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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

"Und eure Götter? fuhr das Weib fort, diese Märtyrergestaltcu mit hohlen
Augen, die gen Himmel stieren, mager vom vielen Fasten, krank und kuoten-
fingrig, mit eingesunkner Brust, die sämtliche Rippen durchschimmern läßt!
Heiligenbilder sah ich, wo euern Göttern siedendes Öl in den Mund gegossen
wird, wo ihre Haut geschunden, ihr Körper blutig gegeißelt wird; jenem wird
durch rohe Henkershand die Zunge herausgerissen, und diesem werden die Ein¬
geweide über eine Rolle aus dem Leibe herausgehaspelt. Und gar euer mäch¬
tiger Gott selbst, nach dem ihr euch benennt? Von vier Nägeln durchbohrt
am Kreuze hängend, an dem Kreuze, an das wir nur Sklaven schlugen, dazu
ein armes Weib, die an der Leiche ihres Sohnes in Ohnmacht fällt -- ich
glaube, ihr raset!"

Und unser Frieden! erwiderte ich ernst. 300000 Soldaten genügten ehe¬
dem, euer großes Reich zu schützen, da, wo heute vielleicht fünf Millionen in
Waffen starren. Eure Legionen standen mit Ausnahme der prütorianischeu
Kohorten an den Grenzen, ihr hattet Provinzen so groß wie Deutschland, in
denen kein Soldat zu finden war. Die Legionäre unsrer Völker stehn nicht
nur an den Grenzen, sondern auch im Innern des Landes, denn es ist oft
notwendig, sie gegen das eigne Volk zu gebrauchen: wir sind nicht einmal
des patriotischen Sinnes unsrer Unterthanen sicher, wir haben verwilderte
Menschen unter uns, wie ihr deren nie gekannt habt, sie sind unsern Fürsten
gefährlicher als die Geschosse der Feinde. Eure Herrscher kamen durch Ver¬
räter in der Familie und neidische Mitbewerber um, die unsrigen gehn durch
den Mordstahl des untersten Pöbels zu Grunde. So ist weder Frieden im
Innern bei uns, noch Frieden nach außen. Ein jedes Volk fürchtet das andre,
und selbst der Mutwille des Kleinsten kann das "europäische Gleichgewicht,"
das an die Stelle eurer xax Roniang. getreten ist, stören. Hat es dir bei
unsrer Reise durch Montenegro nicht ein Lächeln entlockt, als du sahest, daß
der Friede Europas nicht mehr auf dem Beschlusse des Kaisers, des Senats
und eines Volkes, sondern auf einer kleinen Anzahl rauher und eitler Berg¬
bewohner beruht, die ihr den wilden Jsauriern in Cilicien gleichgestellt und
verachtet hättet? Und der Fürst dieses kleinen Nüuberlandes ist mit den
ersten Fürstenhäusern Europas verschwägert, seine Politik wird von sechs Ge¬
sandten überwacht, und welterschtttternde telegraphische Gewitterblitze gehn von
einem Dorfe von zweitausend Einwohnern aus, in dem ein Cäsar nicht hätte
der Erste sein wollen!

Wenn diesem Serenissimo des Palastes zu Cetinje, wo man beim Diner
jetzt schon Champagner statt Pflaumenbranntwein trinkt, beim Ecarte mit dem
englischen Gesandten eine Offenherzigkeit entschlüpft, so beginnt das prächtige
Gleichgewicht zu wackeln. Wenn unten an der Grenze ein Montenegriner
einem albanischem Bauern mit der Hacke "sterben hilft," oder irgend ein
Mustapha vou einem Herrn auf "itsch" nächtlicherweile in bedeutungsvollen!


Aus den schwarzen Bergen

„Und eure Götter? fuhr das Weib fort, diese Märtyrergestaltcu mit hohlen
Augen, die gen Himmel stieren, mager vom vielen Fasten, krank und kuoten-
fingrig, mit eingesunkner Brust, die sämtliche Rippen durchschimmern läßt!
Heiligenbilder sah ich, wo euern Göttern siedendes Öl in den Mund gegossen
wird, wo ihre Haut geschunden, ihr Körper blutig gegeißelt wird; jenem wird
durch rohe Henkershand die Zunge herausgerissen, und diesem werden die Ein¬
geweide über eine Rolle aus dem Leibe herausgehaspelt. Und gar euer mäch¬
tiger Gott selbst, nach dem ihr euch benennt? Von vier Nägeln durchbohrt
am Kreuze hängend, an dem Kreuze, an das wir nur Sklaven schlugen, dazu
ein armes Weib, die an der Leiche ihres Sohnes in Ohnmacht fällt — ich
glaube, ihr raset!"

