Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Australien und die deutsche Rolonicilbewegimg und deutsche Dörfer, deutsche Kirchen und deutsche Schulen, dort werden In den Städten ist der Deutsche meist Geschäftsmann. Die Weltklugheit Australien und die deutsche Rolonicilbewegimg und deutsche Dörfer, deutsche Kirchen und deutsche Schulen, dort werden In den Städten ist der Deutsche meist Geschäftsmann. Die Weltklugheit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0203" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231373"/> <fw type="header" place="top"> Australien und die deutsche Rolonicilbewegimg</fw><lb/> <p xml:id="ID_635" prev="#ID_634"> und deutsche Dörfer, deutsche Kirchen und deutsche Schulen, dort werden<lb/> deutsche Zeitungen gelesen, und auch der politische Einfluß dieser deutschen<lb/> Bevölkerung ist noch so groß, daß mehrere deutsche Abgeordnete das Wohl<lb/> der Gesamtheit im Parlament mitberaten. Allmählich freilich müssen diese<lb/> Pflanzstätten deutscher Kultur doch dem Anglizismus verfallen, denn es fehlt<lb/> an einem Nachzuge aus der alten Heimat; mit jeder neuen Generation wird<lb/> auch das südaustralische Deutschtum weniger widerstandsfähig, ganz wie dies<lb/> den deutschen Zentren in Nordamerika ergangen ist und noch ergeht. Außer¬<lb/> halb Südaustraliens sind unsre australischen Landsleute leider ohne alle poli¬<lb/> tische und wirtschaftliche Organisation. Nur in den paar Großstädten ist es<lb/> zu einem Zusammenschluß deutscher Elemente gekommen, doch lediglich zu ge¬<lb/> selligen Zwecken. Auf dem Lande ist der Deutsche von englischen Nachbarn<lb/> umgeben; außerhalb seiner Familie hört er kaum einen heimatlichen Laut,<lb/> seine Kinder besuchen die englische Volksschule, und er muß schon ein sehr<lb/> energischer Hausvater sein, will er es durchsetzen, daß Söhne und Töchter<lb/> wenigstens im Elternhause noch deutsch sprechen. Es fehlt eben an deutschen<lb/> Ackerbaukolonien, die allein dem Deutschtum Halt gewähren könnten.</p><lb/> <p xml:id="ID_636"> In den Städten ist der Deutsche meist Geschäftsmann. Die Weltklugheit<lb/> verlangt es einfach von ihm, daß er seine deutsche Art nach Möglichkeit zurück¬<lb/> drängt. Er spricht daher grundsätzlich nur noch englisch; er denkt auch bald<lb/> in englischen Bildern, bis er schließlich sogar englisch träumt; und die Heirat<lb/> mit einer Engländerin oder einer Australierin macht die Metamorphose dann<lb/> vollständig. Im deutschen Verein, falls er einem solchen überhaupt angehört,<lb/> erwacht zwar das Germanenblut noch für kurze Stunden, aber sobald er auf<lb/> dem Heimwege an sein Geschäft denkt, schüttelt er das Deutschtum auch schon<lb/> wie eine lästige Schneeflocke ab. Traurig, daß es so ist — aber es ist so.<lb/> Eine Geschichte des australischen Deutschtums braucht nicht erst geschrieben zu<lb/> werden; sie würde nur ein Spiegelbild der amerikanischen Erfahrungen sein.<lb/> Millionen Deutsche haben wir durch Auswanderung an die Vereinigten Staaten<lb/> verloren, für immer verloren. Die englische Nation hat diesen Kulturbissen<lb/> behaglich verdaut. Soll dies aber in allen Ländern, wo sich Deutsche nieder¬<lb/> lassen, in aller Zeit so fortgehn? Will Deutschland das Herzblut seiner<lb/> Söhne dauernd an jeden ersten besten preisgeben, der seine Hand danach<lb/> ausstreckt? Ich meine, die auswandernden Elemente sind zu gut, zu wertvoll<lb/> für das Vaterland, als daß man sie wie Jsmaele in die Wüste stoßen sollte.<lb/> Die große Mehrzahl deutscher Auswandrer hat doch nur der wirtschaftlichen<lb/> Not gehorchend die Heimat verlassen; andre sind jugendlichen Leichtsinns wegen<lb/> freiwillig gegangen oder abgeschoben worden; ganz wenige von ihnen gehören<lb/> zur Pariakaste der Verbrecher. Weiß England sich alle diese deutschen Menschen<lb/> zu nutze zu machen — warum sollte Deutschland, die natürliche Mutter,<lb/> nicht ein gleiches können?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0203]
