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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Arm der Gerechtigkeit

ärgerlichen Irrtum, eine wirkliche Dame der Gesellschaft anstatt einer Straßendirne
zu verhaften, wird er doch nicht so leicht verfallen. Er hat eben für die Be¬
obachtung der ihm selbst in Fleisch und Blut übergcgnngnen Lebensformen von
vornherein ein weit feineres Verständnis als der Sproß aus niederm Stande. Er
erkennt die Unechtheit eines der bekannten "Grafen" oder "Barone" weit eher an
allerlei Verstößen gegen den guten Ton als jener, der infolge seiner schlechter,!
Erziehung die feinen Unterschiede ebenso wenig bemerkt wie der Hochstapler, der
sich eben durch ihre Außerachtlnssuug dem kundigen Ange sofort als solcher verrät.
Es ist ja anch längst eine wohlbekannte Thatsache, daß gerade die in den bessern
Gesellschaftskreisen arbeitenden Elemente des Verbrechertums -- und das sind,
wenn auch nicht die zahlreichern, so doch jedenfalls die weitaus gefährlichsten --
im Schliff ihren Berufsgegneru meist bedeutend überlegen sind.

Es klingt spaßhaft, aber es ist so: die mit der Überwachung der Vergnügungs¬
stätten der Lebewelt beauftragten Beamten geraten infolge ihrer plumpen, bäurischen
Manieren bei dem dort verkehrenden Publikum gewöhnlich weit eher in irgend
einen schnöden, verfänglichen Verdacht als die Vertreter der Gaunerznnft. Ihre
immer etwas altfränkische, bürgerlich ehrbare Kleidung an Orten, wo sich nnr die
Modernsten der Modernen ein Rendezvous geben, ist fast immer die Ursache, daß
sich sofort alle Blicke spöttisch, mitleidig, mißtrauisch auf sie richten, daß sie, anstatt
nnter den Anwesenden unbemerkt zu verschwinden, von diesen sofort in merkbarer
Weise isoliert werden, sodaß also ihre ganze Wirksamkeit von vornherein verhindert
wird. Ich habe es selbst auf einem Berliner Eliteball erlebt, daß eine der an¬
wesenden Dämchen, die sich ziemlich ungeniert über den die Festivität überwachenden
"Schnüffel" moquierte, auf die verwunderte Frage, woher sie denn wisse, daß der
Mann ein Geheimpolizist sei, im echtesten Berliner Dialekt die unverfrorne Ant¬
wort gab: "Na, wissen Sie, ein feiner Mann kommt hier nicht in solche Mist-
botten her!"

Das war nun allerdings ein wenig übertrieben, aber es traf doch den Nagel
auf den Kopf. Mit seinen soliden Kalbledernen stach der Beamte allerdings von
den nach der neusten Mode beschuhten Gigerln ziemlich auffällig ab, sodaß er also
von kundigen Angen sofort bemerkt werden mußte. In ebenso oder doch ähnlicher
Weise verraten sich nun aber die mit der Überwachung berüchtigter Vergnügungs¬
stätten betrauten Beamten fast immer dem dort verkehrenden Teil des Verbrecher¬
tums, und wer nun auch nur annähernd weiß, welche Rolle gerade diese Tummel¬
plätze der Halbwelt, die Tingeltangel, Mädchenkneipen, Nachteafes usw. in dem
kriminalistischen Hautgout einer modernen Großstadt spielen, der wird es Wohl ohne
weiteres verstehn, daß eine Kriminalpolizei, die über gar keine Leute verfügt, die
geeignet sind, an diesen Stätten den Kampf mit dem Gaunertum aufzunehmen,
schlechterdings auch keine bessern Ergebnisse erzielen kann.

(Schluß folgt)




Der Arm der Gerechtigkeit

ärgerlichen Irrtum, eine wirkliche Dame der Gesellschaft anstatt einer Straßendirne
zu verhaften, wird er doch nicht so leicht verfallen. Er hat eben für die Be¬
obachtung der ihm selbst in Fleisch und Blut übergcgnngnen Lebensformen von
vornherein ein weit feineres Verständnis als der Sproß aus niederm Stande. Er
erkennt die Unechtheit eines der bekannten „Grafen" oder „Barone" weit eher an
allerlei Verstößen gegen den guten Ton als jener, der infolge seiner schlechter,!
Erziehung die feinen Unterschiede ebenso wenig bemerkt wie der Hochstapler, der
sich eben durch ihre Außerachtlnssuug dem kundigen Ange sofort als solcher verrät.
Es ist ja anch längst eine wohlbekannte Thatsache, daß gerade die in den bessern
Gesellschaftskreisen arbeitenden Elemente des Verbrechertums — und das sind,
wenn auch nicht die zahlreichern, so doch jedenfalls die weitaus gefährlichsten —
im Schliff ihren Berufsgegneru meist bedeutend überlegen sind.

