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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Kinder vor Gericht

anstatt auf Widerruf bis zu beliebiger Dauer, nur uicht über das Alter der
erreichten Volljährigkeit hinaus, überwiesen werden kann. Soweit entspricht
diese Bestimmung also ungefähr dem Z 55 unsers Reichsstrafgcsetzbuchs und
den Landesgesetzen nach Art des oben erwähnten preußischen über die Zwangs¬
erziehung. Es tritt aber in demselben Artikel noch eine ganz eigentümliche
Strafbestimmung hinzu, die das deutsche Strafrecht nicht kennt, und die sich
gegen die Eltern des jugendlichen, d. h. strasunmündigen Übelthütcrs wendet,
oder gegen die Personen, denen die Pflicht seiner Erziehung obliegt. Der
Richter kann diese "unter Bürgschaft stellen"; das heißt, er legt ihnen die be¬
sondre Verpflichtung auf, über den Unmündigen zu wachen, um weitere Straf¬
thaten zu verhindern. Begeht das Kind dann doch eine irgend welcher Art
(also auch eine leichtere), und kann dabei den Eltern oder Erziehungsverpflich-
teten irgend eine Vernachlässigung der ihnen besonders auferlegten Aufsicht
nachgewiesen werden, so wird gegen sie die vorher angedrohte Geldbuße (s,in-
wönclg,, nicht inulw, die eigentliche Geldstrafe des italienischen Strafrechts für
äsliUi, während Äinmöiicla, auf vont,rg,vör>2loin gesetzt ist) im Betrage bis zu
2000 Lire festgesetzt.

Wir sehen also, daß nach dieser Seite hin das neue italienische Straf¬
gesetzbuch den vorhin erwähnten Forderungen der internationalen kriminalistischen
Vereinigung insofern durchaus nicht entspricht, als es nach unten hin für die
eigentliche strafrechtliche Verantwortlichkeit eine bedeutend unter die Forderung
des vierzehnten Lebensjahres als Anfangspunkt hinuntergehende Grenze zieht.
Dafür aber setzt es die Grenze der mildern Strafzumessung, der radikalen
Forderung entsprechend, bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre
hinauf, und zwar unter weiterer Gliederung in drei Stufen: 1. von neun bis
vierzehn Jahren, 2. von vierzehn bis achtzehn und 3. von achtzehn bis ein¬
undzwanzig Jahren. In jeder dieser drei Stufen tritt bei der Verurteilung
eine Verminderung des Strafmaßes und der Strafart ein, die jedoch bei weitem
nicht so groß ist, wie die in unserm Neichsstrafgesetzbuch vorgeschriebne oder
zugelassene Milderung. So tritt z. B. in allen drei Stufen für Verbrechen,
die mit eiAiZ.Lo1o (der lebenslänglichen Zwangsarbeit) bedroht sind, nur die
zeitige Zuchthausstrafe (r-zowsione) ein; die Dauer ist aber z. B. in der zweiten
Stufe (vierzehn bis achtzehn Jahre) auf zwölf bis zwanzig Jahre, in der
dritten (achtzehn bis einundzwanzig Jahre) sogar auf fünfundzwanzig bis
dreißig Jahre zu bemessen -- also viel höher und schärfer in der Art, als
nach unserm Strafgesetz, das auch in diesen Fällen bei Thätern von zwölf
bis achtzehn Jahren nur Gefängnis von drei bis fünfzehn Jahren zuläßt
(Artikel 57).

Ein ganz bedeutender Unterschied liegt aber darin, daß das italienische
Gesetz eine besondre Feststellung der "zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforder¬
lichen Einsicht" (clisvörminento) nur bei der ersten Stufe (von neun bis vier-


Kinder vor Gericht

anstatt auf Widerruf bis zu beliebiger Dauer, nur uicht über das Alter der
erreichten Volljährigkeit hinaus, überwiesen werden kann. Soweit entspricht
diese Bestimmung also ungefähr dem Z 55 unsers Reichsstrafgcsetzbuchs und
den Landesgesetzen nach Art des oben erwähnten preußischen über die Zwangs¬
erziehung. Es tritt aber in demselben Artikel noch eine ganz eigentümliche
Strafbestimmung hinzu, die das deutsche Strafrecht nicht kennt, und die sich
gegen die Eltern des jugendlichen, d. h. strasunmündigen Übelthütcrs wendet,
oder gegen die Personen, denen die Pflicht seiner Erziehung obliegt. Der
Richter kann diese „unter Bürgschaft stellen"; das heißt, er legt ihnen die be¬
sondre Verpflichtung auf, über den Unmündigen zu wachen, um weitere Straf¬
thaten zu verhindern. Begeht das Kind dann doch eine irgend welcher Art
(also auch eine leichtere), und kann dabei den Eltern oder Erziehungsverpflich-
teten irgend eine Vernachlässigung der ihnen besonders auferlegten Aufsicht
nachgewiesen werden, so wird gegen sie die vorher angedrohte Geldbuße (s,in-
wönclg,, nicht inulw, die eigentliche Geldstrafe des italienischen Strafrechts für
äsliUi, während Äinmöiicla, auf vont,rg,vör>2loin gesetzt ist) im Betrage bis zu
2000 Lire festgesetzt.