Australien und die deutsche Rolonicilbewegimg
und deutsche Dörfer, deutsche Kirchen und deutsche Schulen, dort werden
deutsche Zeitungen gelesen, und auch der politische Einfluß dieser deutschen
Bevölkerung ist noch so groß, daß mehrere deutsche Abgeordnete das Wohl
der Gesamtheit im Parlament mitberaten. Allmählich freilich müssen diese
Pflanzstätten deutscher Kultur doch dem Anglizismus verfallen, denn es fehlt
an einem Nachzuge aus der alten Heimat; mit jeder neuen Generation wird
auch das südaustralische Deutschtum weniger widerstandsfähig, ganz wie dies
den deutschen Zentren in Nordamerika ergangen ist und noch ergeht. Außer¬
halb Südaustraliens sind unsre australischen Landsleute leider ohne alle poli¬
tische und wirtschaftliche Organisation. Nur in den paar Großstädten ist es
zu einem Zusammenschluß deutscher Elemente gekommen, doch lediglich zu ge¬
selligen Zwecken. Auf dem Lande ist der Deutsche von englischen Nachbarn
umgeben; außerhalb seiner Familie hört er kaum einen heimatlichen Laut,
seine Kinder besuchen die englische Volksschule, und er muß schon ein sehr
energischer Hausvater sein, will er es durchsetzen, daß Söhne und Töchter
wenigstens im Elternhause noch deutsch sprechen. Es fehlt eben an deutschen
Ackerbaukolonien, die allein dem Deutschtum Halt gewähren könnten.
In den Städten ist der Deutsche meist Geschäftsmann. Die Weltklugheit
verlangt es einfach von ihm, daß er seine deutsche Art nach Möglichkeit zurück¬
drängt. Er spricht daher grundsätzlich nur noch englisch; er denkt auch bald
in englischen Bildern, bis er schließlich sogar englisch träumt; und die Heirat
mit einer Engländerin oder einer Australierin macht die Metamorphose dann
vollständig. Im deutschen Verein, falls er einem solchen überhaupt angehört,
erwacht zwar das Germanenblut noch für kurze Stunden, aber sobald er auf
dem Heimwege an sein Geschäft denkt, schüttelt er das Deutschtum auch schon
wie eine lästige Schneeflocke ab. Traurig, daß es so ist — aber es ist so.
Eine Geschichte des australischen Deutschtums braucht nicht erst geschrieben zu
werden; sie würde nur ein Spiegelbild der amerikanischen Erfahrungen sein.
Millionen Deutsche haben wir durch Auswanderung an die Vereinigten Staaten
verloren, für immer verloren. Die englische Nation hat diesen Kulturbissen
behaglich verdaut. Soll dies aber in allen Ländern, wo sich Deutsche nieder¬
lassen, in aller Zeit so fortgehn? Will Deutschland das Herzblut seiner
Söhne dauernd an jeden ersten besten preisgeben, der seine Hand danach
ausstreckt? Ich meine, die auswandernden Elemente sind zu gut, zu wertvoll
für das Vaterland, als daß man sie wie Jsmaele in die Wüste stoßen sollte.
Die große Mehrzahl deutscher Auswandrer hat doch nur der wirtschaftlichen
Not gehorchend die Heimat verlassen; andre sind jugendlichen Leichtsinns wegen
freiwillig gegangen oder abgeschoben worden; ganz wenige von ihnen gehören
zur Pariakaste der Verbrecher. Weiß England sich alle diese deutschen Menschen
zu nutze zu machen — warum sollte Deutschland, die natürliche Mutter,
nicht ein gleiches können?
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