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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

Eisenbahnwagen mit weißgestrichnen cylindrischen Tonnen auffallen, die laut
deutscher und italienischer Aufschrift mehr als 12000 Liter Weintrauben in
sich aufnehmen.

So erfreulich es ist, eine derartige Annäherung der beiden verbündeten
Reiche auf wirtschaftlichem Gebiete wahrzunehmen, so läßt sich doch die Be¬
merkung nicht unterdrücken, daß in dieser Richtung noch sehr viel zu thun
übrig bleibt. Italien bringt einen Überfluß an Wein und Gemüsen hervor,
sür den es bis zur Stunde keinen genügenden Absatz hat. Deutschland bedarf
einer größern Zufuhr an billigen reinen Weinen und allerhand südlichen
Früchten, die es selbst zu erzeugen nicht in der Lage ist und aus Frankreich
vielfach zu unverhältnismäßig hohen Preisen beziehen muß. Für kapital¬
kräftige, umsichtige Kaufleute, die die Sonderart beider Völker hinreichend
kennen, liegt daher reicher Geldertrag gleichsam auf der Straße; es wäre für
Italien und Deutschland ein wirtschaftlicher Fortschritt von großer Bedeutung,
wenn von uns endlich den ungehobnen Schützen und Reichtümern Welschlands
mehr Beachtung und Sorgfalt zugewandt würde.

Äußere Verhältnisse, deren Erörterung zu weit führen würde, zwangen
uns, den apulischen Aufenthalt abzukürzen. Es that mir dies besonders im
Hinblick auf die Trümmer der Sarazenenburg leid, die Kaiser Friedrich II.
in Lucca, 20 Kilometer nördlich von Foggia, errichtet hat; auch hätte ich
gern den Monte Santangelo, einen 810 Meter hohen Vorberg des Monte
Gargäno erstiegen, aus dem der Wallfahrtsort San Michele mit der 86 Stufen
tiefen Höhle seit vielen hundert Jahren zahlreiche Besucher anlockt. Wir
kehrten statt dessen nach Castellammare Adriatico zurück und wandten uns nun
landeinwärts.

Die Eisenbahn, die quer durch die Halbinsel und durch die Abruzzen
hindurch auf Rom zu führt (240 Kilometer lang), folgt zunächst dem Laufe
des Pescaraflusses. Anfänglich breit, verengert sich bald sein Thal und
nimmt einen schroffen Felscharakter an, indem sich das Wasser zwischen deu
oben erwähnten Gebirgsstöcken des Gran Sasso und der Majella seinen Weg
gebrochen hat. Die Fahrt, dem reißenden Strome entgegen, ist schön. Be¬
sonders das armselige Städtchen Popoli mit der verfallnen Burg der Ccm-
telmi gewährt einen malerischen Anblick. Nach wenigen Kilometern erreicht
man das alte Corfinium. Es war einst der Hauptort der Päligner. der im
Jahre 90 v. Chr. in der großen Erhebung gegen Rom die Bundeshauptstadt
der italienischen Bundesgenossen war. Nur geringe Trümmerhaufen zeigen
ihre Stätte an; das beste, was an Ort und Stelle noch vorhanden ist, findet
sich zum Bau einer romanischen Kathedrale, San Pelino, verwandt, deren
Außenseite mit kreuz und quer gestellten altlateinischen Inschriften und Reliefs
gewissermaßen übersät ist. Die Landschaft aber ist herrlich. Wir sind auf
einer kleinen Hochebene, die einst ein Sammelbecken für die Wässer des Hoch-


Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien

Eisenbahnwagen mit weißgestrichnen cylindrischen Tonnen auffallen, die laut
deutscher und italienischer Aufschrift mehr als 12000 Liter Weintrauben in
sich aufnehmen.

So erfreulich es ist, eine derartige Annäherung der beiden verbündeten
Reiche auf wirtschaftlichem Gebiete wahrzunehmen, so läßt sich doch die Be¬
merkung nicht unterdrücken, daß in dieser Richtung noch sehr viel zu thun
übrig bleibt. Italien bringt einen Überfluß an Wein und Gemüsen hervor,
sür den es bis zur Stunde keinen genügenden Absatz hat. Deutschland bedarf
einer größern Zufuhr an billigen reinen Weinen und allerhand südlichen
Früchten, die es selbst zu erzeugen nicht in der Lage ist und aus Frankreich
vielfach zu unverhältnismäßig hohen Preisen beziehen muß. Für kapital¬
kräftige, umsichtige Kaufleute, die die Sonderart beider Völker hinreichend
kennen, liegt daher reicher Geldertrag gleichsam auf der Straße; es wäre für
Italien und Deutschland ein wirtschaftlicher Fortschritt von großer Bedeutung,
wenn von uns endlich den ungehobnen Schützen und Reichtümern Welschlands
mehr Beachtung und Sorgfalt zugewandt würde.

Äußere Verhältnisse, deren Erörterung zu weit führen würde, zwangen
uns, den apulischen Aufenthalt abzukürzen. Es that mir dies besonders im
Hinblick auf die Trümmer der Sarazenenburg leid, die Kaiser Friedrich II.
in Lucca, 20 Kilometer nördlich von Foggia, errichtet hat; auch hätte ich
gern den Monte Santangelo, einen 810 Meter hohen Vorberg des Monte
Gargäno erstiegen, aus dem der Wallfahrtsort San Michele mit der 86 Stufen
tiefen Höhle seit vielen hundert Jahren zahlreiche Besucher anlockt. Wir
kehrten statt dessen nach Castellammare Adriatico zurück und wandten uns nun
landeinwärts.

