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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Zusammensein mit seiner Braut ertappt wird, zufällig eine Pistole losgeht,
und jemand in seinen Stiefeln stirbt, so ist dies dem Gleichgewicht sehr un¬
angenehm, es fängt an, mit den Zähnen zu klappern, es leidet an der tsöris
orisnwlis, einer Art Malaria -- terti^us, intsrinittsns --, da ein Anfall alle
drei Tage auftritt. Wenn aber in der Kirche zu Bethlehem schmutzige grie¬
chische Mönche einen Kirchenschlüssel zu einer Thür beanspruchen, durch die
die lateinischen Franziskaner gewöhnlich zum Gebet gehn, und wenn in der
heiligen Grabeskirche, wo der Verkünder der Liebe gekreuzigt wurde, die Katho¬
liken eine Orgel bauen, die die der Orthodoxen übertönt, wenn es dann zum
Streite kommt und die Wachsamkeit der beständig in der Kirche anwesenden,
bestündig Cigaretten rauchenden mohammedanischen Soldaten nicht ausreicht,
die christliche Liebe ins Praktische zu übersetzen -- dann vernimmt man von
Batn bis zu den Seillyinseln die Bierreden weiser Tintenpropheten; Beamte
chiffrieren und dechiffrieren unter Schweiß und Flüchen, Gesandte kehren aus
ihren Villeggiaturen zurück, Feldjäger fassen ihre Taschen krampfhafter des Nachts
im Coupe, wenn sie die Grenze Passtert haben, und man bewirft sich ballen¬
weise mit Noten. . . . Vergeblich! Schon schlagt der skythische Herkules
donnernd an seinen Schild, schon gehn des Nachts auf den Werften zu Belfast
und Plymouth die elektrischen Lampen nicht mehr aus, schon sagt der Nedif
Ancitoliens, des Landes der summa vu.x, sununÄ triintMiliws zu Ciceros
Zeiten, seinen pflügenden Ochsen Lebewohl. . . das ist der Krieg, das ist der
Tod des braven Gleichgewichts!

"Ihr braucht ein neues Römervolk," antwortete die Begleiterin. Es
war die ewige Roma selbst. . .

Wir brauchen ein neues Nömervolk, ein Volk, das mit Eisen und Blut diesen
Erdteil zusammenschmiedet. Nicht die Friedensschalmei des nordischen Jesajas,
der den wüsten messianischen Hoffnungstraum von dem beim Wolf wohnenden
Lamm, vom strohesfenden Löwen und dem am Loche der Otter spielenden
Säugling noch einmal träumt, sondern die beste Klinge wird unserm Kontinente
den Frieden verschaffen, mit dem die Römer ihn einst beschenkten, als sie sich
alle andern Völker unterworfen hatten. Wird es das deutsche Schwert, das
altberühmte und mit jungem Lorbeer geschmückte, sein? Wird Germania einst
an Uvinas Stelle treten und ein deutscher Künstler die neue Göttin dar¬
stellen, wie die alte, auf einem Haufen Spolien sitzend, den Lorbeerkranz im
Schoße, mit dem ernsten Antlitz der Minerva; nicht zu vergessen der heiligen
kapitolinischen Gans, des Symbols früherer Beschränktheit und schnatternden
Zwistes? Denn nicht fehlerlos haben die Götter den Deutschen geschaffen,
und wie über den Römer, so haben sie auch über ihn nicht gar zu reichlich
das Füllhorn ihrer Gaben ausgeschüttet. Lieblicher mögen welsche Frauen
lächeln, und in leichterm Schwunge mögen prächtigere Gewänder schöne Glieder
jenseits des Rheins umwallen; in kühnerm, volltönenderm Wortschwall mögen


Aus den schwarzen Bergen

Zusammensein mit seiner Braut ertappt wird, zufällig eine Pistole losgeht,
und jemand in seinen Stiefeln stirbt, so ist dies dem Gleichgewicht sehr un¬
angenehm, es fängt an, mit den Zähnen zu klappern, es leidet an der tsöris
orisnwlis, einer Art Malaria — terti^us, intsrinittsns —, da ein Anfall alle
drei Tage auftritt. Wenn aber in der Kirche zu Bethlehem schmutzige grie¬
chische Mönche einen Kirchenschlüssel zu einer Thür beanspruchen, durch die
die lateinischen Franziskaner gewöhnlich zum Gebet gehn, und wenn in der
heiligen Grabeskirche, wo der Verkünder der Liebe gekreuzigt wurde, die Katho¬
liken eine Orgel bauen, die die der Orthodoxen übertönt, wenn es dann zum
Streite kommt und die Wachsamkeit der beständig in der Kirche anwesenden,
bestündig Cigaretten rauchenden mohammedanischen Soldaten nicht ausreicht,
die christliche Liebe ins Praktische zu übersetzen — dann vernimmt man von
Batn bis zu den Seillyinseln die Bierreden weiser Tintenpropheten; Beamte
chiffrieren und dechiffrieren unter Schweiß und Flüchen, Gesandte kehren aus
ihren Villeggiaturen zurück, Feldjäger fassen ihre Taschen krampfhafter des Nachts
im Coupe, wenn sie die Grenze Passtert haben, und man bewirft sich ballen¬
weise mit Noten. . . . Vergeblich! Schon schlagt der skythische Herkules
donnernd an seinen Schild, schon gehn des Nachts auf den Werften zu Belfast
und Plymouth die elektrischen Lampen nicht mehr aus, schon sagt der Nedif
Ancitoliens, des Landes der summa vu.x, sununÄ triintMiliws zu Ciceros
Zeiten, seinen pflügenden Ochsen Lebewohl. . . das ist der Krieg, das ist der
Tod des braven Gleichgewichts!

