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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Lxportbedürfnis

land zur Begleichung der Zahlungsbilanz beklagt und ausdrücklich gesagt wird:
"Wenn es unsrer, jetzt durch einen Schutzzoll von 20 bis 30 Prozent geschützten
Landwirtschaft nicht gelingt, die für Deutschland erforderlichen Nahrungsmittel
selbst zu erzeugen, wenn unsre Exportindustrie sich auf den ausländischen Märkten
zurückdrängen läßt, so dürften unangenehme Überraschungen nicht ausbleiben."
Er sieht ein, daß, wenn dieses Herausströmen der fremden Werte eine dauernde
Erscheinung wäre, darin für die Zukunft Deutschlands allerdings eine schwere
Gefahr liegen würde. Es würde dies, sagt er selbst, zeigen, daß Deutschland
heute "an seinem eignen Fette zehrt" und einen größern Einfuhrüberschuß be¬
ziehe, als ihm der Ertrag seiner auswärtigen Kapitalmacht erlaube. Aber es
liege kein Grund vor, die Erscheinung nicht für eine vorübergehende zu halten,
sie sei dadurch hervorgerufen worden, daß Deutschland neben der Bezahlung
eines großen Einfuhrüberschusses außerordentlich große Anlagen an Kapitalien
auswärts, namentlich im Orient gemacht habe.

Aber das ist denn doch ein schwacher Trost gegenüber der feststehenden
Thatsache, daß wir bei einer so starken Verkümmerung des Exports den innern
Markt mit einer Zunahme der industriellen Arbeitskräfte von 35 Prozent be¬
lastet haben, d. h. über das Doppelte stärker als England. Wir werden
hoffentlich in der nächsten Zukunft noch reichlicher Gelegenheit finden, Kapital¬
anlagen im Auslande zu machen -- ja wir müssen sie mit allem Eifer suchen --,
und dann wird sich nicht die behauptete Übersättigung mit Kapitalien, sondern
unsre Kapitalarmut verhängnisvoll fühlbar machen. Dann würden wir durch
Schaden darüber belehrt werden, wie unklug es wäre, dem ökonomischen Gesetz
des Herrn von Halle zu trauen und den Export auf die leichte Achsel zu
nehmen.

England und die Vereinigten Staaten von Amerika scheuen keine Kosten
und Mühe, für ihren Export neue Gebiete und Bedürfnisse in der Welt aus¬
findig zu machen, sie verstärken das Heer ihrer im Auslande zu diesem Zwecke
thätigen Agenten und Forscher von Jahr zu Jahr bedeutend und suchen ihren
Kaufleuten und Industriellen mit zuverlässigen, aus der Praxis geschöpften und
für die Praxis tauglichen Auskünften in einem für unsre Büreaukratie ganz
unfaßbarer Umfange zu Hilfe zu kommen, ihre ganze Handels- und Zollpolitik
verfolgt dieses Ziel unausgesetzt mit allem Nachdruck und empfindet jedes
Hemmnis und jeden Widerstand als schwere Beeinträchtigung nationalen Inter¬
esses, und das alles, ohne je einen Widerspruch von irgend einer Partei oder
von irgend einer Interessenvertretung zu erfahren. Dagegen nun ist Deutsch¬
land mehr als jemals in einer verhängnisvollen Halbheit, Unbestimmtheit und
Uneinigkeit in allem, was die Förderung der Exportindustrie und des Exports
angeht, befangen. Es fehlt in den Negierungskreisen gewiß nicht an Staats¬
männern mit vollem Verständnis und gutem Willen sür die Sache, und es
fehlt vor allem dem Reiche und den verbündeten Fürsten nicht an Ernst und
Eifer, in dieser Beziehung bessere Leistungen durchzusetzen. Aber mit einer fast


Deutschlands Lxportbedürfnis

land zur Begleichung der Zahlungsbilanz beklagt und ausdrücklich gesagt wird:
„Wenn es unsrer, jetzt durch einen Schutzzoll von 20 bis 30 Prozent geschützten
Landwirtschaft nicht gelingt, die für Deutschland erforderlichen Nahrungsmittel
selbst zu erzeugen, wenn unsre Exportindustrie sich auf den ausländischen Märkten
zurückdrängen läßt, so dürften unangenehme Überraschungen nicht ausbleiben."
Er sieht ein, daß, wenn dieses Herausströmen der fremden Werte eine dauernde
Erscheinung wäre, darin für die Zukunft Deutschlands allerdings eine schwere
Gefahr liegen würde. Es würde dies, sagt er selbst, zeigen, daß Deutschland
heute „an seinem eignen Fette zehrt" und einen größern Einfuhrüberschuß be¬
ziehe, als ihm der Ertrag seiner auswärtigen Kapitalmacht erlaube. Aber es
liege kein Grund vor, die Erscheinung nicht für eine vorübergehende zu halten,
sie sei dadurch hervorgerufen worden, daß Deutschland neben der Bezahlung
eines großen Einfuhrüberschusses außerordentlich große Anlagen an Kapitalien
auswärts, namentlich im Orient gemacht habe.

Aber das ist denn doch ein schwacher Trost gegenüber der feststehenden
Thatsache, daß wir bei einer so starken Verkümmerung des Exports den innern
Markt mit einer Zunahme der industriellen Arbeitskräfte von 35 Prozent be¬
lastet haben, d. h. über das Doppelte stärker als England. Wir werden
hoffentlich in der nächsten Zukunft noch reichlicher Gelegenheit finden, Kapital¬
anlagen im Auslande zu machen — ja wir müssen sie mit allem Eifer suchen —,
und dann wird sich nicht die behauptete Übersättigung mit Kapitalien, sondern
unsre Kapitalarmut verhängnisvoll fühlbar machen. Dann würden wir durch
Schaden darüber belehrt werden, wie unklug es wäre, dem ökonomischen Gesetz
des Herrn von Halle zu trauen und den Export auf die leichte Achsel zu
nehmen.