Wir sehen also, daß nach dieser Seite hin das neue italienische Straf¬
gesetzbuch den vorhin erwähnten Forderungen der internationalen kriminalistischen
Vereinigung insofern durchaus nicht entspricht, als es nach unten hin für die
eigentliche strafrechtliche Verantwortlichkeit eine bedeutend unter die Forderung
des vierzehnten Lebensjahres als Anfangspunkt hinuntergehende Grenze zieht.
Dafür aber setzt es die Grenze der mildern Strafzumessung, der radikalen
Forderung entsprechend, bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre
hinauf, und zwar unter weiterer Gliederung in drei Stufen: 1. von neun bis
vierzehn Jahren, 2. von vierzehn bis achtzehn und 3. von achtzehn bis ein¬
undzwanzig Jahren. In jeder dieser drei Stufen tritt bei der Verurteilung
eine Verminderung des Strafmaßes und der Strafart ein, die jedoch bei weitem
nicht so groß ist, wie die in unserm Neichsstrafgesetzbuch vorgeschriebne oder
zugelassene Milderung. So tritt z. B. in allen drei Stufen für Verbrechen,
die mit eiAiZ.Lo1o (der lebenslänglichen Zwangsarbeit) bedroht sind, nur die
zeitige Zuchthausstrafe (r-zowsione) ein; die Dauer ist aber z. B. in der zweiten
Stufe (vierzehn bis achtzehn Jahre) auf zwölf bis zwanzig Jahre, in der
dritten (achtzehn bis einundzwanzig Jahre) sogar auf fünfundzwanzig bis
dreißig Jahre zu bemessen — also viel höher und schärfer in der Art, als
nach unserm Strafgesetz, das auch in diesen Fällen bei Thätern von zwölf
bis achtzehn Jahren nur Gefängnis von drei bis fünfzehn Jahren zuläßt
(Artikel 57).

Ein ganz bedeutender Unterschied liegt aber darin, daß das italienische
Gesetz eine besondre Feststellung der „zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforder¬
lichen Einsicht" (clisvörminento) nur bei der ersten Stufe (von neun bis vier-


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[0691] Kinder vor Gericht anstatt auf Widerruf bis zu beliebiger Dauer, nur uicht über das Alter der erreichten Volljährigkeit hinaus, überwiesen werden kann. Soweit entspricht diese Bestimmung also ungefähr dem Z 55 unsers Reichsstrafgcsetzbuchs und den Landesgesetzen nach Art des oben erwähnten preußischen über die Zwangs¬ erziehung. Es tritt aber in demselben Artikel noch eine ganz eigentümliche Strafbestimmung hinzu, die das deutsche Strafrecht nicht kennt, und die sich gegen die Eltern des jugendlichen, d. h. strasunmündigen Übelthütcrs wendet, oder gegen die Personen, denen die Pflicht seiner Erziehung obliegt. Der Richter kann diese „unter Bürgschaft stellen"; das heißt, er legt ihnen die be¬ sondre Verpflichtung auf, über den Unmündigen zu wachen, um weitere Straf¬ thaten zu verhindern. Begeht das Kind dann doch eine irgend welcher Art (also auch eine leichtere), und kann dabei den Eltern oder Erziehungsverpflich- teten irgend eine Vernachlässigung der ihnen besonders auferlegten Aufsicht nachgewiesen werden, so wird gegen sie die vorher angedrohte Geldbuße (s,in- wönclg,, nicht inulw, die eigentliche Geldstrafe des italienischen Strafrechts für äsliUi, während Äinmöiicla, auf vont,rg,vör>2loin gesetzt ist) im Betrage bis zu 2000 Lire festgesetzt. Wir sehen also, daß nach dieser Seite hin das neue italienische Straf¬ gesetzbuch den vorhin erwähnten Forderungen der internationalen kriminalistischen Vereinigung insofern durchaus nicht entspricht, als es nach unten hin für die eigentliche strafrechtliche Verantwortlichkeit eine bedeutend unter die Forderung des vierzehnten Lebensjahres als Anfangspunkt hinuntergehende Grenze zieht. Dafür aber setzt es die Grenze der mildern Strafzumessung, der radikalen Forderung entsprechend, bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre hinauf, und zwar unter weiterer Gliederung in drei Stufen: 1. von neun bis vierzehn Jahren, 2. von vierzehn bis achtzehn und 3. von achtzehn bis ein¬ undzwanzig Jahren. In jeder dieser drei Stufen tritt bei der Verurteilung eine Verminderung des Strafmaßes und der Strafart ein, die jedoch bei weitem nicht so groß ist, wie die in unserm Neichsstrafgesetzbuch vorgeschriebne oder zugelassene Milderung. So tritt z. B. in allen drei Stufen für Verbrechen, die mit eiAiZ.Lo1o (der lebenslänglichen Zwangsarbeit) bedroht sind, nur die zeitige Zuchthausstrafe (r-zowsione) ein; die Dauer ist aber z. B. in der zweiten Stufe (vierzehn bis achtzehn Jahre) auf zwölf bis zwanzig Jahre, in der dritten (achtzehn bis einundzwanzig Jahre) sogar auf fünfundzwanzig bis dreißig Jahre zu bemessen — also viel höher und schärfer in der Art, als nach unserm Strafgesetz, das auch in diesen Fällen bei Thätern von zwölf bis achtzehn Jahren nur Gefängnis von drei bis fünfzehn Jahren zuläßt (Artikel 57). Ein ganz bedeutender Unterschied liegt aber darin, daß das italienische Gesetz eine besondre Feststellung der „zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforder¬ lichen Einsicht" (clisvörminento) nur bei der ersten Stufe (von neun bis vier-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/691>, abgerufen am 28.09.2024.