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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Friihlingsfahrt nach den Abnizzen und nach Apulien

Seit einigen Jahren sind aber auch hier oben mildere Sitten eingezogen.
Die italienische Regierung hat mit strenger Hand Ordnung geschaffen, und
vornehme Römer haben sich in richtiger Würdigung der stärkenden Berges-
uud Waldesluft von Rocca eine Reihe zum Teil sehr hübscher Landhäuser
gebant, um hier die Sommermonate zu verleben. Infolge dessen haben
sich jetzt auch die Gasthofsvcrhältnisse gebessert. War es früher schwierig,
ein sauberes Nachtlager zu finden, so kann man jetzt bei bescheidnen An¬
sprüchen mit dem Albergo Angielctto ganz zufrieden sein. Es geht hier
einfach, aber ordentlich zu, die Wirtsleute verdienen volles Vertrauen, man ist
bei ihnen zuvorkommender Bedienung und guter Verpflegung durchaus sicher,
sodaß sich der des Landes und der Sprache kundige Deutsche hier immer be¬
haglich fühlen wird. In landschaftlicher Beziehung aber wurden unsre weit¬
gehendsten Erwartungen übertroffen. Die großen Waldungen mit ihren präch¬
tigen alten Kastanien, Ahornbüumen, Linden und Buchen, mit ihren blüten¬
reichen Feuerlilien. Resedas und gelben Maßlieben und mit ihren unermeßlichen
Heerscharen jubilierender Singvögel übten einen beständig wachsenden Reiz auf
uns aus. Und dazu die Fernblicke über Berg und Meer, die Wunder des
Albaner- und des Nemisees, die Nähe des romantischen Klosters Palazzuolo,
die leichte Zugünglichkeit des Monte Cavo, die Fülle klassischer Erinnerungen,
die Weinfröhlichkeit der benachbarten Städtchen Genzano und Arriccia, kurz,
es vereinigt sich hier vieles, was den abgearbeiteten Großstädter über die
Sorgen des Kampfes ums Dasein erheben und ihm wirkliche Erfrischung in
geistiger und körperlicher Beziehung gewähren könnte. Eine eingehende Schil¬
derung hoffe ich bei andrer Gelegenheit zu geben.

Den Rückweg nach Ancona nahmen wir von Rom aus nördlich über
Arezzo. Kunstwissenschaftliche Rücksichten waren hierbei maßgebend. Ich wollte
einige wichtige Baudenkmäler italienischer Gotik, den wohl über Gebühr ge¬
priesenen Dom von Orvieto und das unvergleichlich gewaltige Rathaus zu
Gubbio, das man ein Werk kommunaler Übermenschen nennen möchte, sowie
zwei einflußreiche Maler der italienischen Frührenaissance, Piero della Fran-
cesca und Luca Signorelli, beides thatkräftige Neuerer ans ihrem Gebiete, ohne
deren Wirken Michelangelos Kunst kaum denkbar wäre, näher kennen lernen.
Orvieto, Arezzo mit seiner feingestimmter, echt toskanischen Umgebung, Borgo
San Sepolcro, Cittä ti Castello und das malerische, ganz mittelalterlich an-
mntende Gubbio waren unsre Haltepunkte, bis wir schließlich in Ancona
wieder eintrafen, mit der Absicht, von hier auf demselben Wege, auf dem wir
gekommen waren, heimzukehren.

Die letzten Tage hatten uns Hitze und glühenden Sonnenbrand gebracht,
eine Erholung waren sie deshalb nicht. Um so mehr durften wir mit dem
Gesamtverlaufe unsrer Reise zufrieden sein. Die Erwartungen, die ich gehegt
hatte, waren reichlich in Erfüllung gegangen, die bösen Folgen der lang an-


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Line Friihlingsfahrt nach den Abnizzen und nach Apulien

Seit einigen Jahren sind aber auch hier oben mildere Sitten eingezogen.
Die italienische Regierung hat mit strenger Hand Ordnung geschaffen, und
vornehme Römer haben sich in richtiger Würdigung der stärkenden Berges-
uud Waldesluft von Rocca eine Reihe zum Teil sehr hübscher Landhäuser
gebant, um hier die Sommermonate zu verleben. Infolge dessen haben
sich jetzt auch die Gasthofsvcrhältnisse gebessert. War es früher schwierig,
ein sauberes Nachtlager zu finden, so kann man jetzt bei bescheidnen An¬
sprüchen mit dem Albergo Angielctto ganz zufrieden sein. Es geht hier
einfach, aber ordentlich zu, die Wirtsleute verdienen volles Vertrauen, man ist
bei ihnen zuvorkommender Bedienung und guter Verpflegung durchaus sicher,
sodaß sich der des Landes und der Sprache kundige Deutsche hier immer be¬
haglich fühlen wird. In landschaftlicher Beziehung aber wurden unsre weit¬
gehendsten Erwartungen übertroffen. Die großen Waldungen mit ihren präch¬
tigen alten Kastanien, Ahornbüumen, Linden und Buchen, mit ihren blüten¬
reichen Feuerlilien. Resedas und gelben Maßlieben und mit ihren unermeßlichen
Heerscharen jubilierender Singvögel übten einen beständig wachsenden Reiz auf
uns aus. Und dazu die Fernblicke über Berg und Meer, die Wunder des
Albaner- und des Nemisees, die Nähe des romantischen Klosters Palazzuolo,
die leichte Zugünglichkeit des Monte Cavo, die Fülle klassischer Erinnerungen,
die Weinfröhlichkeit der benachbarten Städtchen Genzano und Arriccia, kurz,
es vereinigt sich hier vieles, was den abgearbeiteten Großstädter über die
Sorgen des Kampfes ums Dasein erheben und ihm wirkliche Erfrischung in
geistiger und körperlicher Beziehung gewähren könnte. Eine eingehende Schil¬
derung hoffe ich bei andrer Gelegenheit zu geben.