Und unser Frieden! erwiderte ich ernst. 300000 Soldaten genügten ehe¬
dem, euer großes Reich zu schützen, da, wo heute vielleicht fünf Millionen in
Waffen starren. Eure Legionen standen mit Ausnahme der prütorianischeu
Kohorten an den Grenzen, ihr hattet Provinzen so groß wie Deutschland, in
denen kein Soldat zu finden war. Die Legionäre unsrer Völker stehn nicht
nur an den Grenzen, sondern auch im Innern des Landes, denn es ist oft
notwendig, sie gegen das eigne Volk zu gebrauchen: wir sind nicht einmal
des patriotischen Sinnes unsrer Unterthanen sicher, wir haben verwilderte
Menschen unter uns, wie ihr deren nie gekannt habt, sie sind unsern Fürsten
gefährlicher als die Geschosse der Feinde. Eure Herrscher kamen durch Ver¬
räter in der Familie und neidische Mitbewerber um, die unsrigen gehn durch
den Mordstahl des untersten Pöbels zu Grunde. So ist weder Frieden im
Innern bei uns, noch Frieden nach außen. Ein jedes Volk fürchtet das andre,
und selbst der Mutwille des Kleinsten kann das „europäische Gleichgewicht,"
das an die Stelle eurer xax Roniang. getreten ist, stören. Hat es dir bei
unsrer Reise durch Montenegro nicht ein Lächeln entlockt, als du sahest, daß
der Friede Europas nicht mehr auf dem Beschlusse des Kaisers, des Senats
und eines Volkes, sondern auf einer kleinen Anzahl rauher und eitler Berg¬
bewohner beruht, die ihr den wilden Jsauriern in Cilicien gleichgestellt und
verachtet hättet? Und der Fürst dieses kleinen Nüuberlandes ist mit den
ersten Fürstenhäusern Europas verschwägert, seine Politik wird von sechs Ge¬
sandten überwacht, und welterschtttternde telegraphische Gewitterblitze gehn von
einem Dorfe von zweitausend Einwohnern aus, in dem ein Cäsar nicht hätte
der Erste sein wollen!

Wenn diesem Serenissimo des Palastes zu Cetinje, wo man beim Diner
jetzt schon Champagner statt Pflaumenbranntwein trinkt, beim Ecarte mit dem
englischen Gesandten eine Offenherzigkeit entschlüpft, so beginnt das prächtige
Gleichgewicht zu wackeln. Wenn unten an der Grenze ein Montenegriner
einem albanischem Bauern mit der Hacke „sterben hilft," oder irgend ein
Mustapha vou einem Herrn auf „itsch" nächtlicherweile in bedeutungsvollen!


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[0717] Aus den schwarzen Bergen „Und eure Götter? fuhr das Weib fort, diese Märtyrergestaltcu mit hohlen Augen, die gen Himmel stieren, mager vom vielen Fasten, krank und kuoten- fingrig, mit eingesunkner Brust, die sämtliche Rippen durchschimmern läßt! Heiligenbilder sah ich, wo euern Göttern siedendes Öl in den Mund gegossen wird, wo ihre Haut geschunden, ihr Körper blutig gegeißelt wird; jenem wird durch rohe Henkershand die Zunge herausgerissen, und diesem werden die Ein¬ geweide über eine Rolle aus dem Leibe herausgehaspelt. Und gar euer mäch¬ tiger Gott selbst, nach dem ihr euch benennt? Von vier Nägeln durchbohrt am Kreuze hängend, an dem Kreuze, an das wir nur Sklaven schlugen, dazu ein armes Weib, die an der Leiche ihres Sohnes in Ohnmacht fällt — ich glaube, ihr raset!" Und unser Frieden! erwiderte ich ernst. 300000 Soldaten genügten ehe¬ dem, euer großes Reich zu schützen, da, wo heute vielleicht fünf Millionen in Waffen starren. Eure Legionen standen mit Ausnahme der prütorianischeu Kohorten an den Grenzen, ihr hattet Provinzen so groß wie Deutschland, in denen kein Soldat zu finden war. Die Legionäre unsrer Völker stehn nicht nur an den Grenzen, sondern auch im Innern des Landes, denn es ist oft notwendig, sie gegen das eigne Volk zu gebrauchen: wir sind nicht einmal des patriotischen Sinnes unsrer Unterthanen sicher, wir haben verwilderte Menschen unter uns, wie ihr deren nie gekannt habt, sie sind unsern Fürsten gefährlicher als die Geschosse der Feinde. Eure Herrscher kamen durch Ver¬ räter in der Familie und neidische Mitbewerber um, die unsrigen gehn durch den Mordstahl des untersten Pöbels zu Grunde. So ist weder Frieden im Innern bei uns, noch Frieden nach außen. Ein jedes Volk fürchtet das andre, und selbst der Mutwille des Kleinsten kann das „europäische Gleichgewicht," das an die Stelle eurer xax Roniang. getreten ist, stören. Hat es dir bei unsrer Reise durch Montenegro nicht ein Lächeln entlockt, als du sahest, daß der Friede Europas nicht mehr auf dem Beschlusse des Kaisers, des Senats und eines Volkes, sondern auf einer kleinen Anzahl rauher und eitler Berg¬ bewohner beruht, die ihr den wilden Jsauriern in Cilicien gleichgestellt und verachtet hättet? Und der Fürst dieses kleinen Nüuberlandes ist mit den ersten Fürstenhäusern Europas verschwägert, seine Politik wird von sechs Ge¬ sandten überwacht, und welterschtttternde telegraphische Gewitterblitze gehn von einem Dorfe von zweitausend Einwohnern aus, in dem ein Cäsar nicht hätte der Erste sein wollen! Wenn diesem Serenissimo des Palastes zu Cetinje, wo man beim Diner jetzt schon Champagner statt Pflaumenbranntwein trinkt, beim Ecarte mit dem englischen Gesandten eine Offenherzigkeit entschlüpft, so beginnt das prächtige Gleichgewicht zu wackeln. Wenn unten an der Grenze ein Montenegriner einem albanischem Bauern mit der Hacke „sterben hilft," oder irgend ein Mustapha vou einem Herrn auf „itsch" nächtlicherweile in bedeutungsvollen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/717>, abgerufen am 28.09.2024.