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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

türkischen Tellersteigbügel setzte, zu mir herüber, als wollte er mit Shakespeares
selten Ritter sagen: "Ich wollte, es wäre Schlafenszeit, Heinz, und alles
vorüber!"

Die Schatten der Dämmerung begannen sich schon auf die Tschernagora
zu senken, als wir bei Kerstaz ein neues Thal betraten, an dessen Ende auf
einem Hügel ein Blockhaus, unser Heim sür die Nacht, winkte, und bald
standen wir innerhalb des rohen Cyklopenbaues und musterten, mit den ge¬
mischten Gefühlen, die unfreundliche Penaten gewöhnlich zu erzeugen Pflegen,
unsre Herberge. Die Wände waren aus Steinen ohne Mörtel zusammengefügt,
das Dach bestand aus Buschwerk, das Innere war in drei winzige Abteilungen
durch Bretter abgeteilt, von denen die mittlere die gute Stube war. Hier
hing von einem quergelegten Zweige am Dache ein Kessel an einer Kette
herab über einem auf bloßer Erde lodernden Feuer, der Raum war durch
einen uns zu Ehren geschlachteten Hammel, der in einer Ecke ausgeweidet
wurde, sowie durch Gäste noch mehr beengt. Denn der Wirt, das Haupt des
Claus, hatte durch das ganze Thal gerufen, es seien fremde Ärzte gekommen,
und eine Reihe Patienten hatten dem landesüblichen Weckrufe, der auch in
Kriegszeiten die Mannen schneller alarmiert als der gewöhnliche Telegraph,
Folge geleistet.

Das zweifelhafte Vergnügen, als herumziehende Heilkünstler der leidenden
tschernagorzischcn Mitwelt Rat zu erteilen, sollte uns also bis an die Grenzen
Montenegros verfolgen. Schon in Cetinje nämlich waren wir zu dem Kriegs¬
helden Peko Paulowitsch gerufen worden, der 1876 den Aufstand in der
Herzegowina organisiert und sich den Ruf eines im Buschklepperkriege besonders
tüchtigen Anführers erworben hatte. Er war sich seines Verdienstes wohl
bewußt und rühmte sich vor uns, daß er einst im Kriege sein Mahl in der
Mitte von fünfzig auf Bajonette gesteckten Türkenköpfen eingenommen hätte.
Gewissermaßen war er unser Kollege, der sich in seinem thatenreichen Leben
vielfach mit Vivisektion beschäftigt hatte, dabei immer am edelsten Tiermaterial,
dem uomo arbeitend, dem er hauptsächlich Nasen und Ohren abschnitt,
ohne dabei anderweitige Operationen an gleich empfindlichen Gliedmaßen zu
verschmähen.*) Um so mehr waren wir erstaunt, als wir einen alten Mann
von vornehmen Manieren im Bett liegen fanden, das Urbild von E. Abouts
is rot ass llwntgß'nizs, dem man es auf den ersten Blick ansah, daß er zeit¬
lebens Waffen getragen hatte. Herzlich schüttelte er uns die Hände, in ruhigen
Worten setzte er sein Leid, Blindheit durch Katarakt und Lähmung, aus ein¬
ander, und mit soldatischer Ergebung in sein Schicksal hörte er den kärglich
gespendeten Trost an.

In andern Städten und Dörfern war es uns ähnlich ergangen, die Aus¬
übung der kosmopolitischen Kunst fing an, ernstlich das Vergnügen zu trüben,



Siehe über ihn in der "Kölnischen Zeitung" Ur. 211, 187g.
Aus den schwarzen Bergen

türkischen Tellersteigbügel setzte, zu mir herüber, als wollte er mit Shakespeares
selten Ritter sagen: „Ich wollte, es wäre Schlafenszeit, Heinz, und alles
vorüber!"

Die Schatten der Dämmerung begannen sich schon auf die Tschernagora
zu senken, als wir bei Kerstaz ein neues Thal betraten, an dessen Ende auf
einem Hügel ein Blockhaus, unser Heim sür die Nacht, winkte, und bald
standen wir innerhalb des rohen Cyklopenbaues und musterten, mit den ge¬
mischten Gefühlen, die unfreundliche Penaten gewöhnlich zu erzeugen Pflegen,
unsre Herberge. Die Wände waren aus Steinen ohne Mörtel zusammengefügt,
das Dach bestand aus Buschwerk, das Innere war in drei winzige Abteilungen
durch Bretter abgeteilt, von denen die mittlere die gute Stube war. Hier
hing von einem quergelegten Zweige am Dache ein Kessel an einer Kette
herab über einem auf bloßer Erde lodernden Feuer, der Raum war durch
einen uns zu Ehren geschlachteten Hammel, der in einer Ecke ausgeweidet
wurde, sowie durch Gäste noch mehr beengt. Denn der Wirt, das Haupt des
Claus, hatte durch das ganze Thal gerufen, es seien fremde Ärzte gekommen,
und eine Reihe Patienten hatten dem landesüblichen Weckrufe, der auch in
Kriegszeiten die Mannen schneller alarmiert als der gewöhnliche Telegraph,
Folge geleistet.

