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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

dauernden Influenza waren überwunden. Die vielgeschmähten und wenig ge¬
kannten Abruzzen hatten ihre Naturwunder vor uns aufgethan und mit ihrer
Sonne und Vergesluft ihre kräftigende Wirkung erwiesen.

Sie ohne weiteres für Luftkuren zu empfehlen, geht freilich nicht an. Um
sie mit Genuß bereisen zu können, hat man einige Kenntnis der italienischen
Sprache und Landessitte nötig. Vor den Abruzzenräubern hat man sich nicht zu
fürchten, der Fleiß und die Ehrlichkeit der Gebirgsbevölkerung hat uns vielmehr
oft in Erstaunen gesetzt. Aber die hier hausenden Menschen sind so wenig
von der neuern Kultur berührt, daß man ein gewisses, schon im Lande er¬
probtes und bewährtes Anpassungsvermögen haben muß, um sich in ihrer
Mitte stetig wohl zu fühlen. Luxus und Eleganz wird man in keinem einzigen
Gasthof finden, aber einige Alberghi, wie z. B.. der Nlbergo Vittoria zu Chieti,
wo wir drei Tage wohnten, sind so hübsch eingerichtet, so sauber und ordentlich
bewirtschaftet und zeichnen sich durch so vortreffliche Küche*) aus, daß jede
deutsche Hausfrau ihre Freude daran haben würde. Andre Gasthäuser sind
weniger gut geleitet, eine so schmutzige Wirtschaft, wie wir sie in Atri
kennen lernten, ist aber zum Glück eine Ausnahme. Die Bediensteten und
Kutscher sind im allgemeinen bescheiden, die Fuhrwerke leidlich, mitunter
sogar tadellos, die Fahrstraßen in Ordnung. Im großen und ganzen sind
also die Vorbedingungen gegeben, daß man das Land ohne Strapazen und
Entbehrungen bereisen, kann. Was jedoch der verwöhnten Mehrzahl der
heute die Welt durchstreifenden Menschheit auffällt, ist der völlige Mangel
einer rationellen Ausnutzung dessen, was die Natur Großes und Schönes
bietet. Man hat bisher nicht im mindesten daran gedacht, Aussichtspunkte
und Erholungsstätten lediglich vom Standpunkte des landschaftlichen Genusses
oder der modernen Heilkunde zu schaffen. Wollte man gewisse Dinge, die im
deutschen Mittelgebirge, in den Alpen oder an der Riviera selbstverständlich
sind, den Abrnzzesen klar machen und zur Nachahmung empfehlen, so würde
man nur auf Kopfschütteln und Achselzucken stoßen. Erst nach Jahrzehnten
wird hierin eine Änderung zu erwarten sein, nur nach und nach kann sie ein¬
treten, und nur dann, wenn unser Reisepublikum nicht mehr wie heute auf
der großen Heerstraße dahintrottet, sondern auch die bisher vernachlässigten
Pfade aufsucht. Apulien wird kaum jemals ein Reiseziel bloß um des land¬
schaftlichen Genusses willen werden; es wird den Touristen, der es aus wissen¬
schaftlichen oder wirtschaftlichen Gründen aufsucht, fesseln und überraschen, aber
im Verhältnis zu der weiten Entfernung bietet es dem deutschen Reisenden doch
nicht genug. Die Abruzzen dagegen haben für die Touristenwelt eine große
Zukunft; sowohl der Ostabhang der Zentralapenninen, wie das Innere des



Selbstverständlich ist sie rein italienisch. Vgl. über die italienische Küche und Wirt¬
schaftsführung meinen Aufsatz im Jahrgang 1898 der Grenzboten (Ur. 8 und 10).
Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

dauernden Influenza waren überwunden. Die vielgeschmähten und wenig ge¬
kannten Abruzzen hatten ihre Naturwunder vor uns aufgethan und mit ihrer
Sonne und Vergesluft ihre kräftigende Wirkung erwiesen.

