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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern el" moderner Staat wurde

in Augsburg: "Die Bayern sind nicht so dumm, daß sie eines schwäbischen
und ketzerischen Astronomen bedürften."

Auch im neunzehnten Jahrhundert ist uns ein solcher Kämpfer für das
Nützlichkeitsprinzip vorgekommen: im Jahre 1822 sprach der Präsident Freiherr
von Weinbach in der Ständeversammlung folgende denkwürdigen Worte: "Alle
Ausgaben, die nicht notwendig sind, müssen ohne Rücksicht eingezogen und ge¬
strichen werden. Eine Gesellschaft der Gelehrten, Akademie der Wissenschaft
genannt, verfehlt den Zweck ihres Daseins. Die ältere Akademie in Bayern
kostete nur 5000 si., und doch hat sie mehr Nützliches geleistet. Ihre Ncmu-
msntg, Loiog, sind ein einziges Ehrendenkmal ihrer hohen Gelehrsamkeit und
Wissenschaft (8lo!), dagegen die ägyptischen Pyramiden, die Memnonssäulen,
die Völker der Hieroglyphen sind nicht mehr dem Zeitgeiste angemessen, sie
wirken nicht mehr gemeinnützig, sie hören auf, wichtig für ein bayrisches Institut
zu sein."

Braun, der im Jahre 1765 nach München berufen worden war, hatte
eine neue Ordnung für die deutscheu Schulen entworfen, doch gewann, nament¬
lich seit dem Regierungsantritt Karl Theodors (1777) der alte Schlendrian bald
wieder die Oberhand. Allerdings wandte der neue Kurfürst den schönen Künsten
eine seit Albrecht IV. nicht mehr dagewesene Begünstigung zu: große Ausgaben
für Künstler und Kunstwerke, Hofkapelle und Theater, Bibliothek und Gemälde¬
sammlung sollten das altbayrische Volk zu der feinen pfälzischen Sitte empor¬
heben an eine gründliche Reform der Kirche und Schule, die Wurzel jeder
Volksbildung, dachte man in den maßgebenden Kreisen nicht. Die edlern
Geister, wie Michael Salier, Martin Boos, Johannes Goßner, blieben ohne
Einfluß und mußten sich begnügen, in kleinern Kreisen an einer Wiederbelebung
der erstarrten Formen zu arbeiten.

Es ist schon zum öftern darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich nur
in Bayern, wo alle Vorbedingungen einer gesunden Entwicklung fehlten, der
Orden der Illuminaten, dieses Zerrbild der Aufklärung, bilden und weiter
ausbreiten konnte. So kleinlich sein Getriebe auch war, konnte er Zustünden
gegenüber, wie Bayern sie hatte, dennoch gefährlich werden. Im Jahre 1785
wurde er aufgehoben, und die Verfolgungen gegen die Mitglieder begannen.
Pater Frank und der Rat Lippert übten im Verein mit dem päpstlichen
Nuntius das Schergenamt. Alles, was nach Aufklärung roch, wurde unter¬
drückt, die Zensur mit äußerster Strenge gehandhabt. Man verbot Kants
Philosophie, aber die jämmerliche Schrift, in der der Dominikaner Jost für
das Institut der Inquisition plädierte, war hochwillkomner; gegen einen Rechts¬
gelehrten, der den Satz verfocht, daß man alle Religionen dulden solle, wurde
Untersuchung eingeleitet, und Herr Zaupser, der so unvorsichtig war, seine
Gedanken über die Verträglichkeit verschiedner Konfessionen zu enthüllen, sollte
"mit der Kanzleiarbcit" so stark beschäftigt werden, "daß ihm zu theologischen


Wie Bayern el» moderner Staat wurde

in Augsburg: „Die Bayern sind nicht so dumm, daß sie eines schwäbischen
und ketzerischen Astronomen bedürften."

Auch im neunzehnten Jahrhundert ist uns ein solcher Kämpfer für das
Nützlichkeitsprinzip vorgekommen: im Jahre 1822 sprach der Präsident Freiherr
von Weinbach in der Ständeversammlung folgende denkwürdigen Worte: „Alle
Ausgaben, die nicht notwendig sind, müssen ohne Rücksicht eingezogen und ge¬
strichen werden. Eine Gesellschaft der Gelehrten, Akademie der Wissenschaft
genannt, verfehlt den Zweck ihres Daseins. Die ältere Akademie in Bayern
kostete nur 5000 si., und doch hat sie mehr Nützliches geleistet. Ihre Ncmu-
msntg, Loiog, sind ein einziges Ehrendenkmal ihrer hohen Gelehrsamkeit und
Wissenschaft (8lo!), dagegen die ägyptischen Pyramiden, die Memnonssäulen,
die Völker der Hieroglyphen sind nicht mehr dem Zeitgeiste angemessen, sie
wirken nicht mehr gemeinnützig, sie hören auf, wichtig für ein bayrisches Institut
zu sein."

Braun, der im Jahre 1765 nach München berufen worden war, hatte
eine neue Ordnung für die deutscheu Schulen entworfen, doch gewann, nament¬
lich seit dem Regierungsantritt Karl Theodors (1777) der alte Schlendrian bald
wieder die Oberhand. Allerdings wandte der neue Kurfürst den schönen Künsten
eine seit Albrecht IV. nicht mehr dagewesene Begünstigung zu: große Ausgaben
für Künstler und Kunstwerke, Hofkapelle und Theater, Bibliothek und Gemälde¬
sammlung sollten das altbayrische Volk zu der feinen pfälzischen Sitte empor¬
heben an eine gründliche Reform der Kirche und Schule, die Wurzel jeder
Volksbildung, dachte man in den maßgebenden Kreisen nicht. Die edlern
Geister, wie Michael Salier, Martin Boos, Johannes Goßner, blieben ohne
Einfluß und mußten sich begnügen, in kleinern Kreisen an einer Wiederbelebung
der erstarrten Formen zu arbeiten.

Es ist schon zum öftern darauf aufmerksam gemacht worden, daß sich nur
in Bayern, wo alle Vorbedingungen einer gesunden Entwicklung fehlten, der
Orden der Illuminaten, dieses Zerrbild der Aufklärung, bilden und weiter
ausbreiten konnte. So kleinlich sein Getriebe auch war, konnte er Zustünden
gegenüber, wie Bayern sie hatte, dennoch gefährlich werden. Im Jahre 1785
wurde er aufgehoben, und die Verfolgungen gegen die Mitglieder begannen.
Pater Frank und der Rat Lippert übten im Verein mit dem päpstlichen
Nuntius das Schergenamt. Alles, was nach Aufklärung roch, wurde unter¬
drückt, die Zensur mit äußerster Strenge gehandhabt. Man verbot Kants
Philosophie, aber die jämmerliche Schrift, in der der Dominikaner Jost für
das Institut der Inquisition plädierte, war hochwillkomner; gegen einen Rechts¬
gelehrten, der den Satz verfocht, daß man alle Religionen dulden solle, wurde
Untersuchung eingeleitet, und Herr Zaupser, der so unvorsichtig war, seine
Gedanken über die Verträglichkeit verschiedner Konfessionen zu enthüllen, sollte
„mit der Kanzleiarbcit" so stark beschäftigt werden, „daß ihm zu theologischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/77>, abgerufen am 20.10.2024.