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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Die grüne Ebne von Bjelopawlitsche, in die wir eins bequemer Fahrstraße
eintreten, würde mit ihren im reichsten Fruchtsegen prangenden Feldern, die
das schwarzblaue, vielfach gewundne Band der Zeta durchschlängelt, keinen un¬
freundlichen Eindruck machen, wenn nicht die kahlen, weißgrauen unfrucht¬
baren Felswände zu beiden Seiten so neidisch auf das Bild der Lieblichkeit zu
ihren Füßen herabsähen, als ob sie selbst diese kleine Alluvialebne, das Ge¬
schenk der Zeta an Montenegro, dem Lande mißgönnten. Langsam steigt die
Straße hinter Spusch auf dem rechten Zetaufer hinan, wir passieren Danilow-
grad, ein neues, günstig auf einem Plateau am Fuße der Berge gelegnes
Städtchen, durch seine Lage in der Mitte des Landes vielleicht dazu bestimmt,
Cetinje den Rang als Residenzstadt streitig zu machen. Hinter Danilowgrad
steigt die Straße stärker, die Zetaebne zu unsern Füßen kommt plötzlich durch
einen gewaltigen Querriegel zum Abschluß, und während die Zeta darunter
nach Art eines richtigen Karstflusfes fortströmt, nimmt die Landstraße in
Mäanderwindungen den Weg über den wüsten Block, der den ausgeprägten
Typus des Karstes trügt und an ein hübsches montenegrinisches Märchen
erinnert. Der liebe Gott, so heißt es dort, wäre einst, da ihm seine Schöpfung
zu schön dünkte, mit einem Sacke voll Felsen einhergczogen, um hier und da
durch Einsam unfruchtbarer Steine eine Abwechslung zu bringen in die ein¬
förmige Anmut der Landschaft; als er sich aber gerade über Montenegro be¬
fand, sei der Sack geplatzt, und der ganze für unendliche Länderflächen berech¬
nete Steinsegen hätte sich über der einen unglücklichen Stelle entleert. Wären
noch Hellenen hier, so hätten sie die Tschernagorci für den Ort angesprochen,
wo Zeus mit den Titanen kämpfte und Ossa auf Pelion, Pelion auf Olympos
häufte, und die unter uns im Berge stöhnende Zeta Hütten sie für eines der
mutigen Riesenkinder erklärt, das von dem erzürnten Kroniden mit einem
mächtigen Felsblocke zu Boden geschmettert zeitlebens hier gefesselt liege und
nach Befreiung seufze, wie der an den Kaukasusselsen geschmiedete Prometheus
des Äschylos.

Die moderne Geologie saßt das Phänomen prosaischer auf und erklärt,
daß der Kohlensäuregehalt das Wasser befähigt, den Kalkstein aufzulösen, und
daß durch diesen Erosionsprozeß zahlreiche Höhlen gebildet werden, die das
ganze Karstgebirge durchziehen. Nicht nur in Montenegro würden diese unter¬
irdischen Flüsse, die sich im Bergesinnern oft zu Seen verbreiterten und Kas¬
kaden bildeten, gefunden, sondern auch im ganzen Gebirge des österreichischen
Küstenlandes, das sich als Fortsetzung der südlichen Kalkalpen bis tief in die
illyrische Halbinsel ausdehnt. Sie führt als Beispiel die bekannte Grotte bei
Adelsberg an, in der der Poiksluß in ewiger Höhlennacht dahin rauscht, der
dann als Anz wieder zu Tage kommt, eine große Thalmulde, die man im
Karst Polje nennt, durchströmt, wiederum verschwindet, um dann bei Ober¬
laibach wieder als schiffbarer Strom das Sonnenlicht zu begrüßen. Und


Aus den schwarzen Bergen

Die grüne Ebne von Bjelopawlitsche, in die wir eins bequemer Fahrstraße
eintreten, würde mit ihren im reichsten Fruchtsegen prangenden Feldern, die
das schwarzblaue, vielfach gewundne Band der Zeta durchschlängelt, keinen un¬
freundlichen Eindruck machen, wenn nicht die kahlen, weißgrauen unfrucht¬
baren Felswände zu beiden Seiten so neidisch auf das Bild der Lieblichkeit zu
ihren Füßen herabsähen, als ob sie selbst diese kleine Alluvialebne, das Ge¬
schenk der Zeta an Montenegro, dem Lande mißgönnten. Langsam steigt die
Straße hinter Spusch auf dem rechten Zetaufer hinan, wir passieren Danilow-
grad, ein neues, günstig auf einem Plateau am Fuße der Berge gelegnes
Städtchen, durch seine Lage in der Mitte des Landes vielleicht dazu bestimmt,
Cetinje den Rang als Residenzstadt streitig zu machen. Hinter Danilowgrad
steigt die Straße stärker, die Zetaebne zu unsern Füßen kommt plötzlich durch
einen gewaltigen Querriegel zum Abschluß, und während die Zeta darunter
nach Art eines richtigen Karstflusfes fortströmt, nimmt die Landstraße in
Mäanderwindungen den Weg über den wüsten Block, der den ausgeprägten
Typus des Karstes trügt und an ein hübsches montenegrinisches Märchen
erinnert. Der liebe Gott, so heißt es dort, wäre einst, da ihm seine Schöpfung
zu schön dünkte, mit einem Sacke voll Felsen einhergczogen, um hier und da
durch Einsam unfruchtbarer Steine eine Abwechslung zu bringen in die ein¬
förmige Anmut der Landschaft; als er sich aber gerade über Montenegro be¬
fand, sei der Sack geplatzt, und der ganze für unendliche Länderflächen berech¬
nete Steinsegen hätte sich über der einen unglücklichen Stelle entleert. Wären
noch Hellenen hier, so hätten sie die Tschernagorci für den Ort angesprochen,
wo Zeus mit den Titanen kämpfte und Ossa auf Pelion, Pelion auf Olympos
häufte, und die unter uns im Berge stöhnende Zeta Hütten sie für eines der
mutigen Riesenkinder erklärt, das von dem erzürnten Kroniden mit einem
mächtigen Felsblocke zu Boden geschmettert zeitlebens hier gefesselt liege und
nach Befreiung seufze, wie der an den Kaukasusselsen geschmiedete Prometheus
des Äschylos.

Die moderne Geologie saßt das Phänomen prosaischer auf und erklärt,
daß der Kohlensäuregehalt das Wasser befähigt, den Kalkstein aufzulösen, und
daß durch diesen Erosionsprozeß zahlreiche Höhlen gebildet werden, die das
ganze Karstgebirge durchziehen. Nicht nur in Montenegro würden diese unter¬
irdischen Flüsse, die sich im Bergesinnern oft zu Seen verbreiterten und Kas¬
kaden bildeten, gefunden, sondern auch im ganzen Gebirge des österreichischen
Küstenlandes, das sich als Fortsetzung der südlichen Kalkalpen bis tief in die
illyrische Halbinsel ausdehnt. Sie führt als Beispiel die bekannte Grotte bei
Adelsberg an, in der der Poiksluß in ewiger Höhlennacht dahin rauscht, der
dann als Anz wieder zu Tage kommt, eine große Thalmulde, die man im
Karst Polje nennt, durchströmt, wiederum verschwindet, um dann bei Ober¬
laibach wieder als schiffbarer Strom das Sonnenlicht zu begrüßen. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/600>, abgerufen am 28.09.2024.