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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis zu ZVolfgang Menzel

den Menzels Buch auf die junge Generation dieser Tage machte, haben wir
von Theodor Mundt. In seiner Zeitschrift "Litterarischer Zodiakus" schreibt
er im Jahre 1835: "In der Emanzipation der deutschen Poesie von der
Goethischen Gesinnung, die sich schon lange unbewußt in den strebenden
Geistern regte, noch ehe auch ein Wort davon unter uns laut wurde, hat sich
Wolfgang Menzel ein literarhistorisches Verdienst erworben, indem er die
Gesinnung einer neuen Zeit zuerst am mutigsten in sich durchfühlte. Er ist
der erste Vorkämpfer der neuern Bewegung, die unternommen wurde, um an
alten, hergebrachten Pedanterien des deutschen Wesens niederzureißen."

Leicht ließen sich noch ähnliche Äußerungen aus den Reihen des "Jungen
Deutschlands" beibringen. Und es unterliegt keinem Zweifel, daß auch Heine,
eine Zeit lang wenigstens, die litterarische Führerschaft Menzels offen aner¬
kannte, ja daß er, wie die übrigen jungen Schriftsteller, von Menzels Buch
stark beeinflußt wurde. Es soll die Aufgabe dieser Zeilen sein, diese That¬
sache zu beweisen, die Heine selbst später zu unterdrücken suchte, und die,
wohl gerade darum, von seinen panegyrischen Biographen gänzlich übersehen
worden ist.

Einen Bericht über die persönlichen Beziehungen Heines zu Menzel findet
man in dem Buche von Gustav Karpeles "Heinrich Heine und seine Zeitgenossen,"
Seite 293 ff. Hiernach lernten sie sich in Bonn als Studenten kennen; später
trafen sie sich wieder, als Heine im Jahre 1827, mit einem Einführungsbriefe
von Börne versehen, auf seiner Reise nach München dem gefürchteten Kritiker
in Stuttgart seine Aufwartung machte. Bald nach seinem Besuche war es,
daß Heine seine Rezension von Menzels "Deutscher Litteratur" veröffentlichte
und darin Zeugnis ablegte von dem Umschwung, den das Studium dieses
Buches in seinen Ansichten hervorgebracht hatte. Er beginnt seine Rezension
mit einem Zitat aus Fichte: "Wisse, daß jedes Werk, das da wert war zu
erscheinen, sogleich mit seiner Erscheinung gar keinen Richter finden kann, es
soll sich erst sein Publikum erziehen und seinen Richterstuhl für sich bilden."
Heine vergleicht dann das Menzelsche Werk mit Friedrich Schlegels Vor¬
lesungen über Litteratur: "Menzels deutsche Litteratur, sagt er, ist ein wür¬
diges Seitenstück zu dem erwähnten Werk von Fr. Schlegel. Dieselbe Gro߬
artigkeit der Ausfassung, des Strebens, der Kraft und des Irrtums." Ist
nun dieser hinkende Vergleich bezeichnend genug für das literarhistorische
Urteil des jungen Heine, so merkt er doch, wie Gutzkow, Mundt und Börne,
das Neue und Reformatorische in Menzels Ansichten. Er fährt fort: "Bilden
aber die Schlegelschen Vorlesungen solchermaßen ein Litteratnrepos, so erscheint
uns hingegen das Menzelsche Werk wie ein bewegtes Drama, die Interessen
der Zeit treten auf und halten ihre Monologe, die Leidenschaften, Wünsche,
Hoffnungen, Furcht und Mitleid sprechen sich aus, die Freunde raten, die
Feinde drungen, die Parteien stehn sich gegenüber, der Verfasser läßt allen ihr


Grenzboten II 1899 88
Heines Verhältnis zu ZVolfgang Menzel

den Menzels Buch auf die junge Generation dieser Tage machte, haben wir
von Theodor Mundt. In seiner Zeitschrift „Litterarischer Zodiakus" schreibt
er im Jahre 1835: „In der Emanzipation der deutschen Poesie von der
Goethischen Gesinnung, die sich schon lange unbewußt in den strebenden
Geistern regte, noch ehe auch ein Wort davon unter uns laut wurde, hat sich
Wolfgang Menzel ein literarhistorisches Verdienst erworben, indem er die
Gesinnung einer neuen Zeit zuerst am mutigsten in sich durchfühlte. Er ist
der erste Vorkämpfer der neuern Bewegung, die unternommen wurde, um an
alten, hergebrachten Pedanterien des deutschen Wesens niederzureißen."

Leicht ließen sich noch ähnliche Äußerungen aus den Reihen des „Jungen
Deutschlands" beibringen. Und es unterliegt keinem Zweifel, daß auch Heine,
eine Zeit lang wenigstens, die litterarische Führerschaft Menzels offen aner¬
kannte, ja daß er, wie die übrigen jungen Schriftsteller, von Menzels Buch
stark beeinflußt wurde. Es soll die Aufgabe dieser Zeilen sein, diese That¬
sache zu beweisen, die Heine selbst später zu unterdrücken suchte, und die,
wohl gerade darum, von seinen panegyrischen Biographen gänzlich übersehen
worden ist.

