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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

ebensowohl büreaukratische Einseitigkeiten hintangehalten werden, wie Konflikte
zwischen staatlichen und kirchlichen, weltlichen und geistlichen Bestrebungen in
kollegialischem Zusammenarbeiten in der Regel ausgeglichen werden würden.

Ähnlich, wie wir es hier befürworten, haben sich die Dinge in Frankreich
entwickelt. Auch dort waren ursprünglich die Gemeinden allein Träger der
Volksschullasten, später traten die Departements und bei weiteren Anwachsen
der Auf- und Ausgaben der Staat hinzu; heute trägt der Staat die Kosten
und erhebt dazu nur einen verhältnismäßig kleinen Beitrag von den Gemeinden
nach Maßgabe der Staatssteuern. Die Gesamtkosten der französischen Volks¬
schule beliefen sich 1855 auf 29^ Millionen Franken, wovon die Gemeinden 19,
die Departements 5^, der Staat 5 Millionen trugen; 1882 beliefen sie sich
auf 186^ Millionen, und davon trug der Staat nicht weniger als 126 Mil¬
lionen, der Nest lag, nach Freilassung der Departements, den Gemeinden ob
und betrug 8 Prozent (vsiitiinW aääitionsls) der Staatssteuern. Daneben
trugen die Gemeinden noch die sachlichen Ausgaben. Die Belastung der Ge¬
meinden mit den sachlichen Kosten, d. h. den Kosten für Beschaffung der Schul¬
säle, ihrer Einrichtung, Heizung, Reinigung, für die nötigen Lehrmittel wie
Landkarten, Wandtafeln, Kreide, Tinte usw. widerstreitet nach unsern Dar¬
legungen dem Grundsatz der Gerechtigkeit, aber man würde sich, wenn man vor
der Übernahme aller Kosten auf die Staatskasse zurückschreckt, allenfalls vor¬
läufig damit befreunden können, wenn die Pflicht des Staates bestehn bliebe,
in besondern Fällen helfend einzutreten. Die sachlichen Kosten betragen in
Preußen im ganzen etwa ein Viertel der sämtlichen Kosten. Diese aber beliefen sich
1871 auf 55Vü, 1878 auf 100^ und 1891 auf 146Vt Millionen. Davon trug
der Staat 1871 etwa 2"/^, 1878 etwa 12'/, und 1891 etwa46'/z Millionen oder
1871 ^ 5Vs. 1878 ^ 12V" und 1891 ^ 31"/" Prozent. In neuerer Zeit sind
die Gesamtkosten und zugleich der prozentuale Anteil des Staates noch wesentlich
gestiegen. Jede weitre Verbesserung muß ja sozusagen mit Notwendigkeit vom
Staate getragen werden, denn die Gemeinden sind im großen und ganzen an
der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt, oder sie haben andre, immer
mehr Geld erfordernde wirtschaftliche und kommunale Aufgaben zu erfüllen.

Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß in Frankreich die Verstaatlichung
der Volksschule nicht ohne große Nachteile durchgeführt ist. Das ist aber nicht
verursacht worden durch die Befreiung der Gemeinden von den Schullasten,
sondern durch die Beseitigung des Einflusses der Kirche und die Ersetzung der
Religionslehre durch einen farblosen Moralunterricht und durch die Zentrali¬
sierung der Verwaltung. Von dem allen ist, wie wir oben ausgeführt haben, in
Preußen keine Rede. Die Verstaatlichung der Schulunterhaltung ist bei uns ohne
Schädigung der Schule und ihrer Erziehung möglich, und sie ist eine Forderung
der Gerechtigkeit. Mag die Zeit für dieses Ideal noch nicht reif sein, immerhin
sollen wir dem Ziele nachstreben, das unsre Enkel gewiß erreichen werden, je


Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen

ebensowohl büreaukratische Einseitigkeiten hintangehalten werden, wie Konflikte
zwischen staatlichen und kirchlichen, weltlichen und geistlichen Bestrebungen in
kollegialischem Zusammenarbeiten in der Regel ausgeglichen werden würden.

Ähnlich, wie wir es hier befürworten, haben sich die Dinge in Frankreich
entwickelt. Auch dort waren ursprünglich die Gemeinden allein Träger der
Volksschullasten, später traten die Departements und bei weiteren Anwachsen
der Auf- und Ausgaben der Staat hinzu; heute trägt der Staat die Kosten
und erhebt dazu nur einen verhältnismäßig kleinen Beitrag von den Gemeinden
nach Maßgabe der Staatssteuern. Die Gesamtkosten der französischen Volks¬
schule beliefen sich 1855 auf 29^ Millionen Franken, wovon die Gemeinden 19,
die Departements 5^, der Staat 5 Millionen trugen; 1882 beliefen sie sich
auf 186^ Millionen, und davon trug der Staat nicht weniger als 126 Mil¬
lionen, der Nest lag, nach Freilassung der Departements, den Gemeinden ob
und betrug 8 Prozent (vsiitiinW aääitionsls) der Staatssteuern. Daneben
trugen die Gemeinden noch die sachlichen Ausgaben. Die Belastung der Ge¬
meinden mit den sachlichen Kosten, d. h. den Kosten für Beschaffung der Schul¬
säle, ihrer Einrichtung, Heizung, Reinigung, für die nötigen Lehrmittel wie
Landkarten, Wandtafeln, Kreide, Tinte usw. widerstreitet nach unsern Dar¬
legungen dem Grundsatz der Gerechtigkeit, aber man würde sich, wenn man vor
der Übernahme aller Kosten auf die Staatskasse zurückschreckt, allenfalls vor¬
läufig damit befreunden können, wenn die Pflicht des Staates bestehn bliebe,
in besondern Fällen helfend einzutreten. Die sachlichen Kosten betragen in
Preußen im ganzen etwa ein Viertel der sämtlichen Kosten. Diese aber beliefen sich
1871 auf 55Vü, 1878 auf 100^ und 1891 auf 146Vt Millionen. Davon trug
der Staat 1871 etwa 2»/^, 1878 etwa 12'/, und 1891 etwa46'/z Millionen oder
1871 ^ 5Vs. 1878 ^ 12V» und 1891 ^ 31"/» Prozent. In neuerer Zeit sind
die Gesamtkosten und zugleich der prozentuale Anteil des Staates noch wesentlich
gestiegen. Jede weitre Verbesserung muß ja sozusagen mit Notwendigkeit vom
Staate getragen werden, denn die Gemeinden sind im großen und ganzen an
der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt, oder sie haben andre, immer
mehr Geld erfordernde wirtschaftliche und kommunale Aufgaben zu erfüllen.

Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß in Frankreich die Verstaatlichung
der Volksschule nicht ohne große Nachteile durchgeführt ist. Das ist aber nicht
verursacht worden durch die Befreiung der Gemeinden von den Schullasten,
sondern durch die Beseitigung des Einflusses der Kirche und die Ersetzung der
Religionslehre durch einen farblosen Moralunterricht und durch die Zentrali¬
sierung der Verwaltung. Von dem allen ist, wie wir oben ausgeführt haben, in
Preußen keine Rede. Die Verstaatlichung der Schulunterhaltung ist bei uns ohne
Schädigung der Schule und ihrer Erziehung möglich, und sie ist eine Forderung
der Gerechtigkeit. Mag die Zeit für dieses Ideal noch nicht reif sein, immerhin
sollen wir dem Ziele nachstreben, das unsre Enkel gewiß erreichen werden, je


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[0686] Zur äußern Lage der Volksschule in Preußen ebensowohl büreaukratische Einseitigkeiten hintangehalten werden, wie Konflikte zwischen staatlichen und kirchlichen, weltlichen und geistlichen Bestrebungen in kollegialischem Zusammenarbeiten in der Regel ausgeglichen werden würden. Ähnlich, wie wir es hier befürworten, haben sich die Dinge in Frankreich entwickelt. Auch dort waren ursprünglich die Gemeinden allein Träger der Volksschullasten, später traten die Departements und bei weiteren Anwachsen der Auf- und Ausgaben der Staat hinzu; heute trägt der Staat die Kosten und erhebt dazu nur einen verhältnismäßig kleinen Beitrag von den Gemeinden nach Maßgabe der Staatssteuern. Die Gesamtkosten der französischen Volks¬ schule beliefen sich 1855 auf 29^ Millionen Franken, wovon die Gemeinden 19, die Departements 5^, der Staat 5 Millionen trugen; 1882 beliefen sie sich auf 186^ Millionen, und davon trug der Staat nicht weniger als 126 Mil¬ lionen, der Nest lag, nach Freilassung der Departements, den Gemeinden ob und betrug 8 Prozent (vsiitiinW aääitionsls) der Staatssteuern. Daneben trugen die Gemeinden noch die sachlichen Ausgaben. Die Belastung der Ge¬ meinden mit den sachlichen Kosten, d. h. den Kosten für Beschaffung der Schul¬ säle, ihrer Einrichtung, Heizung, Reinigung, für die nötigen Lehrmittel wie Landkarten, Wandtafeln, Kreide, Tinte usw. widerstreitet nach unsern Dar¬ legungen dem Grundsatz der Gerechtigkeit, aber man würde sich, wenn man vor der Übernahme aller Kosten auf die Staatskasse zurückschreckt, allenfalls vor¬ läufig damit befreunden können, wenn die Pflicht des Staates bestehn bliebe, in besondern Fällen helfend einzutreten. Die sachlichen Kosten betragen in Preußen im ganzen etwa ein Viertel der sämtlichen Kosten. Diese aber beliefen sich 1871 auf 55Vü, 1878 auf 100^ und 1891 auf 146Vt Millionen. Davon trug der Staat 1871 etwa 2»/^, 1878 etwa 12'/, und 1891 etwa46'/z Millionen oder 1871 ^ 5Vs. 1878 ^ 12V» und 1891 ^ 31"/» Prozent. In neuerer Zeit sind die Gesamtkosten und zugleich der prozentuale Anteil des Staates noch wesentlich gestiegen. Jede weitre Verbesserung muß ja sozusagen mit Notwendigkeit vom Staate getragen werden, denn die Gemeinden sind im großen und ganzen an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt, oder sie haben andre, immer mehr Geld erfordernde wirtschaftliche und kommunale Aufgaben zu erfüllen. Wir wollen nicht in Abrede stellen, daß in Frankreich die Verstaatlichung der Volksschule nicht ohne große Nachteile durchgeführt ist. Das ist aber nicht verursacht worden durch die Befreiung der Gemeinden von den Schullasten, sondern durch die Beseitigung des Einflusses der Kirche und die Ersetzung der Religionslehre durch einen farblosen Moralunterricht und durch die Zentrali¬ sierung der Verwaltung. Von dem allen ist, wie wir oben ausgeführt haben, in Preußen keine Rede. Die Verstaatlichung der Schulunterhaltung ist bei uns ohne Schädigung der Schule und ihrer Erziehung möglich, und sie ist eine Forderung der Gerechtigkeit. Mag die Zeit für dieses Ideal noch nicht reif sein, immerhin sollen wir dem Ziele nachstreben, das unsre Enkel gewiß erreichen werden, je

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/686>, abgerufen am 28.09.2024.