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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Dekorative Kunst

hat." Wollens hoffen. Vor der Hand aber mögen wir uns das, was hier
unter Zukunft verstanden wird, in einigen gegenwärtigen Beispielen ansehen.
Von Degas, der im Temperament Puvis weit hinter sich läßt, hat der neuste
Jahrgang des Ban (IV, 3) sechs gute Bilder, tanzende Grisetten, blasierte
Pariser und dergleichen. Max Liebermann giebt dazu eine treffende Beur¬
teilung, die das malerisch Wertvolle gut hervorhebt. Er erzählt auch, daß
sich Menzel vor Jahren abschätzig über "das Zeug" ausgelassen habe, was
uns aber doch nicht zu sehr freuen darf, denn Menzels eigne "Kritzeleien" zu
Friedrich dem Großen seien vor sechzig Jahren von dem alten Schadow
öffentlich für des großen Königs unwürdig erklärt worden. "Schadow konnte
Menzel nicht verstehn, wie dieser Degas nicht versteh" kann, weil in Degas
wie in Menzel ein Neues steckt, was einer jeden vorhergehenden Generation
fremd bleiben mußte." Man weiß also leider niemals früh genug, wo eine
Zeit hinaus will. Lassen wir also das Prophezeien!

Wir stehn schon im Bereich der eingangs erwähnten "dekorativen Ge¬
mälde." Ihre besten Vertreter sind Deutsche, Ludwig von Hofmann und
Walther Leistikow in Berlin, Peter Behrens in München. Von Hofmann
enthält das 7. Heft der Münchner Zeitschrift sechs solcher Gemälde, Nacktheiten,
vorzugsweise weibliche, in Landschaft. "Er macht nicht die Kunst, die in Er¬
manglung andrer Eigenschaften dekorativ ist. Farbe und Zeichnung werden
unter seiner Hand zu rhythmischem Schwung, er ist einer von den unbewußt
Dekorativen, die neue Aufgaben ihrer Kunst nicht erdenken, sondern erleben,
der modernste deutsche Maler und vielleicht der, auf den wir am stolzesten
sein können." Besnards Malereien in der Ecole de Pharmacie, die ihm einst
zum Vorbild gedient hätten, seien seichtes Geschwätz gegen Hofmanns ganz ur¬
sprüngliche, in Farben gedachte kleine -- Skizzen. Denn solche Nuancen
könne man kaum fertig malen; "der begreifliche Wunsch, zu vereinfachen, treibt
ihn dann zur Unterdrückung gerade der Feinheiten, die seine Eigenheit sind usw."
Es ist wahr, Hofmann ist reich nicht nur an Ziermotiven, sondern auch an
Gedanken; der Pan hat ein ganzes Heft mit seinen Entwürfen gefüllt (IV, 4).
Aber die Ausführung vertragen sie nicht, dann werden sie roh ("Der Früh¬
lingssturm"). Daß man außerdem auf den Bildern, wenn sie "fertig" gemacht
sind, manchmal weniger sieht als auf den Nahmen, gehört natürlich zum Stil.
Von Leistikow bekommen wir in der Münchner Zeitschrift (6) vier Landschafts¬
bilder von ähnlicher, alles Einzelne abkürzender Stilisierung. "Man entdeckt
beim Nähertreten, daß das Material seiner Flüchen aus einer Fülle von kleinen
Ornamenten besteht," was man früher zwar an einer Landschaft nicht für ein
Verdienst gehalten haben würde, was hier aber "mehr als ein Experiment be¬
deutet." Peter Behrens ist von derartigen figürlichen Gemälden der achtziger
Jahre (2): Ein Traum, Mutterkuß usw. später zu der "ganz reinen Linie,"
d. h. zum Kunstgewerbe, Buchschmuck und dergleichen (6) übergegangen. Dies


Dekorative Kunst

hat." Wollens hoffen. Vor der Hand aber mögen wir uns das, was hier
unter Zukunft verstanden wird, in einigen gegenwärtigen Beispielen ansehen.
Von Degas, der im Temperament Puvis weit hinter sich läßt, hat der neuste
Jahrgang des Ban (IV, 3) sechs gute Bilder, tanzende Grisetten, blasierte
Pariser und dergleichen. Max Liebermann giebt dazu eine treffende Beur¬
teilung, die das malerisch Wertvolle gut hervorhebt. Er erzählt auch, daß
sich Menzel vor Jahren abschätzig über „das Zeug" ausgelassen habe, was
uns aber doch nicht zu sehr freuen darf, denn Menzels eigne „Kritzeleien" zu
Friedrich dem Großen seien vor sechzig Jahren von dem alten Schadow
öffentlich für des großen Königs unwürdig erklärt worden. „Schadow konnte
Menzel nicht verstehn, wie dieser Degas nicht versteh» kann, weil in Degas
wie in Menzel ein Neues steckt, was einer jeden vorhergehenden Generation
fremd bleiben mußte." Man weiß also leider niemals früh genug, wo eine
Zeit hinaus will. Lassen wir also das Prophezeien!

