Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Aschenkrug und die treulose lllitwe ä'Lpböss. Sie ist in heiterm Ton gehalten und ironisiert mit guter Laune den Natürlich hat auch Lafontaine seine Vorgänger. Er selbst bezieht sich auf Einfacher ist das Empfinden eines biedern deutschen Dichters gewesen, Hans Und sie Will ihm den Toten zum Ersatz überlasse", wenn er sie dafür zum Grenzboten III 1899 18
Der Aschenkrug und die treulose lllitwe ä'Lpböss. Sie ist in heiterm Ton gehalten und ironisiert mit guter Laune den Natürlich hat auch Lafontaine seine Vorgänger. Er selbst bezieht sich auf Einfacher ist das Empfinden eines biedern deutschen Dichters gewesen, Hans Und sie Will ihm den Toten zum Ersatz überlasse», wenn er sie dafür zum Grenzboten III 1899 18
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Der Aschenkrug und die treulose lllitwe
ä'Lpböss. Sie ist in heiterm Ton gehalten und ironisiert mit guter Laune den
ganzen Vorgang. Was im Deutschen abstoßend wirkt, hat in der französischen
Vortragsweise noch immer einen Reiz, der Dingen eigen ist, die mit Geschick auf
der Grenze von Ernst und Scherz, von schicklich und unschicklich, von eben noch zu¬
lässig und eigentlich schon verwerflich gehalten werden. Über die Sache selbst den
Stab zu brechen ist natürlich auch die französische Leserin keinen Augenblick im
Bedenken, aber der französische Fabülcmt nimmt das Recht in Anspruch, sich den
Ton der Frauen anzueignen, die, wenigstens unter vier Augen, der Meinung sind,
daß „ein lebendiger Trainknecht noch immer mehr wert sei als ein toter Kaiser,"
und da es ohne alle Frage solche Leutchen giebt, so sagt er, gewissermaßen als ihr
ironischer Anwalt:
Natürlich hat auch Lafontaine seine Vorgänger. Er selbst bezieht sich auf
einen bekannten römischen Autor, auf Petronius. Wie lautet die Begebenheit bei
ihm? Ganz ähnlich. Erzählt wird sie auf einem Schiffe und zwar von einem
Manne Namens Eumolpus, während unter den Zuhörern der Kapitän des Schiffes
und eine Buhlerin sind. Diese verhüllt ihr Gesicht errötend, als der Erzähler zu
Ende ist, und der Kapitän ruft aus: Die schändliche Witwe hätte ans Kreuz ge¬
schlagen werden sollen. Sollen! Denn in Wirklichkeit geht es ihr weder bei
Petronius so schlimm, noch bei Lafontaine, noch auch bei Chamisso. Es versteht
aber nicht jedermann Spaß, und so hat Johann Salisberiensis eine Version (nach
Flavianus), die dahin lautet, daß die Witwe wie eine ehebrecherische Mörderin be¬
straft worden sei.
Einfacher ist das Empfinden eines biedern deutschen Dichters gewesen, Hans
von Bühel, der das französische Siebenmeisterbuch metrisch verdeutschte, worin die
Geschichte von der treulosen Witwe zu lesen ist. Der Inhalt hat jetzt folgenden
Verlauf. Zunächst sehen wir den Gatten sterben und zwar aus Liebe zu seiner
Frau, die sich in den Finger geschnitten hat; die Angst um sie ist sein Tod ge¬
worden. Nun will sie nicht von ihm weichen. Freunde müssen ihr ein Hüttlein
ans dem Kirchhof bauen. Dort hält sie bei der Leiche Wacht. Ein Hauptmann,
der in der Nähe einen Diebesgalgen zu bewachen hat, sieht Licht in der Hütte,
bittet um Erlaubnis, sich drinnen etwas zu warmen, und redet ihr zu, sich doch
nicht der Welt zu entziehn. Sie will aber nichts von ihm hören. Inzwischen
stiehlt man ihm den Gehenkten, und nun kommt er ratlos wieder zu ihr, denn es
turn ihm das Leben kosten. Jetzt wird sie endlich andern Sinnes. Sie sagt:
Und sie Will ihm den Toten zum Ersatz überlasse», wenn er sie dafür zum
Entgelt ehelichen wolle. Er hat es nun freilich nicht ganz so eilig. Dem Ge¬
henkten, sagt er, fehlten zwei Zähne. Sie weiß gleich Rat: Nimm einen Stein
und schlag sie dem Toten aus. Dazu will er sich nicht versteh«:
Grenzboten III 1899 18
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