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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Zur äußern Lage der Volksschule in Oreußen

So ist also die Besorgnis unbegründet, durch stärkere Heranziehung der
Staatskasse zur Schnlunterhaltung werde die historische Stellung der Schule
verschoben und ihre natürliche Grundlage vernichtet.

Wie weit soll nun der Staat mit seinen Mitteln eintreten? Gerecht sind
die Schulabgaben nur verteilt, wenn sie gleichmäßig alle treffen, einen jeden
nach seiner Leistungsfähigkeit, also heute in derselben Weise wie die direkten
Staatssteuern oder mit andern Worten die Einkommensteuer. Daraus folgt
die Forderung, daß der Staat die Kosten, soweit sie nicht aus Schulvermögeu
stammen, in vollem Umfange tragen soll. Finanziell unmöglich ist das nicht,
es handelt sich im ganzen etwa um 180 Millionen Mark, einen für Preußen
keineswegs unerschwinglichen Betrag, der sei es durch Erhöhung der Ein¬
kommensteuer, sei es durch eine sonstige ähnliche Staatssteuer dann ohne fühl¬
baren Druck aufzubringen wäre, wenn zugleich die Schulabgaben beseitigt
würden. Vor fünfzig Jahren noch würde es jeder Staatsmann, jeder ver¬
ständige Politiker für ausgeschlossen gehalten haben, daß jemals für das Heer
die Summen aufgebracht werden würden, die heute dafür aufgewandt werden.
Die Kapitalien aber, die stiftungsmäßig für die Schulen bestimmt oder als
Eigentum der Schulstellen festgelegt sind, würden, je nach der Lage des Falles,
entweder zu einem staatlichen Schulfonds einzuziehen oder für besondre Zwecke
der einzelnen Schule (z. B. für Prämien, Unterstützungen ärmerer Schüler, Be¬
schaffung von Lernmitteln und vieles andre) zu bestimmen sein. Füllt der
nächste Zweck einer Stiftung fort, so kann sie ja zeitgemäß umgestaltet werden;
darin hat man niemals einen Rechtsbruch gefunden. In vielen Fällen aber
würden solche Schulstiftungen oder Vermögen willkommne Gelegenheit bieten,
die Lehrer, die besondre, nicht mit dem eigentlichen Schulamte verbundne
Pflichten herkömmlicher- und zweckmäßigerweise zu erfüllen haben, für diese so¬
zusagen nebenamtlichen Dienste zu besolden.

Mit der Übernahme der Schnlunterhaltung auf den Staat würden alle
die Schwierigkeiten und Mißhelligkeiten wegfallen, die gegenwärtig der Ver¬
waltung der Volksschule anhaften: für Streitigkeiten zwischen den Schulaufsichts¬
behörden (den mit Unrecht so viel angefeindeten Regierungsabteilnngen für
Schulsachen) wegen Heranziehung der Schulunterhaltungspflichtigen zu neuen,
immer erhöhte Steuern fordernden Schuleinrichtungen, für Streitigkeiten
zwischen Gutsherrschaften (Patronen) und Schulgemeinden (Hausvätern), für
zwiespältige Wünsche von Ortschaften wegen Ein- und Ausschnlungen und der¬
gleichen wäre kein Raum mehr. Eine staatliche Selbstverwaltungsbehörde,
ähnlich dem Kreisausschuß, würde in unterer Instanz die Schulangclegenheiten
besorgen unter oberer Leitung und Aufsicht etwa des Provinzialschnlkollegiums.
In solcher Kreisschulbehörde würde den Laien als den Vertretern der Eltern
und den Trägern ihrer Wünsche und Meinungen, aber auch der Kirche eine
weitgehende und ausreichende Mitwirkung eingeräumt werden können, wodurch


Zur äußern Lage der Volksschule in Oreußen

So ist also die Besorgnis unbegründet, durch stärkere Heranziehung der
Staatskasse zur Schnlunterhaltung werde die historische Stellung der Schule
verschoben und ihre natürliche Grundlage vernichtet.

Wie weit soll nun der Staat mit seinen Mitteln eintreten? Gerecht sind
die Schulabgaben nur verteilt, wenn sie gleichmäßig alle treffen, einen jeden
nach seiner Leistungsfähigkeit, also heute in derselben Weise wie die direkten
Staatssteuern oder mit andern Worten die Einkommensteuer. Daraus folgt
die Forderung, daß der Staat die Kosten, soweit sie nicht aus Schulvermögeu
stammen, in vollem Umfange tragen soll. Finanziell unmöglich ist das nicht,
es handelt sich im ganzen etwa um 180 Millionen Mark, einen für Preußen
keineswegs unerschwinglichen Betrag, der sei es durch Erhöhung der Ein¬
kommensteuer, sei es durch eine sonstige ähnliche Staatssteuer dann ohne fühl¬
baren Druck aufzubringen wäre, wenn zugleich die Schulabgaben beseitigt
würden. Vor fünfzig Jahren noch würde es jeder Staatsmann, jeder ver¬
ständige Politiker für ausgeschlossen gehalten haben, daß jemals für das Heer
die Summen aufgebracht werden würden, die heute dafür aufgewandt werden.
Die Kapitalien aber, die stiftungsmäßig für die Schulen bestimmt oder als
Eigentum der Schulstellen festgelegt sind, würden, je nach der Lage des Falles,
entweder zu einem staatlichen Schulfonds einzuziehen oder für besondre Zwecke
der einzelnen Schule (z. B. für Prämien, Unterstützungen ärmerer Schüler, Be¬
schaffung von Lernmitteln und vieles andre) zu bestimmen sein. Füllt der
nächste Zweck einer Stiftung fort, so kann sie ja zeitgemäß umgestaltet werden;
darin hat man niemals einen Rechtsbruch gefunden. In vielen Fällen aber
würden solche Schulstiftungen oder Vermögen willkommne Gelegenheit bieten,
die Lehrer, die besondre, nicht mit dem eigentlichen Schulamte verbundne
Pflichten herkömmlicher- und zweckmäßigerweise zu erfüllen haben, für diese so¬
zusagen nebenamtlichen Dienste zu besolden.