Das zweifelhafte Vergnügen, als herumziehende Heilkünstler der leidenden
tschernagorzischcn Mitwelt Rat zu erteilen, sollte uns also bis an die Grenzen
Montenegros verfolgen. Schon in Cetinje nämlich waren wir zu dem Kriegs¬
helden Peko Paulowitsch gerufen worden, der 1876 den Aufstand in der
Herzegowina organisiert und sich den Ruf eines im Buschklepperkriege besonders
tüchtigen Anführers erworben hatte. Er war sich seines Verdienstes wohl
bewußt und rühmte sich vor uns, daß er einst im Kriege sein Mahl in der
Mitte von fünfzig auf Bajonette gesteckten Türkenköpfen eingenommen hätte.
Gewissermaßen war er unser Kollege, der sich in seinem thatenreichen Leben
vielfach mit Vivisektion beschäftigt hatte, dabei immer am edelsten Tiermaterial,
dem uomo arbeitend, dem er hauptsächlich Nasen und Ohren abschnitt,
ohne dabei anderweitige Operationen an gleich empfindlichen Gliedmaßen zu
verschmähen.*) Um so mehr waren wir erstaunt, als wir einen alten Mann
von vornehmen Manieren im Bett liegen fanden, das Urbild von E. Abouts
is rot ass llwntgß'nizs, dem man es auf den ersten Blick ansah, daß er zeit¬
lebens Waffen getragen hatte. Herzlich schüttelte er uns die Hände, in ruhigen
Worten setzte er sein Leid, Blindheit durch Katarakt und Lähmung, aus ein¬
ander, und mit soldatischer Ergebung in sein Schicksal hörte er den kärglich
gespendeten Trost an.

In andern Städten und Dörfern war es uns ähnlich ergangen, die Aus¬
übung der kosmopolitischen Kunst fing an, ernstlich das Vergnügen zu trüben,



Siehe über ihn in der „Kölnischen Zeitung" Ur. 211, 187g.
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[0661] Aus den schwarzen Bergen türkischen Tellersteigbügel setzte, zu mir herüber, als wollte er mit Shakespeares selten Ritter sagen: „Ich wollte, es wäre Schlafenszeit, Heinz, und alles vorüber!" Die Schatten der Dämmerung begannen sich schon auf die Tschernagora zu senken, als wir bei Kerstaz ein neues Thal betraten, an dessen Ende auf einem Hügel ein Blockhaus, unser Heim sür die Nacht, winkte, und bald standen wir innerhalb des rohen Cyklopenbaues und musterten, mit den ge¬ mischten Gefühlen, die unfreundliche Penaten gewöhnlich zu erzeugen Pflegen, unsre Herberge. Die Wände waren aus Steinen ohne Mörtel zusammengefügt, das Dach bestand aus Buschwerk, das Innere war in drei winzige Abteilungen durch Bretter abgeteilt, von denen die mittlere die gute Stube war. Hier hing von einem quergelegten Zweige am Dache ein Kessel an einer Kette herab über einem auf bloßer Erde lodernden Feuer, der Raum war durch einen uns zu Ehren geschlachteten Hammel, der in einer Ecke ausgeweidet wurde, sowie durch Gäste noch mehr beengt. Denn der Wirt, das Haupt des Claus, hatte durch das ganze Thal gerufen, es seien fremde Ärzte gekommen, und eine Reihe Patienten hatten dem landesüblichen Weckrufe, der auch in Kriegszeiten die Mannen schneller alarmiert als der gewöhnliche Telegraph, Folge geleistet. Das zweifelhafte Vergnügen, als herumziehende Heilkünstler der leidenden tschernagorzischcn Mitwelt Rat zu erteilen, sollte uns also bis an die Grenzen Montenegros verfolgen. Schon in Cetinje nämlich waren wir zu dem Kriegs¬ helden Peko Paulowitsch gerufen worden, der 1876 den Aufstand in der Herzegowina organisiert und sich den Ruf eines im Buschklepperkriege besonders tüchtigen Anführers erworben hatte. Er war sich seines Verdienstes wohl bewußt und rühmte sich vor uns, daß er einst im Kriege sein Mahl in der Mitte von fünfzig auf Bajonette gesteckten Türkenköpfen eingenommen hätte. Gewissermaßen war er unser Kollege, der sich in seinem thatenreichen Leben vielfach mit Vivisektion beschäftigt hatte, dabei immer am edelsten Tiermaterial, dem uomo arbeitend, dem er hauptsächlich Nasen und Ohren abschnitt, ohne dabei anderweitige Operationen an gleich empfindlichen Gliedmaßen zu verschmähen.*) Um so mehr waren wir erstaunt, als wir einen alten Mann von vornehmen Manieren im Bett liegen fanden, das Urbild von E. Abouts is rot ass llwntgß'nizs, dem man es auf den ersten Blick ansah, daß er zeit¬ lebens Waffen getragen hatte. Herzlich schüttelte er uns die Hände, in ruhigen Worten setzte er sein Leid, Blindheit durch Katarakt und Lähmung, aus ein¬ ander, und mit soldatischer Ergebung in sein Schicksal hörte er den kärglich gespendeten Trost an. In andern Städten und Dörfern war es uns ähnlich ergangen, die Aus¬ übung der kosmopolitischen Kunst fing an, ernstlich das Vergnügen zu trüben, Siehe über ihn in der „Kölnischen Zeitung" Ur. 211, 187g.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/661>, abgerufen am 28.09.2024.