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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

noch von den stolzen Juden Spaniens in seinen Mauern reden, die hochmütig
auf den Aschkenas herabsehen und in bittrer Verbannung sich ihr altkastilischcs
Idiom bewahrt haben, noch von den Reizen seiner Töchter, die schön wie die
Glaubensgenossinnen von Tanger, Algier und Tunis, aber auch ebenso heraus¬
fordernd im kleinen, dukatengeschmückten, dunkelroten Fes umherstolzieren. Noch
will ich bösen Neid in Ihrer Brust erwecken durch die Schilderung eines
orientalischen Bades und berichten von der Zartheit und Aufmerksamkeit der
Bedienung, von der leichten, erquickenden Massage, der künstlerischen Frottierung
der Haut mit weichen Tüchern und von der Siesta mit Kaffee und Cigaretten
bei Springbrunnengeplätscher. Auch in die Sinan Thekla dürfen Sie mich nicht
begleiten, in das Derwischkloster, wo des Freitags abends sich heulende Der¬
wische in verrückten Wirbel unter "Hus" und "Allahas," unter Schweiß und
Schaum zu Ehren Gottes drehen, damit Sie dort nicht die Verachtung der
orientalischen Kulte lernen, die der gebildete Römer diesen Isis- und Cybele-
priestern entgegensetzte. Noch werde ich Sie auffordern, im Bent-Vaschi Kaffee¬
hause am rechten Ufer der Serajewo durchströmendem Miljatschka im Schatten
hochwipfliger Bäume unter den Klängen aufregender Zigeunersideln und dem
Gurgeln der Nargileh mit mir zu träumen. Mögen andre, und wie die Phrase
lautet, bessere, erzählen von der Poesie cypressenbeschatteter türkischer Fried¬
höfe und dem Liebesgeflüster an den dicht vergitterten Fenstern der Haremliks,
vor denen junge Moslems, von der Liebsten durch eine gefühllose Wand ge¬
trennt, wie Ovids Pyramus und Thisbe, süße Schwüre lallen. Andre mögen
Ihnen die mächtigen, glattbehauenen, halb mannshohen Gräben der Bogumilen
schildern, dieser Vorläufer der Reformation, der Albigenser, Waldenser, Hussiten,
Savonarolas, Wicliffs, des ^AvcML bonliollims, Johanns von Leyden und
andrer Sozialisten. Nicht einmal das Loblied des Barons von Källay will
ich singen und schwungvolle Vergleiche des wackern österreichischen Prokonsuls
mit Warren Hastings und Lord Clive anstellen, sondern -- (hier gebiert dieser
mächtige Vordersatz seine kleine Maus): von etwas anderm reden.

Bei der Schilderung des "Jetzt," das auf die Mehrzahl der Menschen
eine berechtigte Anziehungskraft ausübt, hat sich in diesen Briefen aus den
schwarzen Bergen gar oft ein Rückblick auf das "Einst" eingeschlichen, das für
ihre Minderzahl einen nicht minder verführerischen Zauber hat, auf das mächtige
"Einst," das dürftig und unsicher, wie seine Kunde zu uns herüberdringt, doch
noch immer die Grundlage jeder individuellen Ansbildung ist, auf den Urquell
alles gesunden Denkens, auf das klassische Altertum. Darf es Wunder nehmen?
Deutlicher hallen doch die Verse der alten Dichter über den Zwischenraum
von zweitausend Jahren, wenn man an der Stelle steht, wo sie gesprochen
wurden. Stimmen der Vergangenheit werden in dein Verehrer der Alten an
Orten wach, wo der der Mysterien Unkundige nur einen Haufen weißer, zer-
brochner Steine sieht; alte Säulenstümpfe erzählen ihm, dem Eingeweihten, ihre


Grenzboten II 1899 89
Aus den schwarzen Bergen

noch von den stolzen Juden Spaniens in seinen Mauern reden, die hochmütig
auf den Aschkenas herabsehen und in bittrer Verbannung sich ihr altkastilischcs
Idiom bewahrt haben, noch von den Reizen seiner Töchter, die schön wie die
Glaubensgenossinnen von Tanger, Algier und Tunis, aber auch ebenso heraus¬
fordernd im kleinen, dukatengeschmückten, dunkelroten Fes umherstolzieren. Noch
will ich bösen Neid in Ihrer Brust erwecken durch die Schilderung eines
orientalischen Bades und berichten von der Zartheit und Aufmerksamkeit der
Bedienung, von der leichten, erquickenden Massage, der künstlerischen Frottierung
der Haut mit weichen Tüchern und von der Siesta mit Kaffee und Cigaretten
bei Springbrunnengeplätscher. Auch in die Sinan Thekla dürfen Sie mich nicht
begleiten, in das Derwischkloster, wo des Freitags abends sich heulende Der¬
wische in verrückten Wirbel unter „Hus" und „Allahas," unter Schweiß und
Schaum zu Ehren Gottes drehen, damit Sie dort nicht die Verachtung der
orientalischen Kulte lernen, die der gebildete Römer diesen Isis- und Cybele-
priestern entgegensetzte. Noch werde ich Sie auffordern, im Bent-Vaschi Kaffee¬
hause am rechten Ufer der Serajewo durchströmendem Miljatschka im Schatten
hochwipfliger Bäume unter den Klängen aufregender Zigeunersideln und dem
Gurgeln der Nargileh mit mir zu träumen. Mögen andre, und wie die Phrase
lautet, bessere, erzählen von der Poesie cypressenbeschatteter türkischer Fried¬
höfe und dem Liebesgeflüster an den dicht vergitterten Fenstern der Haremliks,
vor denen junge Moslems, von der Liebsten durch eine gefühllose Wand ge¬
trennt, wie Ovids Pyramus und Thisbe, süße Schwüre lallen. Andre mögen
Ihnen die mächtigen, glattbehauenen, halb mannshohen Gräben der Bogumilen
schildern, dieser Vorläufer der Reformation, der Albigenser, Waldenser, Hussiten,
Savonarolas, Wicliffs, des ^AvcML bonliollims, Johanns von Leyden und
andrer Sozialisten. Nicht einmal das Loblied des Barons von Källay will
ich singen und schwungvolle Vergleiche des wackern österreichischen Prokonsuls
mit Warren Hastings und Lord Clive anstellen, sondern — (hier gebiert dieser
mächtige Vordersatz seine kleine Maus): von etwas anderm reden.

Bei der Schilderung des „Jetzt," das auf die Mehrzahl der Menschen
eine berechtigte Anziehungskraft ausübt, hat sich in diesen Briefen aus den
schwarzen Bergen gar oft ein Rückblick auf das „Einst" eingeschlichen, das für
ihre Minderzahl einen nicht minder verführerischen Zauber hat, auf das mächtige
„Einst," das dürftig und unsicher, wie seine Kunde zu uns herüberdringt, doch
noch immer die Grundlage jeder individuellen Ansbildung ist, auf den Urquell
alles gesunden Denkens, auf das klassische Altertum. Darf es Wunder nehmen?
Deutlicher hallen doch die Verse der alten Dichter über den Zwischenraum
von zweitausend Jahren, wenn man an der Stelle steht, wo sie gesprochen
wurden. Stimmen der Vergangenheit werden in dein Verehrer der Alten an
Orten wach, wo der der Mysterien Unkundige nur einen Haufen weißer, zer-
brochner Steine sieht; alte Säulenstümpfe erzählen ihm, dem Eingeweihten, ihre


Grenzboten II 1899 89
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/713>, abgerufen am 28.09.2024.