Es klingt spaßhaft, aber es ist so: die mit der Überwachung der Vergnügungs¬
stätten der Lebewelt beauftragten Beamten geraten infolge ihrer plumpen, bäurischen
Manieren bei dem dort verkehrenden Publikum gewöhnlich weit eher in irgend
einen schnöden, verfänglichen Verdacht als die Vertreter der Gaunerznnft. Ihre
immer etwas altfränkische, bürgerlich ehrbare Kleidung an Orten, wo sich nnr die
Modernsten der Modernen ein Rendezvous geben, ist fast immer die Ursache, daß
sich sofort alle Blicke spöttisch, mitleidig, mißtrauisch auf sie richten, daß sie, anstatt
nnter den Anwesenden unbemerkt zu verschwinden, von diesen sofort in merkbarer
Weise isoliert werden, sodaß also ihre ganze Wirksamkeit von vornherein verhindert
wird. Ich habe es selbst auf einem Berliner Eliteball erlebt, daß eine der an¬
wesenden Dämchen, die sich ziemlich ungeniert über den die Festivität überwachenden
„Schnüffel" moquierte, auf die verwunderte Frage, woher sie denn wisse, daß der
Mann ein Geheimpolizist sei, im echtesten Berliner Dialekt die unverfrorne Ant¬
wort gab: „Na, wissen Sie, ein feiner Mann kommt hier nicht in solche Mist-
botten her!"

Das war nun allerdings ein wenig übertrieben, aber es traf doch den Nagel
auf den Kopf. Mit seinen soliden Kalbledernen stach der Beamte allerdings von
den nach der neusten Mode beschuhten Gigerln ziemlich auffällig ab, sodaß er also
von kundigen Angen sofort bemerkt werden mußte. In ebenso oder doch ähnlicher
Weise verraten sich nun aber die mit der Überwachung berüchtigter Vergnügungs¬
stätten betrauten Beamten fast immer dem dort verkehrenden Teil des Verbrecher¬
tums, und wer nun auch nur annähernd weiß, welche Rolle gerade diese Tummel¬
plätze der Halbwelt, die Tingeltangel, Mädchenkneipen, Nachteafes usw. in dem
kriminalistischen Hautgout einer modernen Großstadt spielen, der wird es Wohl ohne
weiteres verstehn, daß eine Kriminalpolizei, die über gar keine Leute verfügt, die
geeignet sind, an diesen Stätten den Kampf mit dem Gaunertum aufzunehmen,
schlechterdings auch keine bessern Ergebnisse erzielen kann.

(Schluß folgt)




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[0556] Der Arm der Gerechtigkeit ärgerlichen Irrtum, eine wirkliche Dame der Gesellschaft anstatt einer Straßendirne zu verhaften, wird er doch nicht so leicht verfallen. Er hat eben für die Be¬ obachtung der ihm selbst in Fleisch und Blut übergcgnngnen Lebensformen von vornherein ein weit feineres Verständnis als der Sproß aus niederm Stande. Er erkennt die Unechtheit eines der bekannten „Grafen" oder „Barone" weit eher an allerlei Verstößen gegen den guten Ton als jener, der infolge seiner schlechter,! Erziehung die feinen Unterschiede ebenso wenig bemerkt wie der Hochstapler, der sich eben durch ihre Außerachtlnssuug dem kundigen Ange sofort als solcher verrät. Es ist ja anch längst eine wohlbekannte Thatsache, daß gerade die in den bessern Gesellschaftskreisen arbeitenden Elemente des Verbrechertums — und das sind, wenn auch nicht die zahlreichern, so doch jedenfalls die weitaus gefährlichsten — im Schliff ihren Berufsgegneru meist bedeutend überlegen sind. Es klingt spaßhaft, aber es ist so: die mit der Überwachung der Vergnügungs¬ stätten der Lebewelt beauftragten Beamten geraten infolge ihrer plumpen, bäurischen Manieren bei dem dort verkehrenden Publikum gewöhnlich weit eher in irgend einen schnöden, verfänglichen Verdacht als die Vertreter der Gaunerznnft. Ihre immer etwas altfränkische, bürgerlich ehrbare Kleidung an Orten, wo sich nnr die Modernsten der Modernen ein Rendezvous geben, ist fast immer die Ursache, daß sich sofort alle Blicke spöttisch, mitleidig, mißtrauisch auf sie richten, daß sie, anstatt nnter den Anwesenden unbemerkt zu verschwinden, von diesen sofort in merkbarer Weise isoliert werden, sodaß also ihre ganze Wirksamkeit von vornherein verhindert wird. Ich habe es selbst auf einem Berliner Eliteball erlebt, daß eine der an¬ wesenden Dämchen, die sich ziemlich ungeniert über den die Festivität überwachenden „Schnüffel" moquierte, auf die verwunderte Frage, woher sie denn wisse, daß der Mann ein Geheimpolizist sei, im echtesten Berliner Dialekt die unverfrorne Ant¬ wort gab: „Na, wissen Sie, ein feiner Mann kommt hier nicht in solche Mist- botten her!" Das war nun allerdings ein wenig übertrieben, aber es traf doch den Nagel auf den Kopf. Mit seinen soliden Kalbledernen stach der Beamte allerdings von den nach der neusten Mode beschuhten Gigerln ziemlich auffällig ab, sodaß er also von kundigen Angen sofort bemerkt werden mußte. In ebenso oder doch ähnlicher Weise verraten sich nun aber die mit der Überwachung berüchtigter Vergnügungs¬ stätten betrauten Beamten fast immer dem dort verkehrenden Teil des Verbrecher¬ tums, und wer nun auch nur annähernd weiß, welche Rolle gerade diese Tummel¬ plätze der Halbwelt, die Tingeltangel, Mädchenkneipen, Nachteafes usw. in dem kriminalistischen Hautgout einer modernen Großstadt spielen, der wird es Wohl ohne weiteres verstehn, daß eine Kriminalpolizei, die über gar keine Leute verfügt, die geeignet sind, an diesen Stätten den Kampf mit dem Gaunertum aufzunehmen, schlechterdings auch keine bessern Ergebnisse erzielen kann. (Schluß folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/556>, abgerufen am 28.09.2024.