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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Brauche" wir fremdes Brotkorn?

und Weizen nur zur Vrotbereitung bestimmt seien. Er habe schon im Jahre
1880 dem Fürsten Bismarck gegenüber geltend gemacht, daß auf 14 Gütern
der verschiedensten Gegenden und mit ungleichen Wirtschaftsmethoden, deren
Resultate ihm vorgelegt worden seien, nicht weniger als 22,2 Prozent des
Ertrags nach Abzug der Aussaat -- und zwar im Durchschnitt von fünf
Jahren -- an Ort und Stelle an das Vieh verbraucht worden wären, wobei
von den übrig bleibenden 77,8 Prozent noch mindestens weitere 15 Prozent
als Kleie der menschlichen Nahrung entzogen würden, sodaß auf diesen Gütern
nnr etwa 60 Prozent des geernteten Weizens und Roggens als Mehl und
Brot dem Menschen zu gute kämen, 40 Prozent den Tieren. -- Fürst Bismarck
habe 1879 schon von dem kleinen Einfuhrzoll die Beseitigung des Imports
erwartet. So wenig das damals eingetreten sei und auch die spätern sehr
hohen Zölle gar keinen nachhaltigen Einfluß darauf gehabt hätten, würden
sich auch alle weitern künstlichen Eingriffe gegenüber der Gewalt des that¬
sächlichen Bedarfs wirkungslos erweisen. Daß der deutsche Boden wohl im¬
stande sei, an Getreide hervorzubringen, was die jetzige Bevölkerung gebrauche,
darau sei nicht zu zweifeln. Aber ebenso erwiesen sei es, daß dazu eine
Intelligenz gehöre, die der großen Masse der deutschen Landwirte bis jetzt
noch fehle. Bis man sie hinreichend gehoben haben werde, werde wohl so viel
Zeit vergangen sein, daß durch die Volkszunahme der Bedarf wieder um ein
Beträchtliches gesteigert sei.

"Nur nach der einen Richtung -- so schließt Conrad seine Kritik --
legen wir den Ausführungen Gewicht bei, indem daraus hervorgeht, daß man
in agrarischen Kreisen die Gefahr eines Getreidemangels für Deutschland im
Falle eines lungern Kriegs und Absperrung der Grenzen nicht anerkennt, wie
sie wiederholt von Rudolf Meyer und auch in den Neichstagsverhandlungen
von verschiednen Rednern mit Emphase hervorgehoben wurde, und das wollen
wir hiermit ausdrücklich festnageln."

Es wird auf diese Nebenfrage, den Kriegsfall, noch zurückzukommen
sein. Sehen wir zunächst zu, wie sich Freiherr von der Goltz zu der Haupt¬
frage gestellt hat. Auch er hat es für nötig gehalten, in seinem neuste"
Werk: "Vorlesungen über Agrarwesen und Agrarpolitik" (Jena, Gustav
Fischer, 1899) ausdrücklich und unmittelbar den erwähnten Untersuchungen
des Laudwirtschaftsrats entgegen zu treten. Er habe (schon vorher S. 11)
eingehend nachgewiesen, heißt es auf Seite 263, daß Deutschland zur Er¬
nährung seiner Bevölkerung "sür absehbare Zeiten" die Einfuhr fremden Ge¬
treides nicht entbehren könne. Neuerdings sei dies in der Weise zu bestreiten
versucht worden, daß man berechnet habe, wie hoch der Brotbedarf der Be¬
völkerung sei, und dann auf Grund der Erntestatistik festgestellt habe, daß
dieser Bedarf durch die einheimische Produktion an Brodgetreide gedeckt werde,
indessen beruhe die angewandte Beweisführung auf unsicherer Grundlage und


Grenzboten III 189!) Z
Brauche» wir fremdes Brotkorn?

und Weizen nur zur Vrotbereitung bestimmt seien. Er habe schon im Jahre
1880 dem Fürsten Bismarck gegenüber geltend gemacht, daß auf 14 Gütern
der verschiedensten Gegenden und mit ungleichen Wirtschaftsmethoden, deren
Resultate ihm vorgelegt worden seien, nicht weniger als 22,2 Prozent des
Ertrags nach Abzug der Aussaat — und zwar im Durchschnitt von fünf
Jahren — an Ort und Stelle an das Vieh verbraucht worden wären, wobei
von den übrig bleibenden 77,8 Prozent noch mindestens weitere 15 Prozent
als Kleie der menschlichen Nahrung entzogen würden, sodaß auf diesen Gütern
nnr etwa 60 Prozent des geernteten Weizens und Roggens als Mehl und
Brot dem Menschen zu gute kämen, 40 Prozent den Tieren. — Fürst Bismarck
habe 1879 schon von dem kleinen Einfuhrzoll die Beseitigung des Imports
erwartet. So wenig das damals eingetreten sei und auch die spätern sehr
hohen Zölle gar keinen nachhaltigen Einfluß darauf gehabt hätten, würden
sich auch alle weitern künstlichen Eingriffe gegenüber der Gewalt des that¬
sächlichen Bedarfs wirkungslos erweisen. Daß der deutsche Boden wohl im¬
stande sei, an Getreide hervorzubringen, was die jetzige Bevölkerung gebrauche,
darau sei nicht zu zweifeln. Aber ebenso erwiesen sei es, daß dazu eine
Intelligenz gehöre, die der großen Masse der deutschen Landwirte bis jetzt
noch fehle. Bis man sie hinreichend gehoben haben werde, werde wohl so viel
Zeit vergangen sein, daß durch die Volkszunahme der Bedarf wieder um ein
Beträchtliches gesteigert sei.

„Nur nach der einen Richtung — so schließt Conrad seine Kritik —
legen wir den Ausführungen Gewicht bei, indem daraus hervorgeht, daß man
in agrarischen Kreisen die Gefahr eines Getreidemangels für Deutschland im
Falle eines lungern Kriegs und Absperrung der Grenzen nicht anerkennt, wie
sie wiederholt von Rudolf Meyer und auch in den Neichstagsverhandlungen
von verschiednen Rednern mit Emphase hervorgehoben wurde, und das wollen
wir hiermit ausdrücklich festnageln."

Es wird auf diese Nebenfrage, den Kriegsfall, noch zurückzukommen
sein. Sehen wir zunächst zu, wie sich Freiherr von der Goltz zu der Haupt¬
frage gestellt hat. Auch er hat es für nötig gehalten, in seinem neuste»
Werk: „Vorlesungen über Agrarwesen und Agrarpolitik" (Jena, Gustav
Fischer, 1899) ausdrücklich und unmittelbar den erwähnten Untersuchungen
des Laudwirtschaftsrats entgegen zu treten. Er habe (schon vorher S. 11)
eingehend nachgewiesen, heißt es auf Seite 263, daß Deutschland zur Er¬
nährung seiner Bevölkerung „sür absehbare Zeiten" die Einfuhr fremden Ge¬
treides nicht entbehren könne. Neuerdings sei dies in der Weise zu bestreiten
versucht worden, daß man berechnet habe, wie hoch der Brotbedarf der Be¬
völkerung sei, und dann auf Grund der Erntestatistik festgestellt habe, daß
dieser Bedarf durch die einheimische Produktion an Brodgetreide gedeckt werde,
indessen beruhe die angewandte Beweisführung auf unsicherer Grundlage und


Grenzboten III 189!) Z
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/25>, abgerufen am 15.01.2025.