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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution

sie auch aus Opportunitätsgründen bisweilen den Zusammenhang mit diesen
leugnet, so finden wir sie doch andrerseits nur zu oft in sozialdemokratischen
Zeitungen, Kalendern, Volksschriften, Reden als Märtyrer verherrlicht, obgleich
auch neuerdings eine friedliche Umgestaltung der bestehenden Ordnung von
vielen Seiten in der Partei angebahnt wird. Ferner wurden in der Revolu¬
tion alle Behörden gewählt, und zwar ziemlich oft, sodaß oft zwei Tage in
der Woche durch Wahlgeschäfte in Anspruch genommen waren. Darüber
wird man sich nicht wundern, wenn wir hören, daß sogar alle Gemeinde¬
behörden, alle Dorfbeamten, alle Offiziere, Unteroffiziere, ja sogar die Polizisten
gewählt wurden, alles ganz nach Rousseaus Du vortrat sooial. Daß aber alle
Behörden gewählt werden, ist auch das Ziel der Sozialdemokratie, weil sie
dann hofft, die Macht in die Hand zu bekommen.

Neben der Souveränität des Volkes ist es die allgemeine Freiheit und
Gleichheit, die Rousseau in seiner Schrift Du oonti'At sovml betont, und die er
als Ziel der Gesetzgebung hinstellt. Die Freiheit liegt darin begründet, daß
jeder Mensch von Natur frei ist. Deshalb kann auch keiner gezwungen werden,
dem "Gesellschaftsverträge" beizutreten. Allein eben erst durch diesen erhält
der Mensch die wahre Freiheit, indem der Staat den Einzelnen als Glied des
Ganzen schützt, während dieser wiederum, wenn es nötig ist, mit seinem Leben
für ihn eintreten muß. Er ist dem Staate zum Gehorsam verpflichtet und
muß das unbeschränkte Recht auf alles persönliche Eigentum aufgeben, der
Einzelne ist nur Nutznießer des Staatseigentums. Indem nun aber alle, die
durch den "Gesellschaftsvertrag" verbunden sind, gleiche Pflichten und dafür
auch gleiche Rechte haben, ist die allgemeine Gleichheit hergestellt. Diese kann
von feiten des Staates nicht gestört werden, indem etwa einer stärker belastet
würde als der andre, weil der allgemeine Wille, d. h. des "Volkes," immer nur
auf das Beste des Staates abzielt. Im Gegenteil: durch den "Gesellschafts¬
vertrag" erhalten nicht nur die Bürger gleiche Rechte, sondern werden auch
ein Sittlichkeit einander gleich, indem alle ihre Pflichten in gleicher Weise
treulich erfüllen. Infolge dieser allgemeinen Freiheit und Gleichheit sollen auch
alle Religionen im "Gesellschaftsstaate" Duldung erfahren, sofern nicht ihre
Dogmen den staatsbürgerlichen Pflichten widerstreiten. Um dies beurteilen zu
können, muß der Staat gewisse Grundsätze aufstellen, deren Anerkennung er
von seinen Bürgern verlangt. Diese Glaubenssätze müssen sich beziehen auf
das Dasein einer allmächtigen, weisen, wohlthätigen Gottheit, auf ein zu¬
künftiges Leben, die Belohnung der Gerechten und Bestrafung der Gottlosen,
sowie auf die Heiligkeit des "Gesellschaftsvertrags" und der Gesetze. Wer diese
Sätze ablehnt, wird aus dem Staat verwiesen, wer gegen sie handelt, wegen
Meineids mit dem Tode bestraft. Darum kann auch keine Religion geduldet
werden, die lehrt, daß es außer der Kirche kein Heil giebt. Diese Freiheit
und Gleichheit Rousseaus wurde nun in der Revolution in vollkommenster


Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution

sie auch aus Opportunitätsgründen bisweilen den Zusammenhang mit diesen
leugnet, so finden wir sie doch andrerseits nur zu oft in sozialdemokratischen
Zeitungen, Kalendern, Volksschriften, Reden als Märtyrer verherrlicht, obgleich
auch neuerdings eine friedliche Umgestaltung der bestehenden Ordnung von
vielen Seiten in der Partei angebahnt wird. Ferner wurden in der Revolu¬
tion alle Behörden gewählt, und zwar ziemlich oft, sodaß oft zwei Tage in
der Woche durch Wahlgeschäfte in Anspruch genommen waren. Darüber
wird man sich nicht wundern, wenn wir hören, daß sogar alle Gemeinde¬
behörden, alle Dorfbeamten, alle Offiziere, Unteroffiziere, ja sogar die Polizisten
gewählt wurden, alles ganz nach Rousseaus Du vortrat sooial. Daß aber alle
Behörden gewählt werden, ist auch das Ziel der Sozialdemokratie, weil sie
dann hofft, die Macht in die Hand zu bekommen.

