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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

den "treulosen Witwer," wie ihn die Frauenwelt kaum in häßlicherer Gestalt finden
kann. Denn obgleich Choang nicht wie jener Tschwang-Sang auch noch seine Über¬
legenheit als Zauberer in die Wagschale werfen konnte, in der er die Glaubhaftig¬
keit der Gattin wägen wollte, so war sein Scheintvdspielen doch schuld an dem
Tode der Gattin, und nur ein Nichtswürdiger konnte sich, nachdem er das ver¬
schuldet hatte, sofort mit einer andern verbinden. Im übrigen suchten die eng¬
lischen Dichter zu der Zeit, wo Goldsmith schrieb, mit wenigen Ausnahmen, nach
französischen Mustern eruste Dinge ins Drollige zu ziehen, und der Proben, wo
ihnen dies mißlang, giebt es genug.

Fragen wir um zum Schluß, ob die Litteratur so ungerecht gewesen ist, die
Witwe immer uur in dieser wenig löblichen Weise vorzuführen, so brauchen wir
uus nur, um die Frage verneinen zu können, zu erinnern, daß kein Geringrer als
Sophokles in seinen Trachinierinnen dem Schmerz der Gattin um den sterbenden
Gatten ein unvergängliches Denkmal errichtet hat. In dem Worte Mausoleum
selbst verewigt sich bekanntlich der Ruhm einer besonders treulebeuden Witwe.
Denn die Gattin des Königs Mausolus, Artemisia von Karien, war es, die dieses
Wort als Bezeichnung des vielgerühmten Grabtempels in ihrer Hauptstadt Hali-
karnaß einführte. Wie die Dichter gesagt und gesungen haben, glaubte sie aber
die Asche ihres Gatten selbst in jenem prächtigen Bau noch nicht so würdig auf¬
gehoben, wie die teuern Neste es verdienten, und indem sie die Asche in einem
Becher Wein auflöste und diesen trank, machte sie ihren eignen Leib zum Monument
des Verstorbnen. Das ist freilich wieder ein übertreibender Zug, der an die
Witwe von Ephesus erinnert, die auf dem Grabe ihres Gatten den Hungertod er¬
leiden wollte. Zuletzt aber bleibt diesen Überlieferungen und ebenso allen jenen
Verunglimpfungen der Witwe gegenüber ja für alle Ewigkeit ein Frauenbild be¬
steh", das, wenn auch nicht als wirkliche Witwe, so doch als Strohwitwe den
größten Dichter aller Zeiten zum Lobredner und zum Verherrlicher gehabt hat --
R. Waldmüller Penelope.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kann den Technischen Hochschulen das ^us äoot.ora,neu verliehen
werden? Das Verlangen der Technischen Hochschulen, auf Grund einer Prüfung
einen Titel zu verleihen, der ihren Schülern eine bestimmte Wertschätzung im prak¬
tischen Leben und in der wissenschaftlichen Welt sichert, ist durchaus berechtigt, und
es wird die Entwicklung der Technischen Hochschulen erheblich fördern, wenn dieser
Wunsch in angemessener Weise erfüllt wird. Indes erscheint es von vornherein
auffallend, daß sie einen solchen Titel nicht aus ihren eignen, in dem modernen
Leben und seinen Bedürfnissen wurzelnden Verhältnissen heraus zu schaffe" bestrebt
sind, sondern einen Titel entlehnen wollen, der vor etwa siebenhundert Jahren von
den sich damals bildenden Universitäten geschaffen und seitdem ausschließlich von
den Universitäten verliehen worden ist.

Bei näherer Untersuchung zeigt sich aber, daß dem Versuche, diesen Titel deu
Universitäten zu entlehnen, noch andre und sehr ernste Bedenken entgegenstehn.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

den „treulosen Witwer," wie ihn die Frauenwelt kaum in häßlicherer Gestalt finden
kann. Denn obgleich Choang nicht wie jener Tschwang-Sang auch noch seine Über¬
legenheit als Zauberer in die Wagschale werfen konnte, in der er die Glaubhaftig¬
keit der Gattin wägen wollte, so war sein Scheintvdspielen doch schuld an dem
Tode der Gattin, und nur ein Nichtswürdiger konnte sich, nachdem er das ver¬
schuldet hatte, sofort mit einer andern verbinden. Im übrigen suchten die eng¬
lischen Dichter zu der Zeit, wo Goldsmith schrieb, mit wenigen Ausnahmen, nach
französischen Mustern eruste Dinge ins Drollige zu ziehen, und der Proben, wo
ihnen dies mißlang, giebt es genug.

Fragen wir um zum Schluß, ob die Litteratur so ungerecht gewesen ist, die
Witwe immer uur in dieser wenig löblichen Weise vorzuführen, so brauchen wir
uus nur, um die Frage verneinen zu können, zu erinnern, daß kein Geringrer als
Sophokles in seinen Trachinierinnen dem Schmerz der Gattin um den sterbenden
Gatten ein unvergängliches Denkmal errichtet hat. In dem Worte Mausoleum
selbst verewigt sich bekanntlich der Ruhm einer besonders treulebeuden Witwe.
Denn die Gattin des Königs Mausolus, Artemisia von Karien, war es, die dieses
Wort als Bezeichnung des vielgerühmten Grabtempels in ihrer Hauptstadt Hali-
karnaß einführte. Wie die Dichter gesagt und gesungen haben, glaubte sie aber
die Asche ihres Gatten selbst in jenem prächtigen Bau noch nicht so würdig auf¬
gehoben, wie die teuern Neste es verdienten, und indem sie die Asche in einem
Becher Wein auflöste und diesen trank, machte sie ihren eignen Leib zum Monument
des Verstorbnen. Das ist freilich wieder ein übertreibender Zug, der an die
Witwe von Ephesus erinnert, die auf dem Grabe ihres Gatten den Hungertod er¬
leiden wollte. Zuletzt aber bleibt diesen Überlieferungen und ebenso allen jenen
Verunglimpfungen der Witwe gegenüber ja für alle Ewigkeit ein Frauenbild be¬
steh», das, wenn auch nicht als wirkliche Witwe, so doch als Strohwitwe den
größten Dichter aller Zeiten zum Lobredner und zum Verherrlicher gehabt hat —
R. Waldmüller Penelope.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Kann den Technischen Hochschulen das ^us äoot.ora,neu verliehen
werden? Das Verlangen der Technischen Hochschulen, auf Grund einer Prüfung
einen Titel zu verleihen, der ihren Schülern eine bestimmte Wertschätzung im prak¬
tischen Leben und in der wissenschaftlichen Welt sichert, ist durchaus berechtigt, und
es wird die Entwicklung der Technischen Hochschulen erheblich fördern, wenn dieser
Wunsch in angemessener Weise erfüllt wird. Indes erscheint es von vornherein
auffallend, daß sie einen solchen Titel nicht aus ihren eignen, in dem modernen
Leben und seinen Bedürfnissen wurzelnden Verhältnissen heraus zu schaffe» bestrebt
sind, sondern einen Titel entlehnen wollen, der vor etwa siebenhundert Jahren von
den sich damals bildenden Universitäten geschaffen und seitdem ausschließlich von
den Universitäten verliehen worden ist.

Bei näherer Untersuchung zeigt sich aber, daß dem Versuche, diesen Titel deu
Universitäten zu entlehnen, noch andre und sehr ernste Bedenken entgegenstehn.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/150>, abgerufen am 15.01.2025.