Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Großvater Familienerinnerungeii ans der Zeit vor und während der Märzrevolution cum es regnete und wir Buben uns nicht im Garten tummeln konnten, Beim Vater standen Säbel und Degen zu unserm Leidwesen völlig unbenutzt. Ja, der Großvater, das war unser Mnun! Keiner von uns Buben hatte ihn Grenzboten III 1899 23
Der Großvater Familienerinnerungeii ans der Zeit vor und während der Märzrevolution cum es regnete und wir Buben uns nicht im Garten tummeln konnten, Beim Vater standen Säbel und Degen zu unserm Leidwesen völlig unbenutzt. Ja, der Großvater, das war unser Mnun! Keiner von uns Buben hatte ihn Grenzboten III 1899 23
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[Abbildung]
Der Großvater
Familienerinnerungeii ans der Zeit vor und während der Märzrevolution
cum es regnete und wir Buben uns nicht im Garten tummeln konnten,
gingen wir gern im Hause auf Entdeckungen aus. Mit besondrer
Vorliebe gings ins Schlafzimmer. In der Ecke hinter dem Bett
meines Vaters standen ein Degen und ein Säbel. Der Säbel stammte
aus dem siebenjährigen Kriege; es war ein großer Neiterpallasch
in einer schweren Scheide, der für uns kleine Buben kaum zu
heben war. Wenn wir uns genug abgemüht hatten, den schweren Säbel aus der
Scheide zu ziehen, gings an den zierlichen Degen, der den Dreißigjährigen Krieg
mitgemacht haben sollte. Er hatte einen höchst unbequemen Griff in Kreuzform
mit eingelegter Arbeit. Oben drauf war ein Knauf, der sich abschrauben ließ. Wir
unterließen es natürlich niemals zu untersuchen, ob die Schraube noch gut imstande
sei. Die Klinge war fein ziseliert und sehr biegsam. Ich hatte einmal Damaszener
Klingen rühmen hören. Seitdem glaubte ich, daß unser Degen Damaszener Arbeit
sein müsse. Er war für uns der Inbegriff des Schönen. Waren wir unbeobachtet,
so fochten wir gern mit dem leichten Degen ein wenig herum: gegen die Bett¬
gardinen, gegen eingebildete Feinde, gegen die Brüder, die als Indianer auf dem
Kriegspfade unter den Betten umherkrochen. Kam freilich die Mutter zu diesen
Übungen, so gabs zuerst großes Entsetzen, dann gewaltige Vermahnung. Wir
könnten uns ja mit dem Degen die Augen ausstechen, uns sonstwie verwunden und
die Gardinen beschädigen. Das Ausstechen der Augen wäre immerhin möglich ge¬
wesen. Andre Verwundungen gehörten wohl in das Reich der Unmöglichkeit, so
stumpf war die Klinge.
Beim Vater standen Säbel und Degen zu unserm Leidwesen völlig unbenutzt.
Er hatte gar keine Neigung zum Waffenhandwerk, war auch durch unsre Bitten
nicht dazu zu vermögen, sich einen Revolver zuzulegen. Bei ihm fand unsre ro¬
mantische Kriegslust wenig Verständnis. Der Großvater dagegen, von dem der
Vater die Waffen geerbt hatte, war in unsrer Phantasie ein äußerst streitbarer
Mann gewesen. Er hatte im Ernst diese Weissen mit sich geführt, und das war
genng, ihn mit dem Nimbus eines Helden zu umgeben. Die Waffen wurden uns
durch solche historischen Erinnerungen uoch lieber. Sie wäre» die greifbarsten Er¬
innerungen um den alten Herrn, der im runden schwarzen Rahmen steif und würdig
in der väterlichen Studierstube hing.
Ja, der Großvater, das war unser Mnun! Keiner von uns Buben hatte ihn
freilich gekannt. Er war schon lange tot. Aber der Vater, der viel ans Familien¬
traditionen gab, erzählte uns abends vor dem Schlafengehen öfters von ihm. Be¬
sonders lieb waren uns die Geschichten von gefahrvollen, einsamen Amtsfahrten,
die der Großvater unternommen hatte, und bei denen der alte Säbel sein ständiger
Grenzboten III 1899 23
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