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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Umber vor Gericht

zehn Jahren) als Vorbedingung für die Verurteilung fordert. Dieses Er¬
fordernis fällt bei den beiden andern Stufen ganz weg; und daraus ergiebt
sich also, daß die eigentliche bedingte, d. h. vom Richter mit Rücksicht auf
jugendliches Alter besonders festzustellende oder auszuschließende subjektive Zu¬
rechnung dort überhaupt nur bis zum vierzehnten Lebensjahre angenommen
wird, d. h. also nur bis zu dem Zeitpunkte, von dem an die neuere Richtung
diese Möglichkeit überhaupt erst anfangen und dann bis zum achtzehnten oder
sogar einundzwanzigsten Lebensjahre dauern lassen will!

Schon hieraus dürfte sich ergeben, daß sich die praktische Rechtspflege
selbst in ihren humanster Gesetzen (das erwähnte italienische Gesetzbuch hat
bekanntlich die Todesstrafe abgeschafft, die also seit 1. Januar 1830 in Italien
nicht mehr Gesetz ist) noch nicht hat entschließen können, jenen Bestrebungen
noch mehr, als bisher geschehen ist, entgegen zu kommen. In der That erscheint
es auch verfehlt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit mit demselben Alter wie
die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit anfangen zu lassen. Die Erkenntnis des
Rechts und Unrechts, das dem Strafgesetz zu Grunde liegt, ist im Kinde durch
die Erziehung in einer ganz andern Weise zu wecken und zu schärfen, als dies
mit den schwierigen und verwickelten Grundbedingungen und -bestimmungeu
des bürgerlichen Rechtslebens je möglich wäre. Der Mangel an Unter¬
scheidungsvermögen ist in dieser Hinsicht weniger eine Frage des Alters, als
der Erziehung. Die hier allein wirksame Erziehung kann nur darin bestehen,
daß man, wie Lombroso in seinem bekannten Werke: "Der Verbrecher"
<S. 133 ff.) mit Recht hervorhebt, eine Reihe von geistigen Reflexbewegungen
weckt und pflegt, die geeignet sind, an die Stelle der natürlichen, eingebornen
bösen Triebe zu treten. Wo eine derartige Erziehung schon in der Jugend
eingewirkt hat, da wird sich auch das Unterscheidungsvermögen früh einstellen.
Wo sie dagegen fehlt, und wo dieser Mangel dann die vom Gesetz als Straf¬
thaten bezeichneten Handlungen zur Folge hat, da wird es in allen Fällen
Sache der Gesamtheit sein, für eine vorbeugende Erziehung Sorge zu tragen.

Daraus ergiebt sich nun aber ferner, daß der Schwerpunkt der ganzen
Frage über die strafrechtliche Vehandlung von Kindern weniger in der Ver¬
hängung der Strafe liegt, als in der Art der Vollziehung. Hier trifft nun
das deutsche Neichsstrafgesetzbuch zwar eine dürftige und nur allgemein gehaltne,
aber den Kernpunkt doch andeutende Bestimmung G 57 letzter Absatz): "Die
Freiheitsstrafe ist in besondern, zur Verbüßung von Strafen jugendlicher Per¬
sonen bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen." Darin liegt nicht
nur die Forderung, daß die "jugendlichen" Strafgefangnen nicht mit den voll¬
jährigen zusammen gehalten werden sollen, sondern auch die, daß die Schul¬
pflicht auch für sie weiter gilt, und daß besondre Anstalten für sie dem Zwecke
einer besondern Erziehung Rechnung tragen müssen. Allerdings sollen diese
Anstalten auch das Merkmal der Strafe nicht vermissen lassen, jedoch so, daß
der Erziehungszwcck daneben als gleichberechtigt erscheint.


Umber vor Gericht

zehn Jahren) als Vorbedingung für die Verurteilung fordert. Dieses Er¬
fordernis fällt bei den beiden andern Stufen ganz weg; und daraus ergiebt
sich also, daß die eigentliche bedingte, d. h. vom Richter mit Rücksicht auf
jugendliches Alter besonders festzustellende oder auszuschließende subjektive Zu¬
rechnung dort überhaupt nur bis zum vierzehnten Lebensjahre angenommen
wird, d. h. also nur bis zu dem Zeitpunkte, von dem an die neuere Richtung
diese Möglichkeit überhaupt erst anfangen und dann bis zum achtzehnten oder
sogar einundzwanzigsten Lebensjahre dauern lassen will!

Schon hieraus dürfte sich ergeben, daß sich die praktische Rechtspflege
selbst in ihren humanster Gesetzen (das erwähnte italienische Gesetzbuch hat
bekanntlich die Todesstrafe abgeschafft, die also seit 1. Januar 1830 in Italien
nicht mehr Gesetz ist) noch nicht hat entschließen können, jenen Bestrebungen
noch mehr, als bisher geschehen ist, entgegen zu kommen. In der That erscheint
es auch verfehlt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit mit demselben Alter wie
die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit anfangen zu lassen. Die Erkenntnis des
Rechts und Unrechts, das dem Strafgesetz zu Grunde liegt, ist im Kinde durch
die Erziehung in einer ganz andern Weise zu wecken und zu schärfen, als dies
mit den schwierigen und verwickelten Grundbedingungen und -bestimmungeu
des bürgerlichen Rechtslebens je möglich wäre. Der Mangel an Unter¬
scheidungsvermögen ist in dieser Hinsicht weniger eine Frage des Alters, als
der Erziehung. Die hier allein wirksame Erziehung kann nur darin bestehen,
daß man, wie Lombroso in seinem bekannten Werke: „Der Verbrecher"
<S. 133 ff.) mit Recht hervorhebt, eine Reihe von geistigen Reflexbewegungen
weckt und pflegt, die geeignet sind, an die Stelle der natürlichen, eingebornen
bösen Triebe zu treten. Wo eine derartige Erziehung schon in der Jugend
eingewirkt hat, da wird sich auch das Unterscheidungsvermögen früh einstellen.
Wo sie dagegen fehlt, und wo dieser Mangel dann die vom Gesetz als Straf¬
thaten bezeichneten Handlungen zur Folge hat, da wird es in allen Fällen
Sache der Gesamtheit sein, für eine vorbeugende Erziehung Sorge zu tragen.