Sie ohne weiteres für Luftkuren zu empfehlen, geht freilich nicht an. Um
sie mit Genuß bereisen zu können, hat man einige Kenntnis der italienischen
Sprache und Landessitte nötig. Vor den Abruzzenräubern hat man sich nicht zu
fürchten, der Fleiß und die Ehrlichkeit der Gebirgsbevölkerung hat uns vielmehr
oft in Erstaunen gesetzt. Aber die hier hausenden Menschen sind so wenig
von der neuern Kultur berührt, daß man ein gewisses, schon im Lande er¬
probtes und bewährtes Anpassungsvermögen haben muß, um sich in ihrer
Mitte stetig wohl zu fühlen. Luxus und Eleganz wird man in keinem einzigen
Gasthof finden, aber einige Alberghi, wie z. B.. der Nlbergo Vittoria zu Chieti,
wo wir drei Tage wohnten, sind so hübsch eingerichtet, so sauber und ordentlich
bewirtschaftet und zeichnen sich durch so vortreffliche Küche*) aus, daß jede
deutsche Hausfrau ihre Freude daran haben würde. Andre Gasthäuser sind
weniger gut geleitet, eine so schmutzige Wirtschaft, wie wir sie in Atri
kennen lernten, ist aber zum Glück eine Ausnahme. Die Bediensteten und
Kutscher sind im allgemeinen bescheiden, die Fuhrwerke leidlich, mitunter
sogar tadellos, die Fahrstraßen in Ordnung. Im großen und ganzen sind
also die Vorbedingungen gegeben, daß man das Land ohne Strapazen und
Entbehrungen bereisen, kann. Was jedoch der verwöhnten Mehrzahl der
heute die Welt durchstreifenden Menschheit auffällt, ist der völlige Mangel
einer rationellen Ausnutzung dessen, was die Natur Großes und Schönes
bietet. Man hat bisher nicht im mindesten daran gedacht, Aussichtspunkte
und Erholungsstätten lediglich vom Standpunkte des landschaftlichen Genusses
oder der modernen Heilkunde zu schaffen. Wollte man gewisse Dinge, die im
deutschen Mittelgebirge, in den Alpen oder an der Riviera selbstverständlich
sind, den Abrnzzesen klar machen und zur Nachahmung empfehlen, so würde
man nur auf Kopfschütteln und Achselzucken stoßen. Erst nach Jahrzehnten
wird hierin eine Änderung zu erwarten sein, nur nach und nach kann sie ein¬
treten, und nur dann, wenn unser Reisepublikum nicht mehr wie heute auf
der großen Heerstraße dahintrottet, sondern auch die bisher vernachlässigten
Pfade aufsucht. Apulien wird kaum jemals ein Reiseziel bloß um des land¬
schaftlichen Genusses willen werden; es wird den Touristen, der es aus wissen¬
schaftlichen oder wirtschaftlichen Gründen aufsucht, fesseln und überraschen, aber
im Verhältnis zu der weiten Entfernung bietet es dem deutschen Reisenden doch
nicht genug. Die Abruzzen dagegen haben für die Touristenwelt eine große
Zukunft; sowohl der Ostabhang der Zentralapenninen, wie das Innere des



Selbstverständlich ist sie rein italienisch. Vgl. über die italienische Küche und Wirt¬
schaftsführung meinen Aufsatz im Jahrgang 1898 der Grenzboten (Ur. 8 und 10).
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[0130] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien dauernden Influenza waren überwunden. Die vielgeschmähten und wenig ge¬ kannten Abruzzen hatten ihre Naturwunder vor uns aufgethan und mit ihrer Sonne und Vergesluft ihre kräftigende Wirkung erwiesen. Sie ohne weiteres für Luftkuren zu empfehlen, geht freilich nicht an. Um sie mit Genuß bereisen zu können, hat man einige Kenntnis der italienischen Sprache und Landessitte nötig. Vor den Abruzzenräubern hat man sich nicht zu fürchten, der Fleiß und die Ehrlichkeit der Gebirgsbevölkerung hat uns vielmehr oft in Erstaunen gesetzt. Aber die hier hausenden Menschen sind so wenig von der neuern Kultur berührt, daß man ein gewisses, schon im Lande er¬ probtes und bewährtes Anpassungsvermögen haben muß, um sich in ihrer Mitte stetig wohl zu fühlen. Luxus und Eleganz wird man in keinem einzigen Gasthof finden, aber einige Alberghi, wie z. B.. der Nlbergo Vittoria zu Chieti, wo wir drei Tage wohnten, sind so hübsch eingerichtet, so sauber und ordentlich bewirtschaftet und zeichnen sich durch so vortreffliche Küche*) aus, daß jede deutsche Hausfrau ihre Freude daran haben würde. Andre Gasthäuser sind weniger gut geleitet, eine so schmutzige Wirtschaft, wie wir sie in Atri kennen lernten, ist aber zum Glück eine Ausnahme. Die Bediensteten und Kutscher sind im allgemeinen bescheiden, die Fuhrwerke leidlich, mitunter sogar tadellos, die Fahrstraßen in Ordnung. Im großen und ganzen sind also die Vorbedingungen gegeben, daß man das Land ohne Strapazen und Entbehrungen bereisen, kann. Was jedoch der verwöhnten Mehrzahl der heute die Welt durchstreifenden Menschheit auffällt, ist der völlige Mangel einer rationellen Ausnutzung dessen, was die Natur Großes und Schönes bietet. Man hat bisher nicht im mindesten daran gedacht, Aussichtspunkte und Erholungsstätten lediglich vom Standpunkte des landschaftlichen Genusses oder der modernen Heilkunde zu schaffen. Wollte man gewisse Dinge, die im deutschen Mittelgebirge, in den Alpen oder an der Riviera selbstverständlich sind, den Abrnzzesen klar machen und zur Nachahmung empfehlen, so würde man nur auf Kopfschütteln und Achselzucken stoßen. Erst nach Jahrzehnten wird hierin eine Änderung zu erwarten sein, nur nach und nach kann sie ein¬ treten, und nur dann, wenn unser Reisepublikum nicht mehr wie heute auf der großen Heerstraße dahintrottet, sondern auch die bisher vernachlässigten Pfade aufsucht. Apulien wird kaum jemals ein Reiseziel bloß um des land¬ schaftlichen Genusses willen werden; es wird den Touristen, der es aus wissen¬ schaftlichen oder wirtschaftlichen Gründen aufsucht, fesseln und überraschen, aber im Verhältnis zu der weiten Entfernung bietet es dem deutschen Reisenden doch nicht genug. Die Abruzzen dagegen haben für die Touristenwelt eine große Zukunft; sowohl der Ostabhang der Zentralapenninen, wie das Innere des Selbstverständlich ist sie rein italienisch. Vgl. über die italienische Küche und Wirt¬ schaftsführung meinen Aufsatz im Jahrgang 1898 der Grenzboten (Ur. 8 und 10).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/130>, abgerufen am 15.01.2025.