Den Rückweg nach Ancona nahmen wir von Rom aus nördlich über
Arezzo. Kunstwissenschaftliche Rücksichten waren hierbei maßgebend. Ich wollte
einige wichtige Baudenkmäler italienischer Gotik, den wohl über Gebühr ge¬
priesenen Dom von Orvieto und das unvergleichlich gewaltige Rathaus zu
Gubbio, das man ein Werk kommunaler Übermenschen nennen möchte, sowie
zwei einflußreiche Maler der italienischen Frührenaissance, Piero della Fran-
cesca und Luca Signorelli, beides thatkräftige Neuerer ans ihrem Gebiete, ohne
deren Wirken Michelangelos Kunst kaum denkbar wäre, näher kennen lernen.
Orvieto, Arezzo mit seiner feingestimmter, echt toskanischen Umgebung, Borgo
San Sepolcro, Cittä ti Castello und das malerische, ganz mittelalterlich an-
mntende Gubbio waren unsre Haltepunkte, bis wir schließlich in Ancona
wieder eintrafen, mit der Absicht, von hier auf demselben Wege, auf dem wir
gekommen waren, heimzukehren.

Die letzten Tage hatten uns Hitze und glühenden Sonnenbrand gebracht,
eine Erholung waren sie deshalb nicht. Um so mehr durften wir mit dem
Gesamtverlaufe unsrer Reise zufrieden sein. Die Erwartungen, die ich gehegt
hatte, waren reichlich in Erfüllung gegangen, die bösen Folgen der lang an-


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[0129] Line Friihlingsfahrt nach den Abnizzen und nach Apulien Seit einigen Jahren sind aber auch hier oben mildere Sitten eingezogen. Die italienische Regierung hat mit strenger Hand Ordnung geschaffen, und vornehme Römer haben sich in richtiger Würdigung der stärkenden Berges- uud Waldesluft von Rocca eine Reihe zum Teil sehr hübscher Landhäuser gebant, um hier die Sommermonate zu verleben. Infolge dessen haben sich jetzt auch die Gasthofsvcrhältnisse gebessert. War es früher schwierig, ein sauberes Nachtlager zu finden, so kann man jetzt bei bescheidnen An¬ sprüchen mit dem Albergo Angielctto ganz zufrieden sein. Es geht hier einfach, aber ordentlich zu, die Wirtsleute verdienen volles Vertrauen, man ist bei ihnen zuvorkommender Bedienung und guter Verpflegung durchaus sicher, sodaß sich der des Landes und der Sprache kundige Deutsche hier immer be¬ haglich fühlen wird. In landschaftlicher Beziehung aber wurden unsre weit¬ gehendsten Erwartungen übertroffen. Die großen Waldungen mit ihren präch¬ tigen alten Kastanien, Ahornbüumen, Linden und Buchen, mit ihren blüten¬ reichen Feuerlilien. Resedas und gelben Maßlieben und mit ihren unermeßlichen Heerscharen jubilierender Singvögel übten einen beständig wachsenden Reiz auf uns aus. Und dazu die Fernblicke über Berg und Meer, die Wunder des Albaner- und des Nemisees, die Nähe des romantischen Klosters Palazzuolo, die leichte Zugünglichkeit des Monte Cavo, die Fülle klassischer Erinnerungen, die Weinfröhlichkeit der benachbarten Städtchen Genzano und Arriccia, kurz, es vereinigt sich hier vieles, was den abgearbeiteten Großstädter über die Sorgen des Kampfes ums Dasein erheben und ihm wirkliche Erfrischung in geistiger und körperlicher Beziehung gewähren könnte. Eine eingehende Schil¬ derung hoffe ich bei andrer Gelegenheit zu geben. Den Rückweg nach Ancona nahmen wir von Rom aus nördlich über Arezzo. Kunstwissenschaftliche Rücksichten waren hierbei maßgebend. Ich wollte einige wichtige Baudenkmäler italienischer Gotik, den wohl über Gebühr ge¬ priesenen Dom von Orvieto und das unvergleichlich gewaltige Rathaus zu Gubbio, das man ein Werk kommunaler Übermenschen nennen möchte, sowie zwei einflußreiche Maler der italienischen Frührenaissance, Piero della Fran- cesca und Luca Signorelli, beides thatkräftige Neuerer ans ihrem Gebiete, ohne deren Wirken Michelangelos Kunst kaum denkbar wäre, näher kennen lernen. Orvieto, Arezzo mit seiner feingestimmter, echt toskanischen Umgebung, Borgo San Sepolcro, Cittä ti Castello und das malerische, ganz mittelalterlich an- mntende Gubbio waren unsre Haltepunkte, bis wir schließlich in Ancona wieder eintrafen, mit der Absicht, von hier auf demselben Wege, auf dem wir gekommen waren, heimzukehren. Die letzten Tage hatten uns Hitze und glühenden Sonnenbrand gebracht, eine Erholung waren sie deshalb nicht. Um so mehr durften wir mit dem Gesamtverlaufe unsrer Reise zufrieden sein. Die Erwartungen, die ich gehegt hatte, waren reichlich in Erfüllung gegangen, die bösen Folgen der lang an- Grenzbvten III iflg<> 16

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/129>, abgerufen am 15.01.2025.