Mit der Übernahme der Schnlunterhaltung auf den Staat würden alle
die Schwierigkeiten und Mißhelligkeiten wegfallen, die gegenwärtig der Ver¬
waltung der Volksschule anhaften: für Streitigkeiten zwischen den Schulaufsichts¬
behörden (den mit Unrecht so viel angefeindeten Regierungsabteilnngen für
Schulsachen) wegen Heranziehung der Schulunterhaltungspflichtigen zu neuen,
immer erhöhte Steuern fordernden Schuleinrichtungen, für Streitigkeiten
zwischen Gutsherrschaften (Patronen) und Schulgemeinden (Hausvätern), für
zwiespältige Wünsche von Ortschaften wegen Ein- und Ausschnlungen und der¬
gleichen wäre kein Raum mehr. Eine staatliche Selbstverwaltungsbehörde,
ähnlich dem Kreisausschuß, würde in unterer Instanz die Schulangclegenheiten
besorgen unter oberer Leitung und Aufsicht etwa des Provinzialschnlkollegiums.
In solcher Kreisschulbehörde würde den Laien als den Vertretern der Eltern
und den Trägern ihrer Wünsche und Meinungen, aber auch der Kirche eine
weitgehende und ausreichende Mitwirkung eingeräumt werden können, wodurch


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[0685] Zur äußern Lage der Volksschule in Oreußen So ist also die Besorgnis unbegründet, durch stärkere Heranziehung der Staatskasse zur Schnlunterhaltung werde die historische Stellung der Schule verschoben und ihre natürliche Grundlage vernichtet. Wie weit soll nun der Staat mit seinen Mitteln eintreten? Gerecht sind die Schulabgaben nur verteilt, wenn sie gleichmäßig alle treffen, einen jeden nach seiner Leistungsfähigkeit, also heute in derselben Weise wie die direkten Staatssteuern oder mit andern Worten die Einkommensteuer. Daraus folgt die Forderung, daß der Staat die Kosten, soweit sie nicht aus Schulvermögeu stammen, in vollem Umfange tragen soll. Finanziell unmöglich ist das nicht, es handelt sich im ganzen etwa um 180 Millionen Mark, einen für Preußen keineswegs unerschwinglichen Betrag, der sei es durch Erhöhung der Ein¬ kommensteuer, sei es durch eine sonstige ähnliche Staatssteuer dann ohne fühl¬ baren Druck aufzubringen wäre, wenn zugleich die Schulabgaben beseitigt würden. Vor fünfzig Jahren noch würde es jeder Staatsmann, jeder ver¬ ständige Politiker für ausgeschlossen gehalten haben, daß jemals für das Heer die Summen aufgebracht werden würden, die heute dafür aufgewandt werden. Die Kapitalien aber, die stiftungsmäßig für die Schulen bestimmt oder als Eigentum der Schulstellen festgelegt sind, würden, je nach der Lage des Falles, entweder zu einem staatlichen Schulfonds einzuziehen oder für besondre Zwecke der einzelnen Schule (z. B. für Prämien, Unterstützungen ärmerer Schüler, Be¬ schaffung von Lernmitteln und vieles andre) zu bestimmen sein. Füllt der nächste Zweck einer Stiftung fort, so kann sie ja zeitgemäß umgestaltet werden; darin hat man niemals einen Rechtsbruch gefunden. In vielen Fällen aber würden solche Schulstiftungen oder Vermögen willkommne Gelegenheit bieten, die Lehrer, die besondre, nicht mit dem eigentlichen Schulamte verbundne Pflichten herkömmlicher- und zweckmäßigerweise zu erfüllen haben, für diese so¬ zusagen nebenamtlichen Dienste zu besolden. Mit der Übernahme der Schnlunterhaltung auf den Staat würden alle die Schwierigkeiten und Mißhelligkeiten wegfallen, die gegenwärtig der Ver¬ waltung der Volksschule anhaften: für Streitigkeiten zwischen den Schulaufsichts¬ behörden (den mit Unrecht so viel angefeindeten Regierungsabteilnngen für Schulsachen) wegen Heranziehung der Schulunterhaltungspflichtigen zu neuen, immer erhöhte Steuern fordernden Schuleinrichtungen, für Streitigkeiten zwischen Gutsherrschaften (Patronen) und Schulgemeinden (Hausvätern), für zwiespältige Wünsche von Ortschaften wegen Ein- und Ausschnlungen und der¬ gleichen wäre kein Raum mehr. Eine staatliche Selbstverwaltungsbehörde, ähnlich dem Kreisausschuß, würde in unterer Instanz die Schulangclegenheiten besorgen unter oberer Leitung und Aufsicht etwa des Provinzialschnlkollegiums. In solcher Kreisschulbehörde würde den Laien als den Vertretern der Eltern und den Trägern ihrer Wünsche und Meinungen, aber auch der Kirche eine weitgehende und ausreichende Mitwirkung eingeräumt werden können, wodurch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/685>, abgerufen am 28.09.2024.