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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Die Arbeiten des russischen und des englischen Gelehrten haben, trotz
mangelnder Geldmittel, ein kleines Pompeji bloßgelegt und uns das Bild
einer römischen Provinzialstadt zur Zeit Iustinians verständlicher gemacht.
Dreiundzwanzig neue mehr oder minder vollkommne Inschriften wurden durch
Herrn Munro entdeckt und veröffentlicht und die Lesart der vorher ge¬
sammelten teilweise korrigiert, bevor die Unwissenheit der Anwohner, die in
die Häuser Podgoritzas ganze Architrave mit Inschriften eingemauert haben,
noch weitere Zerstörung anrichten konnte. Freilich sind nur erst einige Stellen
des Trümmerfelds untersucht worden, aber weitern Forschungen dürfte nichts
entgegenstelln, um so mehr, als der Ort unbewohnt und nicht tief mit Erde
zugedeckt ist, und wenngleich in ganz Montenegro wohl nicht einmal ein
Mummius ist, doch die Erlaubnis zu Nachgrabungen gern gegeben wird.




Montenegro wird dnrch eine tiefe Einsenkung, die vou Süden nach Nord¬
westen verläuft, in zwei ungleiche Hälften geteilt, das westliche kleinere eigent¬
liche Montenegro und die östliche, größere Berta, die sich erst 1831 mit dem
Fürstentum vereinigte. Dieser Einschnitt beginnt bei Podgoritza, geht aufwärts
an den Ruinen von Doclea vorbei in das Thal der Zeta, wo er durch den
mächtigen, sich quer herüberschiebendeu Planinitzarücken auf eine kurze Strecke
unterbrochen, in die Ebne von Niksitsch, ein großes fruchtbares Feld, mündet.
Von hier führt ein neuer Einschnitt, die berüchtigten Dugapässe, herüber in
die Hochebne der Herzegowina. Wir hatten uns vorgenommen, uns diesem
wichtigen Wege das Land zu durchkreuzen, er bietet die beste Verbindung mit
den okkupierten Provinzen: eine Thatsache, die den Türken wohl bekannt war.

Immer waren die Dugapässe ihr Einfallthor, das Niksitscher Thal und
die Zetaebne ihre Verbindungslinie mit Albanien; das Heer Omar Paschas
1862 wie das Suleimcm Paschas 1877 zog durch diese Schluchten, in denen
noch heute die verrosteten Patronenhülsen der türkischen Soldaten gefunden
werden. Vor dem Berliner Kongresse gehörte Niksitsch wie Podgoritza der
Türkei; ein Blick auf die Karte lehrt, wie weit sie in das Gebiet des Feindes
vorsprangen: wie eine Schleife schnitten sie in die schwarzen Berge, Berta von
Montenegro trennend, ein, und hätten die lässigen Türken nicht vergessen, die
Verbindungsstraße zwischen Süden und Norden dnrch Blockhäuser zu schützen,
so wäre den türkischen Bataillonen mancher Schweiß- und Blutstropfen er¬
spart geblieben. Nur eine Türkenfestnng, und diese in überraschend günstiger
Lage nördlich von Doelea hoch oben auf einem isolierten Bergkegel dort ge¬
legen, wo sich das Zetathal zur Ebne von Bjelopawlitsche öffnet, die Trutz¬
burg Spusch, die sowohl das Zetathal nördlich, wie südlich das enge Defilee
bis Doclea beherrscht, wurde von ihnen angelegt, doch "mit diesem Hciusleiu
wollt ihr Uri zwingen?"


Aus den schwarzen Bergen

Die Arbeiten des russischen und des englischen Gelehrten haben, trotz
mangelnder Geldmittel, ein kleines Pompeji bloßgelegt und uns das Bild
einer römischen Provinzialstadt zur Zeit Iustinians verständlicher gemacht.
Dreiundzwanzig neue mehr oder minder vollkommne Inschriften wurden durch
Herrn Munro entdeckt und veröffentlicht und die Lesart der vorher ge¬
sammelten teilweise korrigiert, bevor die Unwissenheit der Anwohner, die in
die Häuser Podgoritzas ganze Architrave mit Inschriften eingemauert haben,
noch weitere Zerstörung anrichten konnte. Freilich sind nur erst einige Stellen
des Trümmerfelds untersucht worden, aber weitern Forschungen dürfte nichts
entgegenstelln, um so mehr, als der Ort unbewohnt und nicht tief mit Erde
zugedeckt ist, und wenngleich in ganz Montenegro wohl nicht einmal ein
Mummius ist, doch die Erlaubnis zu Nachgrabungen gern gegeben wird.




Montenegro wird dnrch eine tiefe Einsenkung, die vou Süden nach Nord¬
westen verläuft, in zwei ungleiche Hälften geteilt, das westliche kleinere eigent¬
liche Montenegro und die östliche, größere Berta, die sich erst 1831 mit dem
Fürstentum vereinigte. Dieser Einschnitt beginnt bei Podgoritza, geht aufwärts
an den Ruinen von Doclea vorbei in das Thal der Zeta, wo er durch den
mächtigen, sich quer herüberschiebendeu Planinitzarücken auf eine kurze Strecke
unterbrochen, in die Ebne von Niksitsch, ein großes fruchtbares Feld, mündet.
Von hier führt ein neuer Einschnitt, die berüchtigten Dugapässe, herüber in
die Hochebne der Herzegowina. Wir hatten uns vorgenommen, uns diesem
wichtigen Wege das Land zu durchkreuzen, er bietet die beste Verbindung mit
den okkupierten Provinzen: eine Thatsache, die den Türken wohl bekannt war.

Immer waren die Dugapässe ihr Einfallthor, das Niksitscher Thal und
die Zetaebne ihre Verbindungslinie mit Albanien; das Heer Omar Paschas
1862 wie das Suleimcm Paschas 1877 zog durch diese Schluchten, in denen
noch heute die verrosteten Patronenhülsen der türkischen Soldaten gefunden
werden. Vor dem Berliner Kongresse gehörte Niksitsch wie Podgoritza der
Türkei; ein Blick auf die Karte lehrt, wie weit sie in das Gebiet des Feindes
vorsprangen: wie eine Schleife schnitten sie in die schwarzen Berge, Berta von
Montenegro trennend, ein, und hätten die lässigen Türken nicht vergessen, die
Verbindungsstraße zwischen Süden und Norden dnrch Blockhäuser zu schützen,
so wäre den türkischen Bataillonen mancher Schweiß- und Blutstropfen er¬
spart geblieben. Nur eine Türkenfestnng, und diese in überraschend günstiger
Lage nördlich von Doelea hoch oben auf einem isolierten Bergkegel dort ge¬
legen, wo sich das Zetathal zur Ebne von Bjelopawlitsche öffnet, die Trutz¬
burg Spusch, die sowohl das Zetathal nördlich, wie südlich das enge Defilee
bis Doclea beherrscht, wurde von ihnen angelegt, doch „mit diesem Hciusleiu
wollt ihr Uri zwingen?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/599>, abgerufen am 20.10.2024.