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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Hein ZVieck

hatten sich geeinigt, daß just in Namlosbeck der Bahnhof sein sollte, und daß die
krumme Eiche fallen müsse. Nun da sah ichs ein: Gorg Bünz war im Recht,
und ich war im Unrecht.

Ich müßte unter Vormundschaft gestellt werden, wollte ich nicht meinen Vor¬
teil herausschlagen. Denke dir, die dummen Kerls -- verzeih, du bist ja auch ein
staatliches Organ, aber dn wirst dessen ungeachtet die ganz bescheidne Bemerkung
anhören wollen --, zuweilen seid ihr geradezu blind hinter euerm grünen Tuch.
Also denke dir, man hat die krumme Eiche nach Kubikmetern verkauft. Einen
Stamm dieser Stärke und dieser Biegung, wie er vielleicht ans deutscher Erde
nicht wieder vorkommt, geeignet für Wasserturbinen wie kein zweiter, so ein Kunst¬
werk der Natur nach Kubikmetern! Ha ha -- nach Kubikmetern! Ich habe mir
ins Fäustchen gelacht. Die krumme Eiche ist gestern mit unsrer Klingelbahn an¬
gelangt, und morgen wird sie entzwei gesägt. Das ist nicht zu ändern.

Siehst du den Mann im blauen Kittel auf dem Hof bei der Hühnersteige?
Er spricht mit meiner Frau. Das ist mein Scigemeister Gorg Bünz. Er versteht
sein Geschäft gut und hält auf Ordnung in meinem Betrieb. Aber auf eignen
Füßen -- das geht nicht, das ging nicht. Er verträgt die Freiheit nicht. Drüben
hats ihm auch nicht gelingen wollen.

Und nun gehn wir in den Garten. Dort streckt sich unser heimischer Wald
prächtig am Horizont hin. Das Abendrot muß gerade jetzt hinter dem Gehege
aufleuchten. So ein Anblick, ein guter Tropfen im Glas, meine kleine Hausmutter
als Wirtin, und zur Seite ein guter Freund, das ist Gluck, das nenne ich Glück,
wenn man überhaupt von Glück reden will!

Komm!

Die Rieke war schon voran, ich hörte so etwas wie Klirren von Gläsern und
Flaschen auf wiegenden Theebrett.




Uni sechs Uhr morgens begann es.

Nun schlug die Stunde der Krummen.

Mit feingestimmter, schneidender Klage setzte es ein, aber mehr und mehr
klang es in einem vergehenden Dnlderlied aus. Hab ich ein Recht auf Fortdauer
der gegenwärtigen Bedingungen meines Seins? Was ist an dieser Form gelegen?
Ist sie ein Hindernis für die ungehemmte Entfaltung meiner Kräfte, so zerstöre
man sie.

Wo die Maschine in dem weichen Fluß der Holzfasern arbeitete, da über¬
wog dies milde, alles duldende Lied. Nur da, wo die Liebe zum Leben in ver¬
borgnen Kräften und Knoten verdichtet war, schrillte es in schmerzhafter Em¬
pörung auf. Aber über diese" Protest fraßen die Stahlzahne rücksichtslos und
unerbittlich weg.

Und dann umwogte mich wieder die alte, die trostvolle Melodie.




Hein ZVieck

hatten sich geeinigt, daß just in Namlosbeck der Bahnhof sein sollte, und daß die
krumme Eiche fallen müsse. Nun da sah ichs ein: Gorg Bünz war im Recht,
und ich war im Unrecht.

Ich müßte unter Vormundschaft gestellt werden, wollte ich nicht meinen Vor¬
teil herausschlagen. Denke dir, die dummen Kerls — verzeih, du bist ja auch ein
staatliches Organ, aber dn wirst dessen ungeachtet die ganz bescheidne Bemerkung
anhören wollen —, zuweilen seid ihr geradezu blind hinter euerm grünen Tuch.
Also denke dir, man hat die krumme Eiche nach Kubikmetern verkauft. Einen
Stamm dieser Stärke und dieser Biegung, wie er vielleicht ans deutscher Erde
nicht wieder vorkommt, geeignet für Wasserturbinen wie kein zweiter, so ein Kunst¬
werk der Natur nach Kubikmetern! Ha ha — nach Kubikmetern! Ich habe mir
ins Fäustchen gelacht. Die krumme Eiche ist gestern mit unsrer Klingelbahn an¬
gelangt, und morgen wird sie entzwei gesägt. Das ist nicht zu ändern.

Siehst du den Mann im blauen Kittel auf dem Hof bei der Hühnersteige?
Er spricht mit meiner Frau. Das ist mein Scigemeister Gorg Bünz. Er versteht
sein Geschäft gut und hält auf Ordnung in meinem Betrieb. Aber auf eignen
Füßen — das geht nicht, das ging nicht. Er verträgt die Freiheit nicht. Drüben
hats ihm auch nicht gelingen wollen.

