer Hinsicht." Deshalb fühle er
sich "verpflichtet," die Frage der Beschleunigung des Angriffs auf die süd¬
lichen Forts des Entschiedensten in die Hand zu nehmen und den schleunigsten




-) Busch I, 440, 5M.
-) Moltke, Militärische Korrespondenz 447, Beilage zu Ur. 486 und Ur. 454. Briefe II,
179. Die Gereiztheit wuchs, als Bismarck seinen Willen endlich durchgesetzt hatte, Roon vom
25. Dezember, Denkwürdigkeiten IU>, 271.
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnernngeit

das war auch vier oder sechs Wochen früher möglich. Andrerseits konnte eine
solche Auffassung der militärischen Sachlage dnrch die „Humanitären" Einflüsse
hochgestellter Damen nur bestärkt werden.

Daß die Gereiztheit, der Vismack Ausdruck gab, von der andern Seite
einen starken Wiederhall fand, war natürlich, denn beide Teile glaubten im
Rechte zu sein und pflichtgemäß zu handeln. „Die Schlachtenbummler räson¬
nieren, die das Kriegsleben ohne Verantwortung und Sachkenntnis mitmachen,"
schreibt der Kronprinz am 28. November. „Ich biete jedem, der mir davon
>von der Beschleunigung der Beschießung^ redet, das Kommando an," und er
that das wirklich in diesen Tagen gegenüber Bismarck, der am liebsten darauf
geantwortet hätte oder auch wirklich geantwortet hat: „Ich bin bereit, es an¬
zunehmen, für vierundzwanzig Stunden." ^) Auch Blumenthal will nicht hören
auf „die Stimmen militärisch unwissender, hinterm grünen Tisch sitzender Leute
im In- und Auslande," und selbst Moltke verwahrt sich gegen das Hinein¬
tragen „politischer Momente, die nur insoweit Berücksichtigung finden" können,
als sie nicht etwas militärisch Unzulässiges oder Unmögliches beanspruchend)
Die Behauptung, daß nichtmilitärische Rücksichten mit im Spiele seien, um
die Beschießung zu verzögern, machte auf ihn keinen Eindruck. „Aus den
Zeitungen und Zuschriften sehe ich, schreibt er am 18. Dezember, daß man in
der Heimat glaubt, daß wir das feindliche Feuer bis jetzt nicht beantworten
aus zarter Rücksicht auf Paris oder gar auf Verwendung hoher Persönlich¬
keiten. Das ist durchaus nicht der Fall; es geschieht, was zweckmäßig und
ausführbar."

Endlich brachte Bismarcks Energie auch diese stockende Sache in Fluß.
Nachdem persönliche Vorstellungen bei Blumenthal (28. November) und beim
Kronprinzen natürlich keinen Erfolg gehabt hatten, reichte er beim König gegen
Ende November einen Jmmediatbericht über die Frage ein, zu Novus größter
Genugthuung. Daraufhin richtete der König, nachdem er sich schon drei
Tage vorher von Hindersin und Kleist hatte Vortrag halten lassen und zu
seinem „Erstaunen" erfahren hatte, daß der ursprüngliche Termin (Anfang
Dezember) nicht eingehalten werden und der Angriff „nicht vor Ende Dezember,
ja Anfang Januar" beginnen könne, am 28. November in fast scharfem Tone
ein Schreiben an Moltke, in dessen Gedankengang man Bismarcks Denkschrift
wird wiederfinden dürfen. Diese Verzögerung errege ihm „die allergrößten
Bedenken, sowohl in militärischer als politischer Hinsicht." Deshalb fühle er
sich „verpflichtet," die Frage der Beschleunigung des Angriffs auf die süd¬
lichen Forts des Entschiedensten in die Hand zu nehmen und den schleunigsten




-) Busch I, 440, 5M.
-) Moltke, Militärische Korrespondenz 447, Beilage zu Ur. 486 und Ur. 454. Briefe II,
179. Die Gereiztheit wuchs, als Bismarck seinen Willen endlich durchgesetzt hatte, Roon vom
25. Dezember, Denkwürdigkeiten IU>, 271.
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[0304] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnernngeit das war auch vier oder sechs Wochen früher möglich. Andrerseits konnte eine solche Auffassung der militärischen Sachlage dnrch die „Humanitären" Einflüsse hochgestellter Damen nur bestärkt werden. Daß die Gereiztheit, der Vismack Ausdruck gab, von der andern Seite einen starken Wiederhall fand, war natürlich, denn beide Teile glaubten im Rechte zu sein und pflichtgemäß zu handeln. „Die Schlachtenbummler räson¬ nieren, die das Kriegsleben ohne Verantwortung und Sachkenntnis mitmachen," schreibt der Kronprinz am 28. November. „Ich biete jedem, der mir davon >von der Beschleunigung der Beschießung^ redet, das Kommando an," und er that das wirklich in diesen Tagen gegenüber Bismarck, der am liebsten darauf geantwortet hätte oder auch wirklich geantwortet hat: „Ich bin bereit, es an¬ zunehmen, für vierundzwanzig Stunden." ^) Auch Blumenthal will nicht hören auf „die Stimmen militärisch unwissender, hinterm grünen Tisch sitzender Leute im In- und Auslande," und selbst Moltke verwahrt sich gegen das Hinein¬ tragen „politischer Momente, die nur insoweit Berücksichtigung finden" können, als sie nicht etwas militärisch Unzulässiges oder Unmögliches beanspruchend) Die Behauptung, daß nichtmilitärische Rücksichten mit im Spiele seien, um die Beschießung zu verzögern, machte auf ihn keinen Eindruck. „Aus den Zeitungen und Zuschriften sehe ich, schreibt er am 18. Dezember, daß man in der Heimat glaubt, daß wir das feindliche Feuer bis jetzt nicht beantworten aus zarter Rücksicht auf Paris oder gar auf Verwendung hoher Persönlich¬ keiten. Das ist durchaus nicht der Fall; es geschieht, was zweckmäßig und ausführbar." Endlich brachte Bismarcks Energie auch diese stockende Sache in Fluß. Nachdem persönliche Vorstellungen bei Blumenthal (28. November) und beim Kronprinzen natürlich keinen Erfolg gehabt hatten, reichte er beim König gegen Ende November einen Jmmediatbericht über die Frage ein, zu Novus größter Genugthuung. Daraufhin richtete der König, nachdem er sich schon drei Tage vorher von Hindersin und Kleist hatte Vortrag halten lassen und zu seinem „Erstaunen" erfahren hatte, daß der ursprüngliche Termin (Anfang Dezember) nicht eingehalten werden und der Angriff „nicht vor Ende Dezember, ja Anfang Januar" beginnen könne, am 28. November in fast scharfem Tone ein Schreiben an Moltke, in dessen Gedankengang man Bismarcks Denkschrift wird wiederfinden dürfen. Diese Verzögerung errege ihm „die allergrößten Bedenken, sowohl in militärischer als politischer Hinsicht." Deshalb fühle er sich „verpflichtet," die Frage der Beschleunigung des Angriffs auf die süd¬ lichen Forts des Entschiedensten in die Hand zu nehmen und den schleunigsten -) Busch I, 440, 5M. -) Moltke, Militärische Korrespondenz 447, Beilage zu Ur. 486 und Ur. 454. Briefe II, 179. Die Gereiztheit wuchs, als Bismarck seinen Willen endlich durchgesetzt hatte, Roon vom 25. Dezember, Denkwürdigkeiten IU>, 271.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/304>, abgerufen am 15.01.2025.