Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswä'rtigeu Politik Deutschlands Man denke an die große, schicksalsschwere Entscheidung zwischen England und Die selbstverständliche These, daß man Seemächte nur als Seemacht be¬ Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswä'rtigeu Politik Deutschlands Man denke an die große, schicksalsschwere Entscheidung zwischen England und Die selbstverständliche These, daß man Seemächte nur als Seemacht be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0015" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231185"/> <fw type="header" place="top"> Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswä'rtigeu Politik Deutschlands</fw><lb/> <p xml:id="ID_17" prev="#ID_16"> Man denke an die große, schicksalsschwere Entscheidung zwischen England und<lb/> Nußland! Dem Zarenreiche wird Deutschland dann ein wertvoller Bundes¬<lb/> genosse sein, wenn es Rußland zur See mit Aufbietung einer starken Flotte<lb/> beistehn kann; denn es ist doch ganz ausgeschlossen, daß unser Landheer jemals<lb/> Seite an Seite mit den Russen in Asien gegen England kämpfen wird. Haben<lb/> wir aber nur eine schwache Flotte, so kann Großbritannien uns vor die Alter¬<lb/> native zwingen, entweder in den Landkrieg gegen Rußland einzutreten, oder<lb/> durch Blockade, Küstenzerstörung und Kolonialniederlagen in schwerste Be¬<lb/> drängnis zu geraten. Nur wenn wir zur See formidabel sind, wie es einst<lb/> die Stadt Emden von Friedrich dem Großen verlangte, wird uns die britische<lb/> Politik, deren Kennzeichen die äußerste Rücksichtslosigkeit gegen die Schwachen<lb/> ist, respektieren. Eine starke Kriegsmarine Deutschlands kann vielleicht ein¬<lb/> mal das Zünglein an der Wage weltenschwerer Geschicke werden: sie allein<lb/> gewährt uns auf die Dauer die Möglichkeit einer Option zwischen London<lb/> und Se. Petersburg, ja sie sichert die Erhaltung des Weltfriedens, den wir<lb/> dann gewissermaßen diktieren können. Nur eine starke Flotte kann uns der¬<lb/> einst, wenn überhaupt je, den Ausgleich mit Frankreich verschaffen, das vor<lb/> kurzem, im Gefühl seiner maritimen Schwäche ein Faschodci, ein Maskat hat<lb/> erleiden müssen von dem Meere beherrschenden Britannien. Daß wir für<lb/> Amerika und für Japan nur als Seemacht Wert als Freund oder Gegner<lb/> haben, bedarf keines Wortes weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_18"> Die selbstverständliche These, daß man Seemächte nur als Seemacht be¬<lb/> kämpfen und besiegen kann, hat unlängst zu einem Vorschlage geführt, der aus<lb/> einer richtigen Voraussetzung zu höchst bedenklichen Schlüssen leitet. Noch<lb/> brannte in Frankreich die Demütigung von Faschodci, noch bebte in Deutsch¬<lb/> land die Entrüstung wegen Samoas nach. Wie aber der Übermacht Englands,<lb/> wie der Anmaßung Amerikas wirksam begegnen? „Vereint sind anch die<lb/> Schwachen mächtig," und so tauchte der Gedanke einer Seennion Europas<lb/> gegen England-Amerika auf. Er ist in agrarischen Kreisen erörtert worden,<lb/> das Organ des „Bundes der Landwirte" hat ihn veröffentlicht, und wenn es<lb/> auch sofort selbst starke Zweifel an der Ausführbarkeit des Planes geäußert<lb/> hat, so nahmen doch seine weiter daran geknüpften Erörterungen eine Wendung,<lb/> daß eine kritische Beleuchtung der „Seeuuion des festländischen Europas als<lb/> Garantie des Weltfriedens" angezeigt erscheint, um zu verhüten, daß derartige<lb/> Utopien in die Gedankenwelt weiterer Kreise Einlaß finden und so die Ent¬<lb/> wicklung gesunder Anschauungen erschweren oder zerstören. Gerade weil das<lb/> Projekt von einem offenbar patriotisch fühlende« und deu Seeinteressen Deutsch¬<lb/> lands wohlgesinnten Manne herrührt, ist es notwendig, seine völlige Halt¬<lb/> losigkeit und Gefährlichkeit zu erweisen — haltlos, weil es undurchführbar ist,<lb/> gefährlich, weil es vom richtigen Wege ablenkt. Der Ideengang des „See-<lb/> uniouisten" ist etwa folgender:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0015]
Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswä'rtigeu Politik Deutschlands
Man denke an die große, schicksalsschwere Entscheidung zwischen England und
Nußland! Dem Zarenreiche wird Deutschland dann ein wertvoller Bundes¬
genosse sein, wenn es Rußland zur See mit Aufbietung einer starken Flotte
beistehn kann; denn es ist doch ganz ausgeschlossen, daß unser Landheer jemals
Seite an Seite mit den Russen in Asien gegen England kämpfen wird. Haben
wir aber nur eine schwache Flotte, so kann Großbritannien uns vor die Alter¬
native zwingen, entweder in den Landkrieg gegen Rußland einzutreten, oder
durch Blockade, Küstenzerstörung und Kolonialniederlagen in schwerste Be¬
drängnis zu geraten. Nur wenn wir zur See formidabel sind, wie es einst
die Stadt Emden von Friedrich dem Großen verlangte, wird uns die britische
Politik, deren Kennzeichen die äußerste Rücksichtslosigkeit gegen die Schwachen
ist, respektieren. Eine starke Kriegsmarine Deutschlands kann vielleicht ein¬
mal das Zünglein an der Wage weltenschwerer Geschicke werden: sie allein
gewährt uns auf die Dauer die Möglichkeit einer Option zwischen London
und Se. Petersburg, ja sie sichert die Erhaltung des Weltfriedens, den wir
dann gewissermaßen diktieren können. Nur eine starke Flotte kann uns der¬
einst, wenn überhaupt je, den Ausgleich mit Frankreich verschaffen, das vor
kurzem, im Gefühl seiner maritimen Schwäche ein Faschodci, ein Maskat hat
erleiden müssen von dem Meere beherrschenden Britannien. Daß wir für
Amerika und für Japan nur als Seemacht Wert als Freund oder Gegner
haben, bedarf keines Wortes weiter.
Die selbstverständliche These, daß man Seemächte nur als Seemacht be¬
kämpfen und besiegen kann, hat unlängst zu einem Vorschlage geführt, der aus
einer richtigen Voraussetzung zu höchst bedenklichen Schlüssen leitet. Noch
brannte in Frankreich die Demütigung von Faschodci, noch bebte in Deutsch¬
land die Entrüstung wegen Samoas nach. Wie aber der Übermacht Englands,
wie der Anmaßung Amerikas wirksam begegnen? „Vereint sind anch die
Schwachen mächtig," und so tauchte der Gedanke einer Seennion Europas
gegen England-Amerika auf. Er ist in agrarischen Kreisen erörtert worden,
das Organ des „Bundes der Landwirte" hat ihn veröffentlicht, und wenn es
auch sofort selbst starke Zweifel an der Ausführbarkeit des Planes geäußert
hat, so nahmen doch seine weiter daran geknüpften Erörterungen eine Wendung,
daß eine kritische Beleuchtung der „Seeuuion des festländischen Europas als
Garantie des Weltfriedens" angezeigt erscheint, um zu verhüten, daß derartige
Utopien in die Gedankenwelt weiterer Kreise Einlaß finden und so die Ent¬
wicklung gesunder Anschauungen erschweren oder zerstören. Gerade weil das
Projekt von einem offenbar patriotisch fühlende« und deu Seeinteressen Deutsch¬
lands wohlgesinnten Manne herrührt, ist es notwendig, seine völlige Halt¬
losigkeit und Gefährlichkeit zu erweisen — haltlos, weil es undurchführbar ist,
gefährlich, weil es vom richtigen Wege ablenkt. Der Ideengang des „See-
uniouisten" ist etwa folgender:
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