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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Badische Airchenpolitik

herangetreten ist, doch niemals die Erlaubnis erteilt worden ist. Nun wird
vom badischen Parlament -- nicht zum erstenmale -- die Forderung erhoben,
daß das Hvheitsrecht des Staats ganz beseitigt und volle Klosterfreiheit ein¬
geführt werde, oder daß wenigstens in dem einen oder dem andern Falle die
Erlaubnis gewährt werde. Da über die erste Forderung, die sich als eine
Kampfposition darstellt, gar nicht zu reden ist, beschäftigen wir uns nur mit
der zweiten. Was macht sie aktuell? Zur Bekräftigung der Forderung ist
die nützliche Thätigkeit der Ordensbrüder für die Seelsorge angeführt worden.
Eine andre Motivierung ist in Presse und Parlament kaum ausgesprochen
worden. Es ist das bezeichnend genug; es beweist wieder einmal, daß eine
Wirkung vom Gegner zum Gegner wohl stattfindet, denn das angeführte
Motiv ist das dem protestantischen Sinne zunächst liegende. Die sittliche
Wirkung aus das Volk hat man betont, in dem deutlichen Gefühl, daß eine
Kongregation junger und alter Männer, die abseits vom Webstuhl der Zeit
hinter Klostermauern eingeschlossen sind und nicht in die Welt hinaus wirken,
dem modernen, deutschen Gefühl nichts als eine Schar sonderbarer und unnützer
Käuze ist.

Nun fragt es sich, ob in der Seelsorge Mißstände hervorgetreten, ob die
Weltgeistlichen ihrer Pflicht oder ihrer Aufgabe uicht gerecht geworden sind.
Von Außenstehenden wird das schwer zu entscheiden sein; wir wenigstens
fühlen uns nicht berufen, darüber zu urteilen. Klagen sind jedenfalls nicht
an die Öffentlichkeit gedrungen, und wir nehmen daher bis auf weiteres an,
daß die badische katholische Pfarrgeistlichkeit den Pflichten der Seelsorge mit
der Gewissenhaftigkeit und dem Eifer nachkommt, die der Beruf verlangt und
Geistliche andrer Konfessionen an den Tag legen. Auch durch äußere Um¬
stände ist die katholische Pfarrgeistlichkeit nicht benachteiligt. Rechnet man 761
katholische Pfarreien und 1057417 Katholiken in Baden (nach der Zählung
vom 2. Dezember 1895), so fallen auf den Pfarrbezirk 1389 Seelen; rechnet
man 385 evangelische Pfarreien und 637 604 Angehörige des evangelischen
Bekenntnisses, so erhält man 1656 Seelen sür den Pfarrbezirk. Den katho¬
lischen Geistlichen ist also im Durchschnitt eine kleinere Herde anvertraut als
den evangelischen. Auch die Zahl der Hilfskräfte wird uicht zu Ungunsten der
katholischen Seite sein; es bestehn für diese 223 gestiftete Vikarstellen, von
denen mau bei den Berechnungen für das jüngst angenommne Pfarrdotations-
gesetz 120 als besetzt angenommen hat. Was die Dotierung anlangt, so
waren die katholischen Pfarrer bisher ihren evangelischen Kollegen gegenüber
allerdings ziemlich stark benachteiligt, und es ist zu begrüße", daß durch das
ebeu genannte Gesetz eine Aufbesserung eingetreten ist, durch die den katholischen
Pfarrern ein größerer Anteil an den Kulturgütern und damit eine erhöhte
Wirksamkeit im Beruf ermöglicht wird.

Wenn also Mängel in der Seelsorge, wie sie sich in einer Abnahme der
Gesittung und einer geringern moralischen Widerstandsfähigkeit unsrer guten


Badische Airchenpolitik

herangetreten ist, doch niemals die Erlaubnis erteilt worden ist. Nun wird
vom badischen Parlament — nicht zum erstenmale — die Forderung erhoben,
daß das Hvheitsrecht des Staats ganz beseitigt und volle Klosterfreiheit ein¬
geführt werde, oder daß wenigstens in dem einen oder dem andern Falle die
Erlaubnis gewährt werde. Da über die erste Forderung, die sich als eine
Kampfposition darstellt, gar nicht zu reden ist, beschäftigen wir uns nur mit
der zweiten. Was macht sie aktuell? Zur Bekräftigung der Forderung ist
die nützliche Thätigkeit der Ordensbrüder für die Seelsorge angeführt worden.
Eine andre Motivierung ist in Presse und Parlament kaum ausgesprochen
worden. Es ist das bezeichnend genug; es beweist wieder einmal, daß eine
Wirkung vom Gegner zum Gegner wohl stattfindet, denn das angeführte
Motiv ist das dem protestantischen Sinne zunächst liegende. Die sittliche
Wirkung aus das Volk hat man betont, in dem deutlichen Gefühl, daß eine
Kongregation junger und alter Männer, die abseits vom Webstuhl der Zeit
hinter Klostermauern eingeschlossen sind und nicht in die Welt hinaus wirken,
dem modernen, deutschen Gefühl nichts als eine Schar sonderbarer und unnützer
Käuze ist.