England und die Vereinigten Staaten von Amerika scheuen keine Kosten
und Mühe, für ihren Export neue Gebiete und Bedürfnisse in der Welt aus¬
findig zu machen, sie verstärken das Heer ihrer im Auslande zu diesem Zwecke
thätigen Agenten und Forscher von Jahr zu Jahr bedeutend und suchen ihren
Kaufleuten und Industriellen mit zuverlässigen, aus der Praxis geschöpften und
für die Praxis tauglichen Auskünften in einem für unsre Büreaukratie ganz
unfaßbarer Umfange zu Hilfe zu kommen, ihre ganze Handels- und Zollpolitik
verfolgt dieses Ziel unausgesetzt mit allem Nachdruck und empfindet jedes
Hemmnis und jeden Widerstand als schwere Beeinträchtigung nationalen Inter¬
esses, und das alles, ohne je einen Widerspruch von irgend einer Partei oder
von irgend einer Interessenvertretung zu erfahren. Dagegen nun ist Deutsch¬
land mehr als jemals in einer verhängnisvollen Halbheit, Unbestimmtheit und
Uneinigkeit in allem, was die Förderung der Exportindustrie und des Exports
angeht, befangen. Es fehlt in den Negierungskreisen gewiß nicht an Staats¬
männern mit vollem Verständnis und gutem Willen sür die Sache, und es
fehlt vor allem dem Reiche und den verbündeten Fürsten nicht an Ernst und
Eifer, in dieser Beziehung bessere Leistungen durchzusetzen. Aber mit einer fast


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[0520] Deutschlands Lxportbedürfnis land zur Begleichung der Zahlungsbilanz beklagt und ausdrücklich gesagt wird: „Wenn es unsrer, jetzt durch einen Schutzzoll von 20 bis 30 Prozent geschützten Landwirtschaft nicht gelingt, die für Deutschland erforderlichen Nahrungsmittel selbst zu erzeugen, wenn unsre Exportindustrie sich auf den ausländischen Märkten zurückdrängen läßt, so dürften unangenehme Überraschungen nicht ausbleiben." Er sieht ein, daß, wenn dieses Herausströmen der fremden Werte eine dauernde Erscheinung wäre, darin für die Zukunft Deutschlands allerdings eine schwere Gefahr liegen würde. Es würde dies, sagt er selbst, zeigen, daß Deutschland heute „an seinem eignen Fette zehrt" und einen größern Einfuhrüberschuß be¬ ziehe, als ihm der Ertrag seiner auswärtigen Kapitalmacht erlaube. Aber es liege kein Grund vor, die Erscheinung nicht für eine vorübergehende zu halten, sie sei dadurch hervorgerufen worden, daß Deutschland neben der Bezahlung eines großen Einfuhrüberschusses außerordentlich große Anlagen an Kapitalien auswärts, namentlich im Orient gemacht habe. Aber das ist denn doch ein schwacher Trost gegenüber der feststehenden Thatsache, daß wir bei einer so starken Verkümmerung des Exports den innern Markt mit einer Zunahme der industriellen Arbeitskräfte von 35 Prozent be¬ lastet haben, d. h. über das Doppelte stärker als England. Wir werden hoffentlich in der nächsten Zukunft noch reichlicher Gelegenheit finden, Kapital¬ anlagen im Auslande zu machen — ja wir müssen sie mit allem Eifer suchen —, und dann wird sich nicht die behauptete Übersättigung mit Kapitalien, sondern unsre Kapitalarmut verhängnisvoll fühlbar machen. Dann würden wir durch Schaden darüber belehrt werden, wie unklug es wäre, dem ökonomischen Gesetz des Herrn von Halle zu trauen und den Export auf die leichte Achsel zu nehmen. England und die Vereinigten Staaten von Amerika scheuen keine Kosten und Mühe, für ihren Export neue Gebiete und Bedürfnisse in der Welt aus¬ findig zu machen, sie verstärken das Heer ihrer im Auslande zu diesem Zwecke thätigen Agenten und Forscher von Jahr zu Jahr bedeutend und suchen ihren Kaufleuten und Industriellen mit zuverlässigen, aus der Praxis geschöpften und für die Praxis tauglichen Auskünften in einem für unsre Büreaukratie ganz unfaßbarer Umfange zu Hilfe zu kommen, ihre ganze Handels- und Zollpolitik verfolgt dieses Ziel unausgesetzt mit allem Nachdruck und empfindet jedes Hemmnis und jeden Widerstand als schwere Beeinträchtigung nationalen Inter¬ esses, und das alles, ohne je einen Widerspruch von irgend einer Partei oder von irgend einer Interessenvertretung zu erfahren. Dagegen nun ist Deutsch¬ land mehr als jemals in einer verhängnisvollen Halbheit, Unbestimmtheit und Uneinigkeit in allem, was die Förderung der Exportindustrie und des Exports angeht, befangen. Es fehlt in den Negierungskreisen gewiß nicht an Staats¬ männern mit vollem Verständnis und gutem Willen sür die Sache, und es fehlt vor allem dem Reiche und den verbündeten Fürsten nicht an Ernst und Eifer, in dieser Beziehung bessere Leistungen durchzusetzen. Aber mit einer fast

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/520>, abgerufen am 28.09.2024.