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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Wie Bayern ein moderner Staat wurde

noch heute kämpfen. Nicht allein sein Programm, auch der Freimut seiner
Sprache könnte manchem Minister unsrer Tage empfohlen werden, er war es,
der den Jesuiten den Satz hinwarf, daß nicht da die Religion gefährdet sei,
"wo die Wissenschaften blühen," sondern nur dort, "wo Aberglauben und
Unwissenheit auf dem Throne sitzen und, wie die theologische Fakultät zu
wünschen scheine, zu Glaubensartikeln gemacht werden." Ein andrer Gelehrter,
der um die liberale Richtung in Bayern großes Verdienst gewann, war Peter
von Ostcrwald; auch er nahm (als Direktor des geistlichen Rats) eine der
höchsten Stellen ein.

Im Jahre 1759 wurde die Akademie der Wissenschaften gestiftet, und ihre
Schriften der Zensur der Jesuiten entzogen. Werke im "lutherischen Deutsch"
erschienen, der junge Benediktiner Heinrich Braun aus Tegernsee gab eine
Reihe vielgelesener Lehrbücher über deutsche Sprache, Westenrieder seinen In¬
begriff der Religion heraus, und der Theatiner Sterzinger bekämpfte in einer
eignen Schrift die Hexenprozesse. Doch dauerte dies nur eine kleine Weile,
dem edeln und milden, von wahrer Frömmigkeit erfüllten Kurfürsten fehlte im
Grunde die energische Herrschernatur, die der Fürst haben muß, der über
Tausenden steht und ihre Geschicke lenken will. Der Klerus trat seinen Be¬
strebungen mit einer leidenschaftlichen Agitation entgegen; derselbe Alarmruf,
der in unsern Tagen auf der ganzen Linie erschallt, brach schon damals los:
"Die Religion ist in Gefahr!" Um den Gerüchten zu begegnen, als sei es auf
"den völligen Umsturz des katholischen Glaubens" abgesehen, sah sich der Kur¬
fürst genötigt, in einem "offnen Patent" das Volk zu beruhigen; ein Flegel
aus der Gesellschaft Jesu verfaßte ein öffentliches Singspiel, worin die
Regierung des Kurfürsten als das Verderben der katholischen Religion bezeichnet
wird; ja in einer Broschüre, die im Jahre 1778 in München erschien, wird
die Errichtung und Verbesserung der Schule geradezu als die "gefährliche
Seuche" bezeichnet, die jetzt selbst den Landmann zu ergreifen drohe.

Die Akademie wurde der Gegenstand heftiger Verfolgungen. "Kein Schimpf-
und Spottname war zu niedrig, um nicht damit auf der Kanzel und in öffent¬
lichen Schriften die Akademie zu belegen, und wo immer damals ein auffallender
Fehler gemacht wurde, so mußte die Akademie teil daran genommen haben" --
schreibt Westenrieder in seiner Geschichte der Akademie der Wissenschaften. Noch
im Jahre 1780 schrieb der ?. Sautermeister sein Pasquill: "Die bayrischen
Hieseler in ihrem gelehrten Frosch- und Rattenkrieg," wo er S. 43 sagt,
Bayern habe seit der Entstehung der Akademie lauter Schöpfe und Dummköpfe
auszuweisen; "ihre Abhandlungen, gar wenige ausgenommen, sind nur für
Küsekrämer gedruckt worden." Der Beichtvater des Kurfürsten, Daniel Stadler,
schrieb an den Leibmedikus und Akademiker von Wolter: "Ich sehe ein, daß
in unserm Vaterlande ein viel zu großer Aufwand für die geradezu unnütze
Astronomie gemacht wird," und in Beziehung auf den Mathematiker Lambert


Wie Bayern ein moderner Staat wurde

noch heute kämpfen. Nicht allein sein Programm, auch der Freimut seiner
Sprache könnte manchem Minister unsrer Tage empfohlen werden, er war es,
der den Jesuiten den Satz hinwarf, daß nicht da die Religion gefährdet sei,
„wo die Wissenschaften blühen," sondern nur dort, „wo Aberglauben und
Unwissenheit auf dem Throne sitzen und, wie die theologische Fakultät zu
wünschen scheine, zu Glaubensartikeln gemacht werden." Ein andrer Gelehrter,
der um die liberale Richtung in Bayern großes Verdienst gewann, war Peter
von Ostcrwald; auch er nahm (als Direktor des geistlichen Rats) eine der
höchsten Stellen ein.

Im Jahre 1759 wurde die Akademie der Wissenschaften gestiftet, und ihre
Schriften der Zensur der Jesuiten entzogen. Werke im „lutherischen Deutsch"
erschienen, der junge Benediktiner Heinrich Braun aus Tegernsee gab eine
Reihe vielgelesener Lehrbücher über deutsche Sprache, Westenrieder seinen In¬
begriff der Religion heraus, und der Theatiner Sterzinger bekämpfte in einer
eignen Schrift die Hexenprozesse. Doch dauerte dies nur eine kleine Weile,
dem edeln und milden, von wahrer Frömmigkeit erfüllten Kurfürsten fehlte im
Grunde die energische Herrschernatur, die der Fürst haben muß, der über
Tausenden steht und ihre Geschicke lenken will. Der Klerus trat seinen Be¬
strebungen mit einer leidenschaftlichen Agitation entgegen; derselbe Alarmruf,
der in unsern Tagen auf der ganzen Linie erschallt, brach schon damals los:
„Die Religion ist in Gefahr!" Um den Gerüchten zu begegnen, als sei es auf
„den völligen Umsturz des katholischen Glaubens" abgesehen, sah sich der Kur¬
fürst genötigt, in einem „offnen Patent" das Volk zu beruhigen; ein Flegel
aus der Gesellschaft Jesu verfaßte ein öffentliches Singspiel, worin die
Regierung des Kurfürsten als das Verderben der katholischen Religion bezeichnet
wird; ja in einer Broschüre, die im Jahre 1778 in München erschien, wird
die Errichtung und Verbesserung der Schule geradezu als die „gefährliche
Seuche" bezeichnet, die jetzt selbst den Landmann zu ergreifen drohe.

Die Akademie wurde der Gegenstand heftiger Verfolgungen. „Kein Schimpf-
und Spottname war zu niedrig, um nicht damit auf der Kanzel und in öffent¬
lichen Schriften die Akademie zu belegen, und wo immer damals ein auffallender
Fehler gemacht wurde, so mußte die Akademie teil daran genommen haben" —
schreibt Westenrieder in seiner Geschichte der Akademie der Wissenschaften. Noch
im Jahre 1780 schrieb der ?. Sautermeister sein Pasquill: „Die bayrischen
Hieseler in ihrem gelehrten Frosch- und Rattenkrieg," wo er S. 43 sagt,
Bayern habe seit der Entstehung der Akademie lauter Schöpfe und Dummköpfe
auszuweisen; „ihre Abhandlungen, gar wenige ausgenommen, sind nur für
Küsekrämer gedruckt worden." Der Beichtvater des Kurfürsten, Daniel Stadler,
schrieb an den Leibmedikus und Akademiker von Wolter: „Ich sehe ein, daß
in unserm Vaterlande ein viel zu großer Aufwand für die geradezu unnütze
Astronomie gemacht wird," und in Beziehung auf den Mathematiker Lambert


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/76>, abgerufen am 28.09.2024.