Und nun gehn wir in den Garten. Dort streckt sich unser heimischer Wald
prächtig am Horizont hin. Das Abendrot muß gerade jetzt hinter dem Gehege
aufleuchten. So ein Anblick, ein guter Tropfen im Glas, meine kleine Hausmutter
als Wirtin, und zur Seite ein guter Freund, das ist Gluck, das nenne ich Glück,
wenn man überhaupt von Glück reden will!

Komm!

Die Rieke war schon voran, ich hörte so etwas wie Klirren von Gläsern und
Flaschen auf wiegenden Theebrett.




Uni sechs Uhr morgens begann es.

Nun schlug die Stunde der Krummen.

Mit feingestimmter, schneidender Klage setzte es ein, aber mehr und mehr
klang es in einem vergehenden Dnlderlied aus. Hab ich ein Recht auf Fortdauer
der gegenwärtigen Bedingungen meines Seins? Was ist an dieser Form gelegen?
Ist sie ein Hindernis für die ungehemmte Entfaltung meiner Kräfte, so zerstöre
man sie.

Wo die Maschine in dem weichen Fluß der Holzfasern arbeitete, da über¬
wog dies milde, alles duldende Lied. Nur da, wo die Liebe zum Leben in ver¬
borgnen Kräften und Knoten verdichtet war, schrillte es in schmerzhafter Em¬
pörung auf. Aber über diese» Protest fraßen die Stahlzahne rücksichtslos und
unerbittlich weg.

Und dann umwogte mich wieder die alte, die trostvolle Melodie.




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[0724] Hein ZVieck hatten sich geeinigt, daß just in Namlosbeck der Bahnhof sein sollte, und daß die krumme Eiche fallen müsse. Nun da sah ichs ein: Gorg Bünz war im Recht, und ich war im Unrecht. Ich müßte unter Vormundschaft gestellt werden, wollte ich nicht meinen Vor¬ teil herausschlagen. Denke dir, die dummen Kerls — verzeih, du bist ja auch ein staatliches Organ, aber dn wirst dessen ungeachtet die ganz bescheidne Bemerkung anhören wollen —, zuweilen seid ihr geradezu blind hinter euerm grünen Tuch. Also denke dir, man hat die krumme Eiche nach Kubikmetern verkauft. Einen Stamm dieser Stärke und dieser Biegung, wie er vielleicht ans deutscher Erde nicht wieder vorkommt, geeignet für Wasserturbinen wie kein zweiter, so ein Kunst¬ werk der Natur nach Kubikmetern! Ha ha — nach Kubikmetern! Ich habe mir ins Fäustchen gelacht. Die krumme Eiche ist gestern mit unsrer Klingelbahn an¬ gelangt, und morgen wird sie entzwei gesägt. Das ist nicht zu ändern. Siehst du den Mann im blauen Kittel auf dem Hof bei der Hühnersteige? Er spricht mit meiner Frau. Das ist mein Scigemeister Gorg Bünz. Er versteht sein Geschäft gut und hält auf Ordnung in meinem Betrieb. Aber auf eignen Füßen — das geht nicht, das ging nicht. Er verträgt die Freiheit nicht. Drüben hats ihm auch nicht gelingen wollen. Und nun gehn wir in den Garten. Dort streckt sich unser heimischer Wald prächtig am Horizont hin. Das Abendrot muß gerade jetzt hinter dem Gehege aufleuchten. So ein Anblick, ein guter Tropfen im Glas, meine kleine Hausmutter als Wirtin, und zur Seite ein guter Freund, das ist Gluck, das nenne ich Glück, wenn man überhaupt von Glück reden will! Komm! Die Rieke war schon voran, ich hörte so etwas wie Klirren von Gläsern und Flaschen auf wiegenden Theebrett. Uni sechs Uhr morgens begann es. Nun schlug die Stunde der Krummen. Mit feingestimmter, schneidender Klage setzte es ein, aber mehr und mehr klang es in einem vergehenden Dnlderlied aus. Hab ich ein Recht auf Fortdauer der gegenwärtigen Bedingungen meines Seins? Was ist an dieser Form gelegen? Ist sie ein Hindernis für die ungehemmte Entfaltung meiner Kräfte, so zerstöre man sie. Wo die Maschine in dem weichen Fluß der Holzfasern arbeitete, da über¬ wog dies milde, alles duldende Lied. Nur da, wo die Liebe zum Leben in ver¬ borgnen Kräften und Knoten verdichtet war, schrillte es in schmerzhafter Em¬ pörung auf. Aber über diese» Protest fraßen die Stahlzahne rücksichtslos und unerbittlich weg. Und dann umwogte mich wieder die alte, die trostvolle Melodie.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/724>, abgerufen am 28.09.2024.