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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Gxportbedürfnis

ein Menschenalter zu berechnenden Zeit zu einer im Ausland arbeitenden Kapital¬
macht gelangt sei, deren Erträge sich mit denen Englands oder auch mit denen
Frankreichs und der Vereinigten Staaten, wo freilich besondre Verhältnisse
vorliegen, messen könnten.

Wir haben in den Grenzboten vom 15. Dezember v. I. ausdrücklich die
Notwendigkeit einer gründlichen Bearbeitung der Frage betont, wie die un¬
geheure Steigerung des Kousums im Lande zu erklären sei. Wir sagten dabei:
Mit dem Hinweis ans den Ersatz der hanswirtschaftlicheu Produktion durch
die gewerbliche, der sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten in besondern!
Umfange vollzogen habe, auf die Vervollkommnung der Produktious- und Ver¬
kehrsmittel und die Verbilligung der Fabrikate, auf den gewaltig gesteigerten
Umsatz, auf das ins Rollen gekommne Geld und die dadurch bewirkte höhere
Konsumtionsfühigkeit und Lebenshaltung der breiten untern Bevölkerungs¬
schichten, so erfreulich das alles erscheinen möge, sei die Frage nicht gelöst.
Reiche seien wir damit auf keinen Fall geworden. Wir hätten vielleicht nur
mit großem Appetit vom eignen Fette gezehrt. Man solle einmal schätzen,
was an Reichs-, Staats- und Kommunalgeldern dem "innern Markt" für die
Vervollständigung der Wehrkraft, für die Vermehrung und die Verbesserung
der Verkehrsmittel und andre öffentliche -- vielfach keine Rente abwerfende,
sondern gesteigerte Unterhaltungskosten begründende -- Unternehmungen zu¬
geflossen waren. Diese in fünfzehn bis achtzehn Jahren nach vielen Milliarden
zählenden Summen seien eine Befruchtung des "innern Markes" gewesen, un¬
erhört seit Karls des Großen Zeiten. Dazu kämen die gewaltigen Kapitalien,
die der private Unternehmungsgeist in derselben Periode auf die Steigerung
der Produktionskraft Jahr für Jahr verwandt habe. Und doch hätten wir
keine Edelmetalle, keine landwirtschaftlichen Bodenerzeugnisse -- mit Ausnahme
des Rübenzuckers, den wir verschenkten -- an das Ausland zu verkaufen, doch
besäßen wir keine gewinnbringenden Kolonien und hätten sie nie besessen, doch
fehle in der Masse unsers Volks der altererbte Reichtum, der Engländern und
Franzosen weit eher erlauben würde, eine Zeit lang im eignen Fette zu schwelgen.
Das waren flüchtige Andeutungen der Umstände und Erscheinungen, die uns
in Frage zu kommen schienen; eine Lösung der Frage wollten wir damit nicht
geben. Wir haben die Erträgnisse der im Auslande arbeitenden Kapitalien
dabei nicht genannt, aber auch nicht vergessen. Auch der Hinweis auf sie
vermag uns nicht die Besorgnis zu verscheuchen, daß wir zu stark vom eignen
Fette gezehrt haben, daß wir so nicht weiter wirtschaften dürfen, ohne bankrott
zu werden. Wäre es der Rührigkeit und Geschicklichkeit unsrer Großkaufleute.
Großbanken usw. nicht gelungen, durch andre Geschäfte im Auslande die Ver¬
nachlässigung unsers Exportgeschäfts einigermaßen wett zu machen, so würeu
wir auf dem innern Markt vielleicht schon beim Krach angekommen.

Herr von Halle zitiert selbst den letzten Jahresbericht der Deutschen Bank,
worin das verhältnismäßig starke Ausströmen ausländischer Werte aus Deutsch-


Deutschlands Gxportbedürfnis

ein Menschenalter zu berechnenden Zeit zu einer im Ausland arbeitenden Kapital¬
macht gelangt sei, deren Erträge sich mit denen Englands oder auch mit denen
Frankreichs und der Vereinigten Staaten, wo freilich besondre Verhältnisse
vorliegen, messen könnten.

