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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Geschichte, und aus den Ruinen der alten Amphitheater tost ihm das Waffcn-
geklirr der Kämpfenden, das Geheul der wilden Tiere, der tausendstimmige
Beifallsruf der Zuschauer entgegen. Die Mosaikboden der Bäder und Lust¬
häuser beleben sich für ihn mit schönen Frauengestalten, die heiterm Ballspiele
nachgehn und sich im frischen Quellwasser tummeln; in den Palästren sieht er
wohlgeformte, nackte Jünglinge ringen, und an den Meilensteinen der kunstvoll
angelegten Straßen ziehen ihm die Adler ernster römischer Legionäre vorüber,
die in eiserner Disziplin und patriotischer Hingebung den Feind, "sei es in
der libyschen Wüste, sei es in den Urwäldern Germaniens" bekämpfen.

Nein, so oft ich auch in und außerhalb dieses Erdteils allein am Wander-
stabe meines Weges zog -- denn selten findet man in unsrer Zeit einen Ge¬
fährten, der nicht nur hartes Brot und Nachtlager, sondern auch Gesinnung
teilt --, ich war nie allein. Auf den Maultierposten, die die Sierren Hispaniens
durcheilten, auf der Croupe des Arabers, der durch die Fluren Mauretaniens
sprang, neben dem Jstwoschtschik der sausenden Troika. hinten am Steuer der
Dampfschiffe und Segler und des Kalks, den die Flut des Bosporus in das
Marmarameer trieb, saß meine Begleiterin, ein schönes Weib. Sie war
schwarz gekleidet, wie die atrg. oura, des lateinischen Dichters, die dem Wandrer
folgt, und ihre bleiche Farbe mochte den Tod anzeigen, wenn nicht das herrlich-
regelmäßige Antlitz, der heitere Ernst und die klassische Ruhe der Stirn, die
lebhafte und mächtige Sprache verraten hätten, daß sie zu den Glücklichen
gehörte, denen ewiges Leben beschieden ist. Von ihr will ich sprechen.

Oft habe ich auf unsern einsamen Fahrten ihren weisen Reden gelauscht
und mit bangem Ohr die verachtungsvollen Worte vernommen, die sie über uns
aussprach. "Unsre Art des Reifens war verschieden von der eurigen, so be¬
gann sie einst, ihr habt die Entfernungen durch die Technik besiegen lernen,
und diese eure Künste sind die einzigen, die ich an euch bewundre. Um so
mehr überrascht es, daß ihr niemals dazu gekommen seid, ein großes Reich zu
bilden, und ich erstaune, wenn ich sehe, daß alle diese Länder, durch die wir
gehn, nicht einem einzigen Herrn gehorchen wie früher, nicht mehr ein Reich
sind wie zu meiner Zeit, sondern in viele und kleine und unbedeutende Stücke
des frühern Ganzen gespalten sind. Unser Cicero zwar brauchte drei Monate,
um von Rom nach Cilicien in seine Provinz zu gehn, ihr reist dorthin in
acht Tage", aber wenn ihr geht, so müßt ihr das Gebiet vieler Herren durch¬
schreiten und durch Länder gehn, die nicht euer Vaterland sind. Dennoch lobe
ich eure schnellen Verbindungen, aber wie fürchterlich und geradezu vernichtend
wirkt die Zerstücklung euers Erdteils auf Handel und Wandel. Kaum hat
uns eure Eisenbahn in sechs Stunden durch ein Land geführt, dann kommt
ein andres mit andern Gesetzen, andrer Sprache, andern Sitten, andern Münzen
und Gewichten, andrer Religion. Im Rvmerreiche galt einst eine Sprache
vor dem Gerichtshofe in Antiochia wie auf dem Forum zu Gades, und mit


Aus den schwarzen Bergen

Geschichte, und aus den Ruinen der alten Amphitheater tost ihm das Waffcn-
geklirr der Kämpfenden, das Geheul der wilden Tiere, der tausendstimmige
Beifallsruf der Zuschauer entgegen. Die Mosaikboden der Bäder und Lust¬
häuser beleben sich für ihn mit schönen Frauengestalten, die heiterm Ballspiele
nachgehn und sich im frischen Quellwasser tummeln; in den Palästren sieht er
wohlgeformte, nackte Jünglinge ringen, und an den Meilensteinen der kunstvoll
angelegten Straßen ziehen ihm die Adler ernster römischer Legionäre vorüber,
die in eiserner Disziplin und patriotischer Hingebung den Feind, „sei es in
der libyschen Wüste, sei es in den Urwäldern Germaniens" bekämpfen.

Nein, so oft ich auch in und außerhalb dieses Erdteils allein am Wander-
stabe meines Weges zog — denn selten findet man in unsrer Zeit einen Ge¬
fährten, der nicht nur hartes Brot und Nachtlager, sondern auch Gesinnung
teilt —, ich war nie allein. Auf den Maultierposten, die die Sierren Hispaniens
durcheilten, auf der Croupe des Arabers, der durch die Fluren Mauretaniens
sprang, neben dem Jstwoschtschik der sausenden Troika. hinten am Steuer der
Dampfschiffe und Segler und des Kalks, den die Flut des Bosporus in das
Marmarameer trieb, saß meine Begleiterin, ein schönes Weib. Sie war
schwarz gekleidet, wie die atrg. oura, des lateinischen Dichters, die dem Wandrer
folgt, und ihre bleiche Farbe mochte den Tod anzeigen, wenn nicht das herrlich-
regelmäßige Antlitz, der heitere Ernst und die klassische Ruhe der Stirn, die
lebhafte und mächtige Sprache verraten hätten, daß sie zu den Glücklichen
gehörte, denen ewiges Leben beschieden ist. Von ihr will ich sprechen.

Oft habe ich auf unsern einsamen Fahrten ihren weisen Reden gelauscht
und mit bangem Ohr die verachtungsvollen Worte vernommen, die sie über uns
aussprach. „Unsre Art des Reifens war verschieden von der eurigen, so be¬
gann sie einst, ihr habt die Entfernungen durch die Technik besiegen lernen,
und diese eure Künste sind die einzigen, die ich an euch bewundre. Um so
mehr überrascht es, daß ihr niemals dazu gekommen seid, ein großes Reich zu
bilden, und ich erstaune, wenn ich sehe, daß alle diese Länder, durch die wir
gehn, nicht einem einzigen Herrn gehorchen wie früher, nicht mehr ein Reich
sind wie zu meiner Zeit, sondern in viele und kleine und unbedeutende Stücke
des frühern Ganzen gespalten sind. Unser Cicero zwar brauchte drei Monate,
um von Rom nach Cilicien in seine Provinz zu gehn, ihr reist dorthin in
acht Tage», aber wenn ihr geht, so müßt ihr das Gebiet vieler Herren durch¬
schreiten und durch Länder gehn, die nicht euer Vaterland sind. Dennoch lobe
ich eure schnellen Verbindungen, aber wie fürchterlich und geradezu vernichtend
wirkt die Zerstücklung euers Erdteils auf Handel und Wandel. Kaum hat
uns eure Eisenbahn in sechs Stunden durch ein Land geführt, dann kommt
ein andres mit andern Gesetzen, andrer Sprache, andern Sitten, andern Münzen
und Gewichten, andrer Religion. Im Rvmerreiche galt einst eine Sprache
vor dem Gerichtshofe in Antiochia wie auf dem Forum zu Gades, und mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/714>, abgerufen am 20.10.2024.