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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Döllingers Jugend

dienstbar geworden ihren Leidenschaften, wie alle, die dieser Macht hörig ge¬
worden; und statt jenem höhern Geiste, der ihnen gegeben worden, zu ver¬
trauen, hatten sie mit ihrer Menscheuklugheit vielfach die Welt verwirrt. . . .
Da bestieg, weil die Wütenden dem leitenden Geiste abgesagt, der ewige Richter
den Stuhl, der über den Wolken steht, und ein ernstes Gericht ward über die
Verbrecher abgehalten; die Päpste wurden in beinahe hundertjährige Gefangen¬
schaft abgeführt."") Es wird die Habsucht und der Geiz der avignonensischen
Päpste geschildert und dann fortgefahren: "Der Habsucht nach Gütern hatte
sich bald auch die Habsucht nach Macht beigesellt, und in ihr erstarrte das
innere Kirchenregiment mehr und mehr in den Grundsätzen absoluter Herrschaft
des geistlichen Oberhauptes, wie das weltliche im Kaisertum stärker und stärker
in der Autokmzie der Stände sich aufgelöst. Die Päpste aber, auf diesen
bösen Wegen gehend, hatten auf ihnen die französische Politik gefunden und
waren schnell in die Fallstricke der schlauen Ränkemacherin gefallen usw." Von
dieser Einleitung waren die Frommen, die sich auf Suso gefreut hatten, wenig
erbaut, und namentlich die Brentanos scheinen sie getadelt zu haben. Görres
schrieb nämlich an seine Tochter: "In betreff Susos haben Clemens und
Christian Brentano ein wenig Recht und viel Unrecht. Unrecht haben sie
darin, daß sie die Wahrheit bemäntelt wissen wollen; das ist jederzeit die aller-
schlechteste Politik und jetzt am meisten, ja sogar gefährlich wegen ihrer Un-
lauterkeit, und ganz unhaltbar überdem. Ich stimme überall für die frische
grüne Wahrheit ohne alle Furcht."

Also diesen beiden ist die schmerzliche Operation der Entwurzlung durch
den rein äußerlichen Umstand erspart geblieben, daß ihr Wirken in eine etwas
frühere Zeit fiel, und ihr Ruhm strahlt ungetrübt bei ihren Glaubensgenossen.
Von der Zeit hängt ja überhaupt der Erfolg ab. Wieviel, pflegte der ehrliche
deutsche Papst Hadrian VI. zu sagen, kommt auch für den besten, redlichsten
Mann darauf an, in welche Zeit sein Leben füllt. Ein Freund hat ihm diese
Worte auf ein Denkmal setzen lassen, und mit dem Hinweis auf diese In¬
schrift hat der ehrliche Kriegsminister Roon einmal die Huldigungen abgelehnt,
die ihm dargebracht wurden. Über Döllinger war ein tragisches Geschick ver¬
hängt. Er hatte seine Glaubensgenossen von Sieg zu Sieg geführt, und dann
trennten sich ihre Wege. Er mußte die Siege, die sie noch weiter erfochten,
beklagen, der Weg aber, den er selbst weiterging, verlief sich im Sande einer
unfruchtbaren Kritik. Die Kirche, der er fünfzig Lebensjahre gewidmet hatte,
existierte gar nicht, wie er am Ende seines Lebens gewahr wurde, und die
Hoffnung, daß aus der alten Kirche die älteste, vermeintlich wahre und reine
wieder auferstehen werde, diese bei einem großen Historiker recht wunderliche



*) Eine sehr erträgliche Strafe! Der päpstliche Palast zu Avignon war ein so fideles
Gefängnis, daß die "Verbrecher" nicht mehr heraus wollten.
Grenzboten II 1899 78
Döllingers Jugend

dienstbar geworden ihren Leidenschaften, wie alle, die dieser Macht hörig ge¬
worden; und statt jenem höhern Geiste, der ihnen gegeben worden, zu ver¬
trauen, hatten sie mit ihrer Menscheuklugheit vielfach die Welt verwirrt. . . .
Da bestieg, weil die Wütenden dem leitenden Geiste abgesagt, der ewige Richter
den Stuhl, der über den Wolken steht, und ein ernstes Gericht ward über die
Verbrecher abgehalten; die Päpste wurden in beinahe hundertjährige Gefangen¬
schaft abgeführt."") Es wird die Habsucht und der Geiz der avignonensischen
Päpste geschildert und dann fortgefahren: „Der Habsucht nach Gütern hatte
sich bald auch die Habsucht nach Macht beigesellt, und in ihr erstarrte das
innere Kirchenregiment mehr und mehr in den Grundsätzen absoluter Herrschaft
des geistlichen Oberhauptes, wie das weltliche im Kaisertum stärker und stärker
in der Autokmzie der Stände sich aufgelöst. Die Päpste aber, auf diesen
bösen Wegen gehend, hatten auf ihnen die französische Politik gefunden und
waren schnell in die Fallstricke der schlauen Ränkemacherin gefallen usw." Von
dieser Einleitung waren die Frommen, die sich auf Suso gefreut hatten, wenig
erbaut, und namentlich die Brentanos scheinen sie getadelt zu haben. Görres
schrieb nämlich an seine Tochter: „In betreff Susos haben Clemens und
Christian Brentano ein wenig Recht und viel Unrecht. Unrecht haben sie
darin, daß sie die Wahrheit bemäntelt wissen wollen; das ist jederzeit die aller-
schlechteste Politik und jetzt am meisten, ja sogar gefährlich wegen ihrer Un-
lauterkeit, und ganz unhaltbar überdem. Ich stimme überall für die frische
grüne Wahrheit ohne alle Furcht."

Also diesen beiden ist die schmerzliche Operation der Entwurzlung durch
den rein äußerlichen Umstand erspart geblieben, daß ihr Wirken in eine etwas
frühere Zeit fiel, und ihr Ruhm strahlt ungetrübt bei ihren Glaubensgenossen.
Von der Zeit hängt ja überhaupt der Erfolg ab. Wieviel, pflegte der ehrliche
deutsche Papst Hadrian VI. zu sagen, kommt auch für den besten, redlichsten
Mann darauf an, in welche Zeit sein Leben füllt. Ein Freund hat ihm diese
Worte auf ein Denkmal setzen lassen, und mit dem Hinweis auf diese In¬
schrift hat der ehrliche Kriegsminister Roon einmal die Huldigungen abgelehnt,
die ihm dargebracht wurden. Über Döllinger war ein tragisches Geschick ver¬
hängt. Er hatte seine Glaubensgenossen von Sieg zu Sieg geführt, und dann
trennten sich ihre Wege. Er mußte die Siege, die sie noch weiter erfochten,
beklagen, der Weg aber, den er selbst weiterging, verlief sich im Sande einer
unfruchtbaren Kritik. Die Kirche, der er fünfzig Lebensjahre gewidmet hatte,
existierte gar nicht, wie er am Ende seines Lebens gewahr wurde, und die
Hoffnung, daß aus der alten Kirche die älteste, vermeintlich wahre und reine
wieder auferstehen werde, diese bei einem großen Historiker recht wunderliche



*) Eine sehr erträgliche Strafe! Der päpstliche Palast zu Avignon war ein so fideles
Gefängnis, daß die „Verbrecher" nicht mehr heraus wollten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/585>, abgerufen am 28.09.2024.