Neben der Souveränität des Volkes ist es die allgemeine Freiheit und
Gleichheit, die Rousseau in seiner Schrift Du oonti'At sovml betont, und die er
als Ziel der Gesetzgebung hinstellt. Die Freiheit liegt darin begründet, daß
jeder Mensch von Natur frei ist. Deshalb kann auch keiner gezwungen werden,
dem „Gesellschaftsverträge" beizutreten. Allein eben erst durch diesen erhält
der Mensch die wahre Freiheit, indem der Staat den Einzelnen als Glied des
Ganzen schützt, während dieser wiederum, wenn es nötig ist, mit seinem Leben
für ihn eintreten muß. Er ist dem Staate zum Gehorsam verpflichtet und
muß das unbeschränkte Recht auf alles persönliche Eigentum aufgeben, der
Einzelne ist nur Nutznießer des Staatseigentums. Indem nun aber alle, die
durch den „Gesellschaftsvertrag" verbunden sind, gleiche Pflichten und dafür
auch gleiche Rechte haben, ist die allgemeine Gleichheit hergestellt. Diese kann
von feiten des Staates nicht gestört werden, indem etwa einer stärker belastet
würde als der andre, weil der allgemeine Wille, d. h. des „Volkes," immer nur
auf das Beste des Staates abzielt. Im Gegenteil: durch den „Gesellschafts¬
vertrag" erhalten nicht nur die Bürger gleiche Rechte, sondern werden auch
ein Sittlichkeit einander gleich, indem alle ihre Pflichten in gleicher Weise
treulich erfüllen. Infolge dieser allgemeinen Freiheit und Gleichheit sollen auch
alle Religionen im „Gesellschaftsstaate" Duldung erfahren, sofern nicht ihre
Dogmen den staatsbürgerlichen Pflichten widerstreiten. Um dies beurteilen zu
können, muß der Staat gewisse Grundsätze aufstellen, deren Anerkennung er
von seinen Bürgern verlangt. Diese Glaubenssätze müssen sich beziehen auf
das Dasein einer allmächtigen, weisen, wohlthätigen Gottheit, auf ein zu¬
künftiges Leben, die Belohnung der Gerechten und Bestrafung der Gottlosen,
sowie auf die Heiligkeit des „Gesellschaftsvertrags" und der Gesetze. Wer diese
Sätze ablehnt, wird aus dem Staat verwiesen, wer gegen sie handelt, wegen
Meineids mit dem Tode bestraft. Darum kann auch keine Religion geduldet
werden, die lehrt, daß es außer der Kirche kein Heil giebt. Diese Freiheit
und Gleichheit Rousseaus wurde nun in der Revolution in vollkommenster


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[0699] Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution sie auch aus Opportunitätsgründen bisweilen den Zusammenhang mit diesen leugnet, so finden wir sie doch andrerseits nur zu oft in sozialdemokratischen Zeitungen, Kalendern, Volksschriften, Reden als Märtyrer verherrlicht, obgleich auch neuerdings eine friedliche Umgestaltung der bestehenden Ordnung von vielen Seiten in der Partei angebahnt wird. Ferner wurden in der Revolu¬ tion alle Behörden gewählt, und zwar ziemlich oft, sodaß oft zwei Tage in der Woche durch Wahlgeschäfte in Anspruch genommen waren. Darüber wird man sich nicht wundern, wenn wir hören, daß sogar alle Gemeinde¬ behörden, alle Dorfbeamten, alle Offiziere, Unteroffiziere, ja sogar die Polizisten gewählt wurden, alles ganz nach Rousseaus Du vortrat sooial. Daß aber alle Behörden gewählt werden, ist auch das Ziel der Sozialdemokratie, weil sie dann hofft, die Macht in die Hand zu bekommen. Neben der Souveränität des Volkes ist es die allgemeine Freiheit und Gleichheit, die Rousseau in seiner Schrift Du oonti'At sovml betont, und die er als Ziel der Gesetzgebung hinstellt. Die Freiheit liegt darin begründet, daß jeder Mensch von Natur frei ist. Deshalb kann auch keiner gezwungen werden, dem „Gesellschaftsverträge" beizutreten. Allein eben erst durch diesen erhält der Mensch die wahre Freiheit, indem der Staat den Einzelnen als Glied des Ganzen schützt, während dieser wiederum, wenn es nötig ist, mit seinem Leben für ihn eintreten muß. Er ist dem Staate zum Gehorsam verpflichtet und muß das unbeschränkte Recht auf alles persönliche Eigentum aufgeben, der Einzelne ist nur Nutznießer des Staatseigentums. Indem nun aber alle, die durch den „Gesellschaftsvertrag" verbunden sind, gleiche Pflichten und dafür auch gleiche Rechte haben, ist die allgemeine Gleichheit hergestellt. Diese kann von feiten des Staates nicht gestört werden, indem etwa einer stärker belastet würde als der andre, weil der allgemeine Wille, d. h. des „Volkes," immer nur auf das Beste des Staates abzielt. Im Gegenteil: durch den „Gesellschafts¬ vertrag" erhalten nicht nur die Bürger gleiche Rechte, sondern werden auch ein Sittlichkeit einander gleich, indem alle ihre Pflichten in gleicher Weise treulich erfüllen. Infolge dieser allgemeinen Freiheit und Gleichheit sollen auch alle Religionen im „Gesellschaftsstaate" Duldung erfahren, sofern nicht ihre Dogmen den staatsbürgerlichen Pflichten widerstreiten. Um dies beurteilen zu können, muß der Staat gewisse Grundsätze aufstellen, deren Anerkennung er von seinen Bürgern verlangt. Diese Glaubenssätze müssen sich beziehen auf das Dasein einer allmächtigen, weisen, wohlthätigen Gottheit, auf ein zu¬ künftiges Leben, die Belohnung der Gerechten und Bestrafung der Gottlosen, sowie auf die Heiligkeit des „Gesellschaftsvertrags" und der Gesetze. Wer diese Sätze ablehnt, wird aus dem Staat verwiesen, wer gegen sie handelt, wegen Meineids mit dem Tode bestraft. Darum kann auch keine Religion geduldet werden, die lehrt, daß es außer der Kirche kein Heil giebt. Diese Freiheit und Gleichheit Rousseaus wurde nun in der Revolution in vollkommenster

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/699>, abgerufen am 28.09.2024.