Die Eisenbahn, die quer durch die Halbinsel und durch die Abruzzen
hindurch auf Rom zu führt (240 Kilometer lang), folgt zunächst dem Laufe
des Pescaraflusses. Anfänglich breit, verengert sich bald sein Thal und
nimmt einen schroffen Felscharakter an, indem sich das Wasser zwischen deu
oben erwähnten Gebirgsstöcken des Gran Sasso und der Majella seinen Weg
gebrochen hat. Die Fahrt, dem reißenden Strome entgegen, ist schön. Be¬
sonders das armselige Städtchen Popoli mit der verfallnen Burg der Ccm-
telmi gewährt einen malerischen Anblick. Nach wenigen Kilometern erreicht
man das alte Corfinium. Es war einst der Hauptort der Päligner. der im
Jahre 90 v. Chr. in der großen Erhebung gegen Rom die Bundeshauptstadt
der italienischen Bundesgenossen war. Nur geringe Trümmerhaufen zeigen
ihre Stätte an; das beste, was an Ort und Stelle noch vorhanden ist, findet
sich zum Bau einer romanischen Kathedrale, San Pelino, verwandt, deren
Außenseite mit kreuz und quer gestellten altlateinischen Inschriften und Reliefs
gewissermaßen übersät ist. Die Landschaft aber ist herrlich. Wir sind auf
einer kleinen Hochebene, die einst ein Sammelbecken für die Wässer des Hoch-


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[0126] Line Frühlingsfahrt nach den Abruzzen und nach Apulien Eisenbahnwagen mit weißgestrichnen cylindrischen Tonnen auffallen, die laut deutscher und italienischer Aufschrift mehr als 12000 Liter Weintrauben in sich aufnehmen. So erfreulich es ist, eine derartige Annäherung der beiden verbündeten Reiche auf wirtschaftlichem Gebiete wahrzunehmen, so läßt sich doch die Be¬ merkung nicht unterdrücken, daß in dieser Richtung noch sehr viel zu thun übrig bleibt. Italien bringt einen Überfluß an Wein und Gemüsen hervor, sür den es bis zur Stunde keinen genügenden Absatz hat. Deutschland bedarf einer größern Zufuhr an billigen reinen Weinen und allerhand südlichen Früchten, die es selbst zu erzeugen nicht in der Lage ist und aus Frankreich vielfach zu unverhältnismäßig hohen Preisen beziehen muß. Für kapital¬ kräftige, umsichtige Kaufleute, die die Sonderart beider Völker hinreichend kennen, liegt daher reicher Geldertrag gleichsam auf der Straße; es wäre für Italien und Deutschland ein wirtschaftlicher Fortschritt von großer Bedeutung, wenn von uns endlich den ungehobnen Schützen und Reichtümern Welschlands mehr Beachtung und Sorgfalt zugewandt würde. Äußere Verhältnisse, deren Erörterung zu weit führen würde, zwangen uns, den apulischen Aufenthalt abzukürzen. Es that mir dies besonders im Hinblick auf die Trümmer der Sarazenenburg leid, die Kaiser Friedrich II. in Lucca, 20 Kilometer nördlich von Foggia, errichtet hat; auch hätte ich gern den Monte Santangelo, einen 810 Meter hohen Vorberg des Monte Gargäno erstiegen, aus dem der Wallfahrtsort San Michele mit der 86 Stufen tiefen Höhle seit vielen hundert Jahren zahlreiche Besucher anlockt. Wir kehrten statt dessen nach Castellammare Adriatico zurück und wandten uns nun landeinwärts. Die Eisenbahn, die quer durch die Halbinsel und durch die Abruzzen hindurch auf Rom zu führt (240 Kilometer lang), folgt zunächst dem Laufe des Pescaraflusses. Anfänglich breit, verengert sich bald sein Thal und nimmt einen schroffen Felscharakter an, indem sich das Wasser zwischen deu oben erwähnten Gebirgsstöcken des Gran Sasso und der Majella seinen Weg gebrochen hat. Die Fahrt, dem reißenden Strome entgegen, ist schön. Be¬ sonders das armselige Städtchen Popoli mit der verfallnen Burg der Ccm- telmi gewährt einen malerischen Anblick. Nach wenigen Kilometern erreicht man das alte Corfinium. Es war einst der Hauptort der Päligner. der im Jahre 90 v. Chr. in der großen Erhebung gegen Rom die Bundeshauptstadt der italienischen Bundesgenossen war. Nur geringe Trümmerhaufen zeigen ihre Stätte an; das beste, was an Ort und Stelle noch vorhanden ist, findet sich zum Bau einer romanischen Kathedrale, San Pelino, verwandt, deren Außenseite mit kreuz und quer gestellten altlateinischen Inschriften und Reliefs gewissermaßen übersät ist. Die Landschaft aber ist herrlich. Wir sind auf einer kleinen Hochebene, die einst ein Sammelbecken für die Wässer des Hoch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/126>, abgerufen am 15.01.2025.