Daraus ergiebt sich nun aber ferner, daß der Schwerpunkt der ganzen
Frage über die strafrechtliche Vehandlung von Kindern weniger in der Ver¬
hängung der Strafe liegt, als in der Art der Vollziehung. Hier trifft nun
das deutsche Neichsstrafgesetzbuch zwar eine dürftige und nur allgemein gehaltne,
aber den Kernpunkt doch andeutende Bestimmung G 57 letzter Absatz): „Die
Freiheitsstrafe ist in besondern, zur Verbüßung von Strafen jugendlicher Per¬
sonen bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen." Darin liegt nicht
nur die Forderung, daß die „jugendlichen" Strafgefangnen nicht mit den voll¬
jährigen zusammen gehalten werden sollen, sondern auch die, daß die Schul¬
pflicht auch für sie weiter gilt, und daß besondre Anstalten für sie dem Zwecke
einer besondern Erziehung Rechnung tragen müssen. Allerdings sollen diese
Anstalten auch das Merkmal der Strafe nicht vermissen lassen, jedoch so, daß
der Erziehungszwcck daneben als gleichberechtigt erscheint.


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[0692] Umber vor Gericht zehn Jahren) als Vorbedingung für die Verurteilung fordert. Dieses Er¬ fordernis fällt bei den beiden andern Stufen ganz weg; und daraus ergiebt sich also, daß die eigentliche bedingte, d. h. vom Richter mit Rücksicht auf jugendliches Alter besonders festzustellende oder auszuschließende subjektive Zu¬ rechnung dort überhaupt nur bis zum vierzehnten Lebensjahre angenommen wird, d. h. also nur bis zu dem Zeitpunkte, von dem an die neuere Richtung diese Möglichkeit überhaupt erst anfangen und dann bis zum achtzehnten oder sogar einundzwanzigsten Lebensjahre dauern lassen will! Schon hieraus dürfte sich ergeben, daß sich die praktische Rechtspflege selbst in ihren humanster Gesetzen (das erwähnte italienische Gesetzbuch hat bekanntlich die Todesstrafe abgeschafft, die also seit 1. Januar 1830 in Italien nicht mehr Gesetz ist) noch nicht hat entschließen können, jenen Bestrebungen noch mehr, als bisher geschehen ist, entgegen zu kommen. In der That erscheint es auch verfehlt, die strafrechtliche Verantwortlichkeit mit demselben Alter wie die zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit anfangen zu lassen. Die Erkenntnis des Rechts und Unrechts, das dem Strafgesetz zu Grunde liegt, ist im Kinde durch die Erziehung in einer ganz andern Weise zu wecken und zu schärfen, als dies mit den schwierigen und verwickelten Grundbedingungen und -bestimmungeu des bürgerlichen Rechtslebens je möglich wäre. Der Mangel an Unter¬ scheidungsvermögen ist in dieser Hinsicht weniger eine Frage des Alters, als der Erziehung. Die hier allein wirksame Erziehung kann nur darin bestehen, daß man, wie Lombroso in seinem bekannten Werke: „Der Verbrecher" <S. 133 ff.) mit Recht hervorhebt, eine Reihe von geistigen Reflexbewegungen weckt und pflegt, die geeignet sind, an die Stelle der natürlichen, eingebornen bösen Triebe zu treten. Wo eine derartige Erziehung schon in der Jugend eingewirkt hat, da wird sich auch das Unterscheidungsvermögen früh einstellen. Wo sie dagegen fehlt, und wo dieser Mangel dann die vom Gesetz als Straf¬ thaten bezeichneten Handlungen zur Folge hat, da wird es in allen Fällen Sache der Gesamtheit sein, für eine vorbeugende Erziehung Sorge zu tragen. Daraus ergiebt sich nun aber ferner, daß der Schwerpunkt der ganzen Frage über die strafrechtliche Vehandlung von Kindern weniger in der Ver¬ hängung der Strafe liegt, als in der Art der Vollziehung. Hier trifft nun das deutsche Neichsstrafgesetzbuch zwar eine dürftige und nur allgemein gehaltne, aber den Kernpunkt doch andeutende Bestimmung G 57 letzter Absatz): „Die Freiheitsstrafe ist in besondern, zur Verbüßung von Strafen jugendlicher Per¬ sonen bestimmten Anstalten oder Räumen zu vollziehen." Darin liegt nicht nur die Forderung, daß die „jugendlichen" Strafgefangnen nicht mit den voll¬ jährigen zusammen gehalten werden sollen, sondern auch die, daß die Schul¬ pflicht auch für sie weiter gilt, und daß besondre Anstalten für sie dem Zwecke einer besondern Erziehung Rechnung tragen müssen. Allerdings sollen diese Anstalten auch das Merkmal der Strafe nicht vermissen lassen, jedoch so, daß der Erziehungszwcck daneben als gleichberechtigt erscheint.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/692>, abgerufen am 28.09.2024.