Nun fragt es sich, ob in der Seelsorge Mißstände hervorgetreten, ob die
Weltgeistlichen ihrer Pflicht oder ihrer Aufgabe uicht gerecht geworden sind.
Von Außenstehenden wird das schwer zu entscheiden sein; wir wenigstens
fühlen uns nicht berufen, darüber zu urteilen. Klagen sind jedenfalls nicht
an die Öffentlichkeit gedrungen, und wir nehmen daher bis auf weiteres an,
daß die badische katholische Pfarrgeistlichkeit den Pflichten der Seelsorge mit
der Gewissenhaftigkeit und dem Eifer nachkommt, die der Beruf verlangt und
Geistliche andrer Konfessionen an den Tag legen. Auch durch äußere Um¬
stände ist die katholische Pfarrgeistlichkeit nicht benachteiligt. Rechnet man 761
katholische Pfarreien und 1057417 Katholiken in Baden (nach der Zählung
vom 2. Dezember 1895), so fallen auf den Pfarrbezirk 1389 Seelen; rechnet
man 385 evangelische Pfarreien und 637 604 Angehörige des evangelischen
Bekenntnisses, so erhält man 1656 Seelen sür den Pfarrbezirk. Den katho¬
lischen Geistlichen ist also im Durchschnitt eine kleinere Herde anvertraut als
den evangelischen. Auch die Zahl der Hilfskräfte wird uicht zu Ungunsten der
katholischen Seite sein; es bestehn für diese 223 gestiftete Vikarstellen, von
denen mau bei den Berechnungen für das jüngst angenommne Pfarrdotations-
gesetz 120 als besetzt angenommen hat. Was die Dotierung anlangt, so
waren die katholischen Pfarrer bisher ihren evangelischen Kollegen gegenüber
allerdings ziemlich stark benachteiligt, und es ist zu begrüße», daß durch das
ebeu genannte Gesetz eine Aufbesserung eingetreten ist, durch die den katholischen
Pfarrern ein größerer Anteil an den Kulturgütern und damit eine erhöhte
Wirksamkeit im Beruf ermöglicht wird.

Wenn also Mängel in der Seelsorge, wie sie sich in einer Abnahme der
Gesittung und einer geringern moralischen Widerstandsfähigkeit unsrer guten


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[0627] Badische Airchenpolitik herangetreten ist, doch niemals die Erlaubnis erteilt worden ist. Nun wird vom badischen Parlament — nicht zum erstenmale — die Forderung erhoben, daß das Hvheitsrecht des Staats ganz beseitigt und volle Klosterfreiheit ein¬ geführt werde, oder daß wenigstens in dem einen oder dem andern Falle die Erlaubnis gewährt werde. Da über die erste Forderung, die sich als eine Kampfposition darstellt, gar nicht zu reden ist, beschäftigen wir uns nur mit der zweiten. Was macht sie aktuell? Zur Bekräftigung der Forderung ist die nützliche Thätigkeit der Ordensbrüder für die Seelsorge angeführt worden. Eine andre Motivierung ist in Presse und Parlament kaum ausgesprochen worden. Es ist das bezeichnend genug; es beweist wieder einmal, daß eine Wirkung vom Gegner zum Gegner wohl stattfindet, denn das angeführte Motiv ist das dem protestantischen Sinne zunächst liegende. Die sittliche Wirkung aus das Volk hat man betont, in dem deutlichen Gefühl, daß eine Kongregation junger und alter Männer, die abseits vom Webstuhl der Zeit hinter Klostermauern eingeschlossen sind und nicht in die Welt hinaus wirken, dem modernen, deutschen Gefühl nichts als eine Schar sonderbarer und unnützer Käuze ist. Nun fragt es sich, ob in der Seelsorge Mißstände hervorgetreten, ob die Weltgeistlichen ihrer Pflicht oder ihrer Aufgabe uicht gerecht geworden sind. Von Außenstehenden wird das schwer zu entscheiden sein; wir wenigstens fühlen uns nicht berufen, darüber zu urteilen. Klagen sind jedenfalls nicht an die Öffentlichkeit gedrungen, und wir nehmen daher bis auf weiteres an, daß die badische katholische Pfarrgeistlichkeit den Pflichten der Seelsorge mit der Gewissenhaftigkeit und dem Eifer nachkommt, die der Beruf verlangt und Geistliche andrer Konfessionen an den Tag legen. Auch durch äußere Um¬ stände ist die katholische Pfarrgeistlichkeit nicht benachteiligt. Rechnet man 761 katholische Pfarreien und 1057417 Katholiken in Baden (nach der Zählung vom 2. Dezember 1895), so fallen auf den Pfarrbezirk 1389 Seelen; rechnet man 385 evangelische Pfarreien und 637 604 Angehörige des evangelischen Bekenntnisses, so erhält man 1656 Seelen sür den Pfarrbezirk. Den katho¬ lischen Geistlichen ist also im Durchschnitt eine kleinere Herde anvertraut als den evangelischen. Auch die Zahl der Hilfskräfte wird uicht zu Ungunsten der katholischen Seite sein; es bestehn für diese 223 gestiftete Vikarstellen, von denen mau bei den Berechnungen für das jüngst angenommne Pfarrdotations- gesetz 120 als besetzt angenommen hat. Was die Dotierung anlangt, so waren die katholischen Pfarrer bisher ihren evangelischen Kollegen gegenüber allerdings ziemlich stark benachteiligt, und es ist zu begrüße», daß durch das ebeu genannte Gesetz eine Aufbesserung eingetreten ist, durch die den katholischen Pfarrern ein größerer Anteil an den Kulturgütern und damit eine erhöhte Wirksamkeit im Beruf ermöglicht wird. Wenn also Mängel in der Seelsorge, wie sie sich in einer Abnahme der Gesittung und einer geringern moralischen Widerstandsfähigkeit unsrer guten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/627>, abgerufen am 28.09.2024.