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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rinder vor Gericht

einundzwanzigsten Lebensjahres, die ja schon das alte römische Recht als die
des Kindes, des Unmündigen und des Minderjährigen unterschied, besonders
behandelt. Auch im neuen deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch ist die Dreiteilung
enthalten im Gegensatz zu den jetzigen Sonderrechten einzelner Staaten, die die
Nichtvolljährigen nur nach Minderjährigkeit und Unmündigkeit (bis zum vier¬
zehnten Lebensjahre) unterscheiden. Zu bemerken ist jedenfalls, daß diese beiden
letzten im gewöhnlichen Sprachgebrauch meist als gleichbedeutend angesehenen
Bezeichnungen im rechtlichen Gebrauch auseinander zu halte" sind.

Im Strafrecht dagegen finden wir, was Deutschland anbetrifft, nur die
Stufe des vollendeten zwölften Lebensjahres als den Anfang strafrechtlicher
Zumessung und Verfolgbarkeit überhaupt und die des vollendeten achtzehnten
als den Anfang der vollen Verantwortlichkeit, sodaß das Lebensalter vom voll¬
endeten zwölften bis zum achtzehnten Jahre das Gebiet einer besondern Straf¬
rechtspflege und Strafvollziehung ist, das mit einem kurzen technischen Aus¬
druck dahin bezeichnet zu werden pflegt, daß es sich hier um die Strafthaten
"Jugendlicher" handle. (Die Bezeichnung "Jugendlicher Verbrecher" würde
nicht zutreffend sein, da sich das besondre Strafrecht auf alle drei allgemeinen
Kategorien der Strafthatcn überhaupt: Verbrechen, Vergehen und Übertretungen
bezieht.) Hierzu tritt dann noch als eine besondre Stufe für das Verfahre"
im bürgerlichen Rechtsstreit und für das Strafverfahren die praktisch so wich¬
tige Stufe des sechzehnten Lebensjahres als der Beginn der sogenannten Eides¬
mündigkeit.

Schon seit längerer Zeit hat sich nun in wissenschaftlichen Kreisen, die
besonders in der internationalen kriminalistischen Vereinigung vertreten sind,
das Bestreben gezeigt, ans die Gesetzgebung dahin einzuwirken, daß die beiden
zuerst erwähnten Gebiete mehr in Einklang mit einander gebracht würden. Am
stärksten und allgemeinsten zeigt sich diese Bestrebung darin, die strafrechtliche
Verantwortlichkeit auf das vierzehnte (statt das zwölfte) Lebensjahr zu ver¬
schieben, also dahin: den Beginn der Strafmündigkeit entsprechend der Grenze
der zivilrechtlichen Unmündigkeit festzusetzen. Daneben geht dann noch eine
an Zahl ihrer Vertreter schwächere radikalere Richtung dahin, auch die Grenze
sür die gesonderte Behandlung der Strafthaten der "Jugendlichen" vom acht¬
zehnten bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre -- entsprechend
dem Anfangstermin der zivilrechtlichen Volljährigkeit -- hinauszurücken. Wenn
man erwägt, wie sehr die öffentliche Meinung gerade in den letzten Jahren
durch Mord- und andre Gewaltthaten von manchen selbst unter achtzehn bis
zwanzig Jahren stehenden Burschen erregt worden ist, und wie sehr sich die
Meinung geltend gemacht hat, daß es der heranwachsenden Jugend unsrer
Tage in erschreckender Weise an der Achtung vor Gesetz und Autorität fehle,
so wird man zunächst finden, daß diese radikalere Richtung der öffentlichen
Meinung gegenüber einen schweren Stand haben wird. Dies umso mehr, als


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einundzwanzigsten Lebensjahres, die ja schon das alte römische Recht als die
des Kindes, des Unmündigen und des Minderjährigen unterschied, besonders
behandelt. Auch im neuen deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch ist die Dreiteilung
enthalten im Gegensatz zu den jetzigen Sonderrechten einzelner Staaten, die die
Nichtvolljährigen nur nach Minderjährigkeit und Unmündigkeit (bis zum vier¬
zehnten Lebensjahre) unterscheiden. Zu bemerken ist jedenfalls, daß diese beiden
letzten im gewöhnlichen Sprachgebrauch meist als gleichbedeutend angesehenen
Bezeichnungen im rechtlichen Gebrauch auseinander zu halte» sind.

Im Strafrecht dagegen finden wir, was Deutschland anbetrifft, nur die
Stufe des vollendeten zwölften Lebensjahres als den Anfang strafrechtlicher
Zumessung und Verfolgbarkeit überhaupt und die des vollendeten achtzehnten
als den Anfang der vollen Verantwortlichkeit, sodaß das Lebensalter vom voll¬
endeten zwölften bis zum achtzehnten Jahre das Gebiet einer besondern Straf¬
rechtspflege und Strafvollziehung ist, das mit einem kurzen technischen Aus¬
druck dahin bezeichnet zu werden pflegt, daß es sich hier um die Strafthaten
„Jugendlicher" handle. (Die Bezeichnung „Jugendlicher Verbrecher" würde
nicht zutreffend sein, da sich das besondre Strafrecht auf alle drei allgemeinen
Kategorien der Strafthatcn überhaupt: Verbrechen, Vergehen und Übertretungen
bezieht.) Hierzu tritt dann noch als eine besondre Stufe für das Verfahre»
im bürgerlichen Rechtsstreit und für das Strafverfahren die praktisch so wich¬
tige Stufe des sechzehnten Lebensjahres als der Beginn der sogenannten Eides¬
mündigkeit.

Schon seit längerer Zeit hat sich nun in wissenschaftlichen Kreisen, die
besonders in der internationalen kriminalistischen Vereinigung vertreten sind,
das Bestreben gezeigt, ans die Gesetzgebung dahin einzuwirken, daß die beiden
zuerst erwähnten Gebiete mehr in Einklang mit einander gebracht würden. Am
stärksten und allgemeinsten zeigt sich diese Bestrebung darin, die strafrechtliche
Verantwortlichkeit auf das vierzehnte (statt das zwölfte) Lebensjahr zu ver¬
schieben, also dahin: den Beginn der Strafmündigkeit entsprechend der Grenze
der zivilrechtlichen Unmündigkeit festzusetzen. Daneben geht dann noch eine
an Zahl ihrer Vertreter schwächere radikalere Richtung dahin, auch die Grenze
sür die gesonderte Behandlung der Strafthaten der „Jugendlichen" vom acht¬
zehnten bis zum vollendeten einundzwanzigsten Lebensjahre — entsprechend
dem Anfangstermin der zivilrechtlichen Volljährigkeit — hinauszurücken. Wenn
man erwägt, wie sehr die öffentliche Meinung gerade in den letzten Jahren
durch Mord- und andre Gewaltthaten von manchen selbst unter achtzehn bis
zwanzig Jahren stehenden Burschen erregt worden ist, und wie sehr sich die
Meinung geltend gemacht hat, daß es der heranwachsenden Jugend unsrer
Tage in erschreckender Weise an der Achtung vor Gesetz und Autorität fehle,
so wird man zunächst finden, daß diese radikalere Richtung der öffentlichen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/688>, abgerufen am 28.09.2024.