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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Lrühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

gebirgs gewesen sein mag, ehe sich diese ihren Abfluß zum Meere bahnten und
den heutigen Pescara bildeten. In der Nähe der kleinen Flüsse ist sie etwas
vertieft, auf das schönste kultiviert und außerordentlich fruchtbar. Ringsum
wird sie von den stolzesten Bergen der Apenninen überragt. Burgen und
Kirchen geben ihr eine malerische Belebung.

Im südlichen Winkel dieser Ebene liegt 478 Meter über dem Meere
Svlmona, die Heimat Ovids. Hier erwartete uns eine Überraschung be¬
sondrer Art, vielleicht die größte, die wir auf dieser Reise erfuhren. Als wir
am Morgen nichtsahnend aufwachten, war das gesamte Landvolk aus der Um¬
gegend, zum Teil weither zum Wochenmarkt in die Stadt gekommen, und zwar
durchweg in der alten Tracht, die hier noch nicht die mindeste Verkümmerung
erfahren hat. Wer nach Italien führt, um Bauern und Bäuerinnen in den
malerischen Gewändern zu bewundern, die uns auf so vielen Gemälden vor¬
gezaubert sind, und von Ort zu Ort eine Enttäuschung nach der andern er¬
fahren hat oder gar von dem Treiben der aufgeputzten Künstlermodelle aus
der xm?W al Lxg.g'im in Rom angewidert ist, der muß nach Solmona gehen.
Hier herrscht noch das echte, alte Leben, wie es so viele unsrer Künstler und Dichter
bis vor etwa einem Viertel- oder Halbjahrhundert fast in allen Teilen Italiens
entzückte. Hier haben die Anilinfarben noch keine VerWässerung des Geschmacks
herbeigeführt, hier hat die Neuzeit noch nicht unter den Urvätersitten und Ge¬
bräuchen aufgeräumt. Volle satte Farben in harmonischem Zusammenklang und
reiche Mannigfaltigkeit der Anordnung bei einheitlicher Grundstimmung üben
eine bestrickende Wirkung aus, man sühlt sich wie in eine andre Welt versetzt.
Namentlich gilt dies von dem weiten Markte, der an Markttagen dicht mit
Wagen und Verkaufsständen angefüllt wird. Von der Hauptverkehrsstraße
führen breite Treppen zu ihm herab, auf denen sich die Südländer mit ihrer
unnachahmlichen Grazie hier und dort malerisch hinlagern. Ein hübscher
Renaissancebrunnen aus dem fünfzehnten Jahrhundert spendet den Menschen
und den Eseln frisches köstliches Wasser; ein mittelalterlicher Aquädukt mit
hohen steinernen Bogen und ein romanisches Portal einer unvollendeten Kirche
geben eine prächtige architektonische Umrahmung.

Etwa 25 Kilometer von Solmona liegt Sccmno, 1050 Meter über dem
Meere, als der schönstgelegne Ort der Abruzzen und als die Heimat der
schönsten Frauen gepriesen und von kundigen Malern hochgeschätzt. Auch
sonst ist Solmonas Umgebung in landschaftlicher Hinsicht ausgezeichnet; seit
kurzem führt eine Eisenbahn südwärts nach Jsernia, die bei Campo ti Giove
eine Meereshöhe von 1300 Metern, also fast die Höhe des Brennerpasses er¬
reicht und nach zuverlässigem Bericht fortgesetzt die prächtigsten Aussichten
gewährt.

Wir fuhren von Solmona weiter westwärts. Auch unsre Bahn scheint
ein Wunder der Technik zu sein; an dem steilen kahlen Abhang des hohen


Line Lrühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

gebirgs gewesen sein mag, ehe sich diese ihren Abfluß zum Meere bahnten und
den heutigen Pescara bildeten. In der Nähe der kleinen Flüsse ist sie etwas
vertieft, auf das schönste kultiviert und außerordentlich fruchtbar. Ringsum
wird sie von den stolzesten Bergen der Apenninen überragt. Burgen und
Kirchen geben ihr eine malerische Belebung.

Im südlichen Winkel dieser Ebene liegt 478 Meter über dem Meere
Svlmona, die Heimat Ovids. Hier erwartete uns eine Überraschung be¬
sondrer Art, vielleicht die größte, die wir auf dieser Reise erfuhren. Als wir
am Morgen nichtsahnend aufwachten, war das gesamte Landvolk aus der Um¬
gegend, zum Teil weither zum Wochenmarkt in die Stadt gekommen, und zwar
durchweg in der alten Tracht, die hier noch nicht die mindeste Verkümmerung
erfahren hat. Wer nach Italien führt, um Bauern und Bäuerinnen in den
malerischen Gewändern zu bewundern, die uns auf so vielen Gemälden vor¬
gezaubert sind, und von Ort zu Ort eine Enttäuschung nach der andern er¬
fahren hat oder gar von dem Treiben der aufgeputzten Künstlermodelle aus
der xm?W al Lxg.g'im in Rom angewidert ist, der muß nach Solmona gehen.
Hier herrscht noch das echte, alte Leben, wie es so viele unsrer Künstler und Dichter
bis vor etwa einem Viertel- oder Halbjahrhundert fast in allen Teilen Italiens
entzückte. Hier haben die Anilinfarben noch keine VerWässerung des Geschmacks
herbeigeführt, hier hat die Neuzeit noch nicht unter den Urvätersitten und Ge¬
bräuchen aufgeräumt. Volle satte Farben in harmonischem Zusammenklang und
reiche Mannigfaltigkeit der Anordnung bei einheitlicher Grundstimmung üben
eine bestrickende Wirkung aus, man sühlt sich wie in eine andre Welt versetzt.
Namentlich gilt dies von dem weiten Markte, der an Markttagen dicht mit
Wagen und Verkaufsständen angefüllt wird. Von der Hauptverkehrsstraße
führen breite Treppen zu ihm herab, auf denen sich die Südländer mit ihrer
unnachahmlichen Grazie hier und dort malerisch hinlagern. Ein hübscher
Renaissancebrunnen aus dem fünfzehnten Jahrhundert spendet den Menschen
und den Eseln frisches köstliches Wasser; ein mittelalterlicher Aquädukt mit
hohen steinernen Bogen und ein romanisches Portal einer unvollendeten Kirche
geben eine prächtige architektonische Umrahmung.