Einen Bericht über die persönlichen Beziehungen Heines zu Menzel findet
man in dem Buche von Gustav Karpeles „Heinrich Heine und seine Zeitgenossen,"
Seite 293 ff. Hiernach lernten sie sich in Bonn als Studenten kennen; später
trafen sie sich wieder, als Heine im Jahre 1827, mit einem Einführungsbriefe
von Börne versehen, auf seiner Reise nach München dem gefürchteten Kritiker
in Stuttgart seine Aufwartung machte. Bald nach seinem Besuche war es,
daß Heine seine Rezension von Menzels „Deutscher Litteratur" veröffentlichte
und darin Zeugnis ablegte von dem Umschwung, den das Studium dieses
Buches in seinen Ansichten hervorgebracht hatte. Er beginnt seine Rezension
mit einem Zitat aus Fichte: „Wisse, daß jedes Werk, das da wert war zu
erscheinen, sogleich mit seiner Erscheinung gar keinen Richter finden kann, es
soll sich erst sein Publikum erziehen und seinen Richterstuhl für sich bilden."
Heine vergleicht dann das Menzelsche Werk mit Friedrich Schlegels Vor¬
lesungen über Litteratur: „Menzels deutsche Litteratur, sagt er, ist ein wür¬
diges Seitenstück zu dem erwähnten Werk von Fr. Schlegel. Dieselbe Gro߬
artigkeit der Ausfassung, des Strebens, der Kraft und des Irrtums." Ist
nun dieser hinkende Vergleich bezeichnend genug für das literarhistorische
Urteil des jungen Heine, so merkt er doch, wie Gutzkow, Mundt und Börne,
das Neue und Reformatorische in Menzels Ansichten. Er fährt fort: „Bilden
aber die Schlegelschen Vorlesungen solchermaßen ein Litteratnrepos, so erscheint
uns hingegen das Menzelsche Werk wie ein bewegtes Drama, die Interessen
der Zeit treten auf und halten ihre Monologe, die Leidenschaften, Wünsche,
Hoffnungen, Furcht und Mitleid sprechen sich aus, die Freunde raten, die
Feinde drungen, die Parteien stehn sich gegenüber, der Verfasser läßt allen ihr


Grenzboten II 1899 88
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[0705] Heines Verhältnis zu ZVolfgang Menzel den Menzels Buch auf die junge Generation dieser Tage machte, haben wir von Theodor Mundt. In seiner Zeitschrift „Litterarischer Zodiakus" schreibt er im Jahre 1835: „In der Emanzipation der deutschen Poesie von der Goethischen Gesinnung, die sich schon lange unbewußt in den strebenden Geistern regte, noch ehe auch ein Wort davon unter uns laut wurde, hat sich Wolfgang Menzel ein literarhistorisches Verdienst erworben, indem er die Gesinnung einer neuen Zeit zuerst am mutigsten in sich durchfühlte. Er ist der erste Vorkämpfer der neuern Bewegung, die unternommen wurde, um an alten, hergebrachten Pedanterien des deutschen Wesens niederzureißen." Leicht ließen sich noch ähnliche Äußerungen aus den Reihen des „Jungen Deutschlands" beibringen. Und es unterliegt keinem Zweifel, daß auch Heine, eine Zeit lang wenigstens, die litterarische Führerschaft Menzels offen aner¬ kannte, ja daß er, wie die übrigen jungen Schriftsteller, von Menzels Buch stark beeinflußt wurde. Es soll die Aufgabe dieser Zeilen sein, diese That¬ sache zu beweisen, die Heine selbst später zu unterdrücken suchte, und die, wohl gerade darum, von seinen panegyrischen Biographen gänzlich übersehen worden ist. Einen Bericht über die persönlichen Beziehungen Heines zu Menzel findet man in dem Buche von Gustav Karpeles „Heinrich Heine und seine Zeitgenossen," Seite 293 ff. Hiernach lernten sie sich in Bonn als Studenten kennen; später trafen sie sich wieder, als Heine im Jahre 1827, mit einem Einführungsbriefe von Börne versehen, auf seiner Reise nach München dem gefürchteten Kritiker in Stuttgart seine Aufwartung machte. Bald nach seinem Besuche war es, daß Heine seine Rezension von Menzels „Deutscher Litteratur" veröffentlichte und darin Zeugnis ablegte von dem Umschwung, den das Studium dieses Buches in seinen Ansichten hervorgebracht hatte. Er beginnt seine Rezension mit einem Zitat aus Fichte: „Wisse, daß jedes Werk, das da wert war zu erscheinen, sogleich mit seiner Erscheinung gar keinen Richter finden kann, es soll sich erst sein Publikum erziehen und seinen Richterstuhl für sich bilden." Heine vergleicht dann das Menzelsche Werk mit Friedrich Schlegels Vor¬ lesungen über Litteratur: „Menzels deutsche Litteratur, sagt er, ist ein wür¬ diges Seitenstück zu dem erwähnten Werk von Fr. Schlegel. Dieselbe Gro߬ artigkeit der Ausfassung, des Strebens, der Kraft und des Irrtums." Ist nun dieser hinkende Vergleich bezeichnend genug für das literarhistorische Urteil des jungen Heine, so merkt er doch, wie Gutzkow, Mundt und Börne, das Neue und Reformatorische in Menzels Ansichten. Er fährt fort: „Bilden aber die Schlegelschen Vorlesungen solchermaßen ein Litteratnrepos, so erscheint uns hingegen das Menzelsche Werk wie ein bewegtes Drama, die Interessen der Zeit treten auf und halten ihre Monologe, die Leidenschaften, Wünsche, Hoffnungen, Furcht und Mitleid sprechen sich aus, die Freunde raten, die Feinde drungen, die Parteien stehn sich gegenüber, der Verfasser läßt allen ihr Grenzboten II 1899 88

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/705>, abgerufen am 28.09.2024.