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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

Gewohnheit mit dem klarsten, gesunden Verstände erklärliche Sicherheit im
Auffassen des xuuotuin salisus in jeder Sache," dazu eine "natürliche Güte
und Liebenswürdigkeit, daß man sich ihm gegenüber ganz frei fühlt." Auch
die Königin Augusta beurteilt er gerechter und unbefangner, als es von den
meisten Seiten damals und später geschehen ist, weil er oft zu der "Thee¬
büchse" gehörte,*) zu dem kleinen, intimen Kreise, mit dem beide Majestäten
in einer "engen Stube" den abendlichen Thee einzunehmen pflegten. Er fand
sie "intelligent und geistig angeregt" und nannte sie später (1864) "eine edle,
vielfach verkannte Frau, von großem Verstände und einer sehr ernsten Ge¬
sinnung, welche die realen Verhältnisse versteht und sich ernstlich und eingehend
mit den Dingen beschäftigt." Er füllt also dasselbe Urteil, das Leopold von
Gerlach schon über die Prinzessin Angusta einmal ausgesprochen hat: "Was
für eine merkwürdige Frau! Alles treibt sie mit Gewissen und Energie, aber
zugleich mit einer unglaublichen Leidenschaft." Damals (1858 bis 1862) stand
ihr Einfluß auf seiner Höhe, denn die meisten Minister der "neuen Ära"
waren "ihre persönlichen Freunde."

Doch diese "sehr wohlmeinenden, aber wenig thatkräftigen und von Dok¬
trinen beherrschten Minister," wie sie Abeken später (1864) charakterisierte,
verschuldeten den "Konflikt" und waren doch weder diesem gewachsen noch der
österreichisch-mittelstaatlichen Koalition am Bundestage. Dem Standpunkte
des Abgeordnetenhauses gegenüber verhielt sich Abeken natürlich durchaus ab¬
lehnend. Er fand, das "reale Recht" stehe auf feiten des Königs, und die
Regierung müsse doch eben fortregieren. Aber er fand schon im Februar 1862
die innern Zustände unerfreulich: "Oben der beste Wille und gesunder Ver¬
stand, aber welche Einflüsse! Schwankende Minister, ein Herrenhaus, das
sich von Parteiinteressen leiten läßt, eine Zweite Kammer, die kein moralisches
und kein geistiges Gewicht hat -- ein Volk, ehrlich, treu, klug, aber ohne
Politische Bildung und ohne politische Führer," und schmerzlich fragt er: "Wo
ist ein genialer Staatsmann jetzt in Preußen?"

Am 24. September 1862 trat dieser Staatsmann ins Amt und wurde
Abekens unmittelbarer Vorgesetzter für ein Jahrzehnt, das größte im Leben
beider. Sehr schnell begriff Abeken Bismarcks Bedeutung, obwohl ihm der
Minister "fremder" war. Schon am 23. Oktober schrieb er: "Es sind keine
bedeutenden Männer unter den Ministern, mein Chef. Herr von Bismarck,
ausgenommen"; und diese Erkenntnis wuchs. "Wie mein Chef die ungeheure
Last der Geschäfte -- und der Verantwortlichkeit ertrüge, das ist mir fast un¬
begreiflich. Er ist eine eiserne Natur, körperlich und geistig zum Herrschen
geboren," sagt er am 29. Februar 1864, und am 26. Juni: "er handelt mit



") Wohl nur ein andrer Ausdruck für Bismarcks "Bonbonniere," Busch, Taaebuch-
bliittcr II, 421 f.
Heinrich Abeken

Gewohnheit mit dem klarsten, gesunden Verstände erklärliche Sicherheit im
Auffassen des xuuotuin salisus in jeder Sache," dazu eine „natürliche Güte
und Liebenswürdigkeit, daß man sich ihm gegenüber ganz frei fühlt." Auch
die Königin Augusta beurteilt er gerechter und unbefangner, als es von den
meisten Seiten damals und später geschehen ist, weil er oft zu der „Thee¬
büchse" gehörte,*) zu dem kleinen, intimen Kreise, mit dem beide Majestäten
in einer „engen Stube" den abendlichen Thee einzunehmen pflegten. Er fand
sie „intelligent und geistig angeregt" und nannte sie später (1864) „eine edle,
vielfach verkannte Frau, von großem Verstände und einer sehr ernsten Ge¬
sinnung, welche die realen Verhältnisse versteht und sich ernstlich und eingehend
mit den Dingen beschäftigt." Er füllt also dasselbe Urteil, das Leopold von
Gerlach schon über die Prinzessin Angusta einmal ausgesprochen hat: „Was
für eine merkwürdige Frau! Alles treibt sie mit Gewissen und Energie, aber
zugleich mit einer unglaublichen Leidenschaft." Damals (1858 bis 1862) stand
ihr Einfluß auf seiner Höhe, denn die meisten Minister der „neuen Ära"
waren „ihre persönlichen Freunde."

Doch diese „sehr wohlmeinenden, aber wenig thatkräftigen und von Dok¬
trinen beherrschten Minister," wie sie Abeken später (1864) charakterisierte,
verschuldeten den „Konflikt" und waren doch weder diesem gewachsen noch der
österreichisch-mittelstaatlichen Koalition am Bundestage. Dem Standpunkte
des Abgeordnetenhauses gegenüber verhielt sich Abeken natürlich durchaus ab¬
lehnend. Er fand, das „reale Recht" stehe auf feiten des Königs, und die
Regierung müsse doch eben fortregieren. Aber er fand schon im Februar 1862
die innern Zustände unerfreulich: „Oben der beste Wille und gesunder Ver¬
stand, aber welche Einflüsse! Schwankende Minister, ein Herrenhaus, das
sich von Parteiinteressen leiten läßt, eine Zweite Kammer, die kein moralisches
und kein geistiges Gewicht hat — ein Volk, ehrlich, treu, klug, aber ohne
Politische Bildung und ohne politische Führer," und schmerzlich fragt er: „Wo
ist ein genialer Staatsmann jetzt in Preußen?"

Am 24. September 1862 trat dieser Staatsmann ins Amt und wurde
Abekens unmittelbarer Vorgesetzter für ein Jahrzehnt, das größte im Leben
beider. Sehr schnell begriff Abeken Bismarcks Bedeutung, obwohl ihm der
Minister „fremder" war. Schon am 23. Oktober schrieb er: „Es sind keine
bedeutenden Männer unter den Ministern, mein Chef. Herr von Bismarck,
ausgenommen"; und diese Erkenntnis wuchs. „Wie mein Chef die ungeheure
Last der Geschäfte — und der Verantwortlichkeit ertrüge, das ist mir fast un¬
begreiflich. Er ist eine eiserne Natur, körperlich und geistig zum Herrschen
geboren," sagt er am 29. Februar 1864, und am 26. Juni: „er handelt mit



") Wohl nur ein andrer Ausdruck für Bismarcks „Bonbonniere," Busch, Taaebuch-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/531>, abgerufen am 28.09.2024.