„Ihr braucht ein neues Römervolk," antwortete die Begleiterin. Es
war die ewige Roma selbst. . .

Wir brauchen ein neues Nömervolk, ein Volk, das mit Eisen und Blut diesen
Erdteil zusammenschmiedet. Nicht die Friedensschalmei des nordischen Jesajas,
der den wüsten messianischen Hoffnungstraum von dem beim Wolf wohnenden
Lamm, vom strohesfenden Löwen und dem am Loche der Otter spielenden
Säugling noch einmal träumt, sondern die beste Klinge wird unserm Kontinente
den Frieden verschaffen, mit dem die Römer ihn einst beschenkten, als sie sich
alle andern Völker unterworfen hatten. Wird es das deutsche Schwert, das
altberühmte und mit jungem Lorbeer geschmückte, sein? Wird Germania einst
an Uvinas Stelle treten und ein deutscher Künstler die neue Göttin dar¬
stellen, wie die alte, auf einem Haufen Spolien sitzend, den Lorbeerkranz im
Schoße, mit dem ernsten Antlitz der Minerva; nicht zu vergessen der heiligen
kapitolinischen Gans, des Symbols früherer Beschränktheit und schnatternden
Zwistes? Denn nicht fehlerlos haben die Götter den Deutschen geschaffen,
und wie über den Römer, so haben sie auch über ihn nicht gar zu reichlich
das Füllhorn ihrer Gaben ausgeschüttet. Lieblicher mögen welsche Frauen
lächeln, und in leichterm Schwunge mögen prächtigere Gewänder schöne Glieder
jenseits des Rheins umwallen; in kühnerm, volltönenderm Wortschwall mögen


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[0718] Aus den schwarzen Bergen Zusammensein mit seiner Braut ertappt wird, zufällig eine Pistole losgeht, und jemand in seinen Stiefeln stirbt, so ist dies dem Gleichgewicht sehr un¬ angenehm, es fängt an, mit den Zähnen zu klappern, es leidet an der tsöris orisnwlis, einer Art Malaria — terti^us, intsrinittsns —, da ein Anfall alle drei Tage auftritt. Wenn aber in der Kirche zu Bethlehem schmutzige grie¬ chische Mönche einen Kirchenschlüssel zu einer Thür beanspruchen, durch die die lateinischen Franziskaner gewöhnlich zum Gebet gehn, und wenn in der heiligen Grabeskirche, wo der Verkünder der Liebe gekreuzigt wurde, die Katho¬ liken eine Orgel bauen, die die der Orthodoxen übertönt, wenn es dann zum Streite kommt und die Wachsamkeit der beständig in der Kirche anwesenden, bestündig Cigaretten rauchenden mohammedanischen Soldaten nicht ausreicht, die christliche Liebe ins Praktische zu übersetzen — dann vernimmt man von Batn bis zu den Seillyinseln die Bierreden weiser Tintenpropheten; Beamte chiffrieren und dechiffrieren unter Schweiß und Flüchen, Gesandte kehren aus ihren Villeggiaturen zurück, Feldjäger fassen ihre Taschen krampfhafter des Nachts im Coupe, wenn sie die Grenze Passtert haben, und man bewirft sich ballen¬ weise mit Noten. . . . Vergeblich! Schon schlagt der skythische Herkules donnernd an seinen Schild, schon gehn des Nachts auf den Werften zu Belfast und Plymouth die elektrischen Lampen nicht mehr aus, schon sagt der Nedif Ancitoliens, des Landes der summa vu.x, sununÄ triintMiliws zu Ciceros Zeiten, seinen pflügenden Ochsen Lebewohl. . . das ist der Krieg, das ist der Tod des braven Gleichgewichts! „Ihr braucht ein neues Römervolk," antwortete die Begleiterin. Es war die ewige Roma selbst. . . Wir brauchen ein neues Nömervolk, ein Volk, das mit Eisen und Blut diesen Erdteil zusammenschmiedet. Nicht die Friedensschalmei des nordischen Jesajas, der den wüsten messianischen Hoffnungstraum von dem beim Wolf wohnenden Lamm, vom strohesfenden Löwen und dem am Loche der Otter spielenden Säugling noch einmal träumt, sondern die beste Klinge wird unserm Kontinente den Frieden verschaffen, mit dem die Römer ihn einst beschenkten, als sie sich alle andern Völker unterworfen hatten. Wird es das deutsche Schwert, das altberühmte und mit jungem Lorbeer geschmückte, sein? Wird Germania einst an Uvinas Stelle treten und ein deutscher Künstler die neue Göttin dar¬ stellen, wie die alte, auf einem Haufen Spolien sitzend, den Lorbeerkranz im Schoße, mit dem ernsten Antlitz der Minerva; nicht zu vergessen der heiligen kapitolinischen Gans, des Symbols früherer Beschränktheit und schnatternden Zwistes? Denn nicht fehlerlos haben die Götter den Deutschen geschaffen, und wie über den Römer, so haben sie auch über ihn nicht gar zu reichlich das Füllhorn ihrer Gaben ausgeschüttet. Lieblicher mögen welsche Frauen lächeln, und in leichterm Schwunge mögen prächtigere Gewänder schöne Glieder jenseits des Rheins umwallen; in kühnerm, volltönenderm Wortschwall mögen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/718>, abgerufen am 28.09.2024.