Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Skizzen aus unser", heutigen Volksleben Um den vorteilhaften Eindruck nicht zu stören, den der Eifer der Bürger¬ Der Festtag, zwar nicht Scale Mnrien-Magdalenen-Abend, sondern irgend ein Gucke, Wäsche, gucke, gucke, dat is je Hinnrickes ihr Melkwagen. Un wat er für rode Räder haben bunt. Un, gucke, gucke, Dortchen Leiter doruppe. Wo eure? Nu dor up den Melkwagen achter de Schaultafel ut de Rekterklnsse, un, min Wat specie se denn vor? Ick wett et nich. Aber Vetter Kamel seggt, se Speck de heilge Einfalt. Der Zug bewegte sich seinem Ziele, dem Anger, zu, uicht ohne Stockungen. Auf dem Festplatze war, als der Zug anlangte und sich vor dem Festzelte Grenzboten III 1899 36
Skizzen aus unser», heutigen Volksleben Um den vorteilhaften Eindruck nicht zu stören, den der Eifer der Bürger¬ Der Festtag, zwar nicht Scale Mnrien-Magdalenen-Abend, sondern irgend ein Gucke, Wäsche, gucke, gucke, dat is je Hinnrickes ihr Melkwagen. Un wat er für rode Räder haben bunt. Un, gucke, gucke, Dortchen Leiter doruppe. Wo eure? Nu dor up den Melkwagen achter de Schaultafel ut de Rekterklnsse, un, min Wat specie se denn vor? Ick wett et nich. Aber Vetter Kamel seggt, se Speck de heilge Einfalt. Der Zug bewegte sich seinem Ziele, dem Anger, zu, uicht ohne Stockungen. Auf dem Festplatze war, als der Zug anlangte und sich vor dem Festzelte Grenzboten III 1899 36
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Skizzen aus unser», heutigen Volksleben
Um den vorteilhaften Eindruck nicht zu stören, den der Eifer der Bürger¬
schaft bei den Zurüstungen zu ihrem Stadtjnbilänm unzweifelhaft macht, übergehe
ich die Verhandlungen des Magistrats mit den vorgesetzten Behörden wegen Be¬
teiligung dieser Behörden an der Feier und will nur bemerken, daß es in der
Stadt allgemein für unbegreiflich gehalten wurde, wie diese vorgesetzten Behörden
behaupten konnten, das Jubiläum sei durch die Schenkungsurkunde uicht genügend
motiviert. Und so kam denn zum Feste kein Regierungsrat — nicht einmal der
Herr Landrnt —, und es gab keine Orden für Leute, die das Verdienst hatten,
fünfhundert Jahre nach der Gründung der Stadt zu leben.
Der Festtag, zwar nicht Scale Mnrien-Magdalenen-Abend, sondern irgend ein
andrer Tag, war gekommen. Die Kunde von den bevorstehenden großen Ereig¬
nissen war in die Weite gedrungen. Die ländliche Bevölkerung der Umgegend
Wallfahrtete zu Fuß und zu Wagen in die Stadt. Die Wirte wollten sich von
früh an im Leibe zerreißen, und die Bürger sahen mit Befriedigung, welche Be¬
deutung ihre Stadt in der Welt hatte. Die Straßen der Stadt, besonders der
Markt und die breite Gasse waren „feenhaft" geschmückt. Die Bürger und der
Stadtrnt hatten sich selbst übertroffen, und von früh an standen Neugierige am
Wege, um zu erwarten, was kommen werde. Von zwölf Uhr um, denn in Schmalz¬
leben ißt mau nach alter guter Sitte hübsch zeitig, versammelten sich auf das vom
Hornisten der Feuerwehr geblaseue Signal: „Das Ganze sammeln" die Teilnehmer
des Festzugs am Stadtgraben. Jeder Ritter oder Ratsherr, der über die Straße
ging, machte bei der Jugend Sensation. Die Jungens wußten schließlich nicht
mehr, wem sie nachlaufen sollten. Bis sich der Festzug in Bewegung setzte, ver¬
ging freilich noch lange Zeit, aber endlich war man fertig, und der Zug bewegte
sich, wahrend man von der Spitze her etliche Töne und Paukenschläge der Stadt¬
musik hörte, stumm und würdevoll durch die Stadt und vor der staunenden Zu-
schauermenge vorüber, die sich ihre Bemerkungen zuflüsterte.
Gucke, Wäsche, gucke, gucke, dat is je Hinnrickes ihr Melkwagen.
Un wat er für rode Räder haben bunt.
Un, gucke, gucke, Dortchen Leiter doruppe.
Wo eure?
Nu dor up den Melkwagen achter de Schaultafel ut de Rekterklnsse, un, min
Gott, wat is se nppetakelt.
Wat specie se denn vor?
Ick wett et nich. Aber Vetter Kamel seggt, se Speck de heilge Einfalt.
Der Zug bewegte sich seinem Ziele, dem Anger, zu, uicht ohne Stockungen.
Diese wurden von den Trägern des schweren Steins verursacht, die von Zeit zu
Zeit niedersetzen mußten, um zu verschnaufen, und die zuletzt lästerlich fluchten und
erklärte», der Deibel möge sie lotweise holen, wenn sie das Untier von Stein
weiter schleppten. Glücklicherweise fanden sich Freiwillige, die tragen halfen. Am
Ende des Zuges, da wo das große Bierfaß gefahren wurde, herrschte Unordnung,
denn dort wurde vom Wagen aus ans Volk Bier verschenkt. Und hinter August
Kicserliug seinem lahmen Pferde und wackeligen Wagen lief die Jugend her und
saug die oft gehörte Melodie: Alte Töpfe! alte Öfen! alt A—ihm.
Auf dem Festplatze war, als der Zug anlangte und sich vor dem Festzelte
aufstellte, das Volksfest schon in vollem Gange, die Karussells Paukteu und klingelten,
die Ausrufer und Verkäufer brüllten, und aus einer Menagerie erklangen grausam
schreckliche Töne, teils von Blechinstrumenten, teils von Bestien herrührend, und
über das Ganze zog eine Wolke von Staub und ein brenzlig-fettiger Geruch.
Grenzboten III 1899 36
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