Wir stehn schon im Bereich der eingangs erwähnten „dekorativen Ge¬
mälde." Ihre besten Vertreter sind Deutsche, Ludwig von Hofmann und
Walther Leistikow in Berlin, Peter Behrens in München. Von Hofmann
enthält das 7. Heft der Münchner Zeitschrift sechs solcher Gemälde, Nacktheiten,
vorzugsweise weibliche, in Landschaft. „Er macht nicht die Kunst, die in Er¬
manglung andrer Eigenschaften dekorativ ist. Farbe und Zeichnung werden
unter seiner Hand zu rhythmischem Schwung, er ist einer von den unbewußt
Dekorativen, die neue Aufgaben ihrer Kunst nicht erdenken, sondern erleben,
der modernste deutsche Maler und vielleicht der, auf den wir am stolzesten
sein können." Besnards Malereien in der Ecole de Pharmacie, die ihm einst
zum Vorbild gedient hätten, seien seichtes Geschwätz gegen Hofmanns ganz ur¬
sprüngliche, in Farben gedachte kleine — Skizzen. Denn solche Nuancen
könne man kaum fertig malen; „der begreifliche Wunsch, zu vereinfachen, treibt
ihn dann zur Unterdrückung gerade der Feinheiten, die seine Eigenheit sind usw."
Es ist wahr, Hofmann ist reich nicht nur an Ziermotiven, sondern auch an
Gedanken; der Pan hat ein ganzes Heft mit seinen Entwürfen gefüllt (IV, 4).
Aber die Ausführung vertragen sie nicht, dann werden sie roh („Der Früh¬
lingssturm"). Daß man außerdem auf den Bildern, wenn sie „fertig" gemacht
sind, manchmal weniger sieht als auf den Nahmen, gehört natürlich zum Stil.
Von Leistikow bekommen wir in der Münchner Zeitschrift (6) vier Landschafts¬
bilder von ähnlicher, alles Einzelne abkürzender Stilisierung. „Man entdeckt
beim Nähertreten, daß das Material seiner Flüchen aus einer Fülle von kleinen
Ornamenten besteht," was man früher zwar an einer Landschaft nicht für ein
Verdienst gehalten haben würde, was hier aber „mehr als ein Experiment be¬
deutet." Peter Behrens ist von derartigen figürlichen Gemälden der achtziger
Jahre (2): Ein Traum, Mutterkuß usw. später zu der „ganz reinen Linie,"
d. h. zum Kunstgewerbe, Buchschmuck und dergleichen (6) übergegangen. Dies


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[0647] Dekorative Kunst hat." Wollens hoffen. Vor der Hand aber mögen wir uns das, was hier unter Zukunft verstanden wird, in einigen gegenwärtigen Beispielen ansehen. Von Degas, der im Temperament Puvis weit hinter sich läßt, hat der neuste Jahrgang des Ban (IV, 3) sechs gute Bilder, tanzende Grisetten, blasierte Pariser und dergleichen. Max Liebermann giebt dazu eine treffende Beur¬ teilung, die das malerisch Wertvolle gut hervorhebt. Er erzählt auch, daß sich Menzel vor Jahren abschätzig über „das Zeug" ausgelassen habe, was uns aber doch nicht zu sehr freuen darf, denn Menzels eigne „Kritzeleien" zu Friedrich dem Großen seien vor sechzig Jahren von dem alten Schadow öffentlich für des großen Königs unwürdig erklärt worden. „Schadow konnte Menzel nicht verstehn, wie dieser Degas nicht versteh» kann, weil in Degas wie in Menzel ein Neues steckt, was einer jeden vorhergehenden Generation fremd bleiben mußte." Man weiß also leider niemals früh genug, wo eine Zeit hinaus will. Lassen wir also das Prophezeien! Wir stehn schon im Bereich der eingangs erwähnten „dekorativen Ge¬ mälde." Ihre besten Vertreter sind Deutsche, Ludwig von Hofmann und Walther Leistikow in Berlin, Peter Behrens in München. Von Hofmann enthält das 7. Heft der Münchner Zeitschrift sechs solcher Gemälde, Nacktheiten, vorzugsweise weibliche, in Landschaft. „Er macht nicht die Kunst, die in Er¬ manglung andrer Eigenschaften dekorativ ist. Farbe und Zeichnung werden unter seiner Hand zu rhythmischem Schwung, er ist einer von den unbewußt Dekorativen, die neue Aufgaben ihrer Kunst nicht erdenken, sondern erleben, der modernste deutsche Maler und vielleicht der, auf den wir am stolzesten sein können." Besnards Malereien in der Ecole de Pharmacie, die ihm einst zum Vorbild gedient hätten, seien seichtes Geschwätz gegen Hofmanns ganz ur¬ sprüngliche, in Farben gedachte kleine — Skizzen. Denn solche Nuancen könne man kaum fertig malen; „der begreifliche Wunsch, zu vereinfachen, treibt ihn dann zur Unterdrückung gerade der Feinheiten, die seine Eigenheit sind usw." Es ist wahr, Hofmann ist reich nicht nur an Ziermotiven, sondern auch an Gedanken; der Pan hat ein ganzes Heft mit seinen Entwürfen gefüllt (IV, 4). Aber die Ausführung vertragen sie nicht, dann werden sie roh („Der Früh¬ lingssturm"). Daß man außerdem auf den Bildern, wenn sie „fertig" gemacht sind, manchmal weniger sieht als auf den Nahmen, gehört natürlich zum Stil. Von Leistikow bekommen wir in der Münchner Zeitschrift (6) vier Landschafts¬ bilder von ähnlicher, alles Einzelne abkürzender Stilisierung. „Man entdeckt beim Nähertreten, daß das Material seiner Flüchen aus einer Fülle von kleinen Ornamenten besteht," was man früher zwar an einer Landschaft nicht für ein Verdienst gehalten haben würde, was hier aber „mehr als ein Experiment be¬ deutet." Peter Behrens ist von derartigen figürlichen Gemälden der achtziger Jahre (2): Ein Traum, Mutterkuß usw. später zu der „ganz reinen Linie," d. h. zum Kunstgewerbe, Buchschmuck und dergleichen (6) übergegangen. Dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/647>, abgerufen am 28.09.2024.