Etwa 25 Kilometer von Solmona liegt Sccmno, 1050 Meter über dem
Meere, als der schönstgelegne Ort der Abruzzen und als die Heimat der
schönsten Frauen gepriesen und von kundigen Malern hochgeschätzt. Auch
sonst ist Solmonas Umgebung in landschaftlicher Hinsicht ausgezeichnet; seit
kurzem führt eine Eisenbahn südwärts nach Jsernia, die bei Campo ti Giove
eine Meereshöhe von 1300 Metern, also fast die Höhe des Brennerpasses er¬
reicht und nach zuverlässigem Bericht fortgesetzt die prächtigsten Aussichten
gewährt.

Wir fuhren von Solmona weiter westwärts. Auch unsre Bahn scheint
ein Wunder der Technik zu sein; an dem steilen kahlen Abhang des hohen


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[0127] Line Lrühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien gebirgs gewesen sein mag, ehe sich diese ihren Abfluß zum Meere bahnten und den heutigen Pescara bildeten. In der Nähe der kleinen Flüsse ist sie etwas vertieft, auf das schönste kultiviert und außerordentlich fruchtbar. Ringsum wird sie von den stolzesten Bergen der Apenninen überragt. Burgen und Kirchen geben ihr eine malerische Belebung. Im südlichen Winkel dieser Ebene liegt 478 Meter über dem Meere Svlmona, die Heimat Ovids. Hier erwartete uns eine Überraschung be¬ sondrer Art, vielleicht die größte, die wir auf dieser Reise erfuhren. Als wir am Morgen nichtsahnend aufwachten, war das gesamte Landvolk aus der Um¬ gegend, zum Teil weither zum Wochenmarkt in die Stadt gekommen, und zwar durchweg in der alten Tracht, die hier noch nicht die mindeste Verkümmerung erfahren hat. Wer nach Italien führt, um Bauern und Bäuerinnen in den malerischen Gewändern zu bewundern, die uns auf so vielen Gemälden vor¬ gezaubert sind, und von Ort zu Ort eine Enttäuschung nach der andern er¬ fahren hat oder gar von dem Treiben der aufgeputzten Künstlermodelle aus der xm?W al Lxg.g'im in Rom angewidert ist, der muß nach Solmona gehen. Hier herrscht noch das echte, alte Leben, wie es so viele unsrer Künstler und Dichter bis vor etwa einem Viertel- oder Halbjahrhundert fast in allen Teilen Italiens entzückte. Hier haben die Anilinfarben noch keine VerWässerung des Geschmacks herbeigeführt, hier hat die Neuzeit noch nicht unter den Urvätersitten und Ge¬ bräuchen aufgeräumt. Volle satte Farben in harmonischem Zusammenklang und reiche Mannigfaltigkeit der Anordnung bei einheitlicher Grundstimmung üben eine bestrickende Wirkung aus, man sühlt sich wie in eine andre Welt versetzt. Namentlich gilt dies von dem weiten Markte, der an Markttagen dicht mit Wagen und Verkaufsständen angefüllt wird. Von der Hauptverkehrsstraße führen breite Treppen zu ihm herab, auf denen sich die Südländer mit ihrer unnachahmlichen Grazie hier und dort malerisch hinlagern. Ein hübscher Renaissancebrunnen aus dem fünfzehnten Jahrhundert spendet den Menschen und den Eseln frisches köstliches Wasser; ein mittelalterlicher Aquädukt mit hohen steinernen Bogen und ein romanisches Portal einer unvollendeten Kirche geben eine prächtige architektonische Umrahmung. Etwa 25 Kilometer von Solmona liegt Sccmno, 1050 Meter über dem Meere, als der schönstgelegne Ort der Abruzzen und als die Heimat der schönsten Frauen gepriesen und von kundigen Malern hochgeschätzt. Auch sonst ist Solmonas Umgebung in landschaftlicher Hinsicht ausgezeichnet; seit kurzem führt eine Eisenbahn südwärts nach Jsernia, die bei Campo ti Giove eine Meereshöhe von 1300 Metern, also fast die Höhe des Brennerpasses er¬ reicht und nach zuverlässigem Bericht fortgesetzt die prächtigsten Aussichten gewährt. Wir fuhren von Solmona weiter westwärts. Auch unsre Bahn scheint ein Wunder der Technik zu sein; an dem steilen kahlen Abhang des hohen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/127>, abgerufen am 15.01.2025.