Wir haben in den Grenzboten vom 15. Dezember v. I. ausdrücklich die
Notwendigkeit einer gründlichen Bearbeitung der Frage betont, wie die un¬
geheure Steigerung des Kousums im Lande zu erklären sei. Wir sagten dabei:
Mit dem Hinweis ans den Ersatz der hanswirtschaftlicheu Produktion durch
die gewerbliche, der sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten in besondern!
Umfange vollzogen habe, auf die Vervollkommnung der Produktious- und Ver¬
kehrsmittel und die Verbilligung der Fabrikate, auf den gewaltig gesteigerten
Umsatz, auf das ins Rollen gekommne Geld und die dadurch bewirkte höhere
Konsumtionsfühigkeit und Lebenshaltung der breiten untern Bevölkerungs¬
schichten, so erfreulich das alles erscheinen möge, sei die Frage nicht gelöst.
Reiche seien wir damit auf keinen Fall geworden. Wir hätten vielleicht nur
mit großem Appetit vom eignen Fette gezehrt. Man solle einmal schätzen,
was an Reichs-, Staats- und Kommunalgeldern dem „innern Markt" für die
Vervollständigung der Wehrkraft, für die Vermehrung und die Verbesserung
der Verkehrsmittel und andre öffentliche — vielfach keine Rente abwerfende,
sondern gesteigerte Unterhaltungskosten begründende — Unternehmungen zu¬
geflossen waren. Diese in fünfzehn bis achtzehn Jahren nach vielen Milliarden
zählenden Summen seien eine Befruchtung des „innern Markes" gewesen, un¬
erhört seit Karls des Großen Zeiten. Dazu kämen die gewaltigen Kapitalien,
die der private Unternehmungsgeist in derselben Periode auf die Steigerung
der Produktionskraft Jahr für Jahr verwandt habe. Und doch hätten wir
keine Edelmetalle, keine landwirtschaftlichen Bodenerzeugnisse — mit Ausnahme
des Rübenzuckers, den wir verschenkten — an das Ausland zu verkaufen, doch
besäßen wir keine gewinnbringenden Kolonien und hätten sie nie besessen, doch
fehle in der Masse unsers Volks der altererbte Reichtum, der Engländern und
Franzosen weit eher erlauben würde, eine Zeit lang im eignen Fette zu schwelgen.
Das waren flüchtige Andeutungen der Umstände und Erscheinungen, die uns
in Frage zu kommen schienen; eine Lösung der Frage wollten wir damit nicht
geben. Wir haben die Erträgnisse der im Auslande arbeitenden Kapitalien
dabei nicht genannt, aber auch nicht vergessen. Auch der Hinweis auf sie
vermag uns nicht die Besorgnis zu verscheuchen, daß wir zu stark vom eignen
Fette gezehrt haben, daß wir so nicht weiter wirtschaften dürfen, ohne bankrott
zu werden. Wäre es der Rührigkeit und Geschicklichkeit unsrer Großkaufleute.
Großbanken usw. nicht gelungen, durch andre Geschäfte im Auslande die Ver¬
nachlässigung unsers Exportgeschäfts einigermaßen wett zu machen, so würeu
wir auf dem innern Markt vielleicht schon beim Krach angekommen.

Herr von Halle zitiert selbst den letzten Jahresbericht der Deutschen Bank,
worin das verhältnismäßig starke Ausströmen ausländischer Werte aus Deutsch-


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[0519] Deutschlands Gxportbedürfnis ein Menschenalter zu berechnenden Zeit zu einer im Ausland arbeitenden Kapital¬ macht gelangt sei, deren Erträge sich mit denen Englands oder auch mit denen Frankreichs und der Vereinigten Staaten, wo freilich besondre Verhältnisse vorliegen, messen könnten. Wir haben in den Grenzboten vom 15. Dezember v. I. ausdrücklich die Notwendigkeit einer gründlichen Bearbeitung der Frage betont, wie die un¬ geheure Steigerung des Kousums im Lande zu erklären sei. Wir sagten dabei: Mit dem Hinweis ans den Ersatz der hanswirtschaftlicheu Produktion durch die gewerbliche, der sich in Deutschland in den letzten Jahrzehnten in besondern! Umfange vollzogen habe, auf die Vervollkommnung der Produktious- und Ver¬ kehrsmittel und die Verbilligung der Fabrikate, auf den gewaltig gesteigerten Umsatz, auf das ins Rollen gekommne Geld und die dadurch bewirkte höhere Konsumtionsfühigkeit und Lebenshaltung der breiten untern Bevölkerungs¬ schichten, so erfreulich das alles erscheinen möge, sei die Frage nicht gelöst. Reiche seien wir damit auf keinen Fall geworden. Wir hätten vielleicht nur mit großem Appetit vom eignen Fette gezehrt. Man solle einmal schätzen, was an Reichs-, Staats- und Kommunalgeldern dem „innern Markt" für die Vervollständigung der Wehrkraft, für die Vermehrung und die Verbesserung der Verkehrsmittel und andre öffentliche — vielfach keine Rente abwerfende, sondern gesteigerte Unterhaltungskosten begründende — Unternehmungen zu¬ geflossen waren. Diese in fünfzehn bis achtzehn Jahren nach vielen Milliarden zählenden Summen seien eine Befruchtung des „innern Markes" gewesen, un¬ erhört seit Karls des Großen Zeiten. Dazu kämen die gewaltigen Kapitalien, die der private Unternehmungsgeist in derselben Periode auf die Steigerung der Produktionskraft Jahr für Jahr verwandt habe. Und doch hätten wir keine Edelmetalle, keine landwirtschaftlichen Bodenerzeugnisse — mit Ausnahme des Rübenzuckers, den wir verschenkten — an das Ausland zu verkaufen, doch besäßen wir keine gewinnbringenden Kolonien und hätten sie nie besessen, doch fehle in der Masse unsers Volks der altererbte Reichtum, der Engländern und Franzosen weit eher erlauben würde, eine Zeit lang im eignen Fette zu schwelgen. Das waren flüchtige Andeutungen der Umstände und Erscheinungen, die uns in Frage zu kommen schienen; eine Lösung der Frage wollten wir damit nicht geben. Wir haben die Erträgnisse der im Auslande arbeitenden Kapitalien dabei nicht genannt, aber auch nicht vergessen. Auch der Hinweis auf sie vermag uns nicht die Besorgnis zu verscheuchen, daß wir zu stark vom eignen Fette gezehrt haben, daß wir so nicht weiter wirtschaften dürfen, ohne bankrott zu werden. Wäre es der Rührigkeit und Geschicklichkeit unsrer Großkaufleute. Großbanken usw. nicht gelungen, durch andre Geschäfte im Auslande die Ver¬ nachlässigung unsers Exportgeschäfts einigermaßen wett zu machen, so würeu wir auf dem innern Markt vielleicht schon beim Krach angekommen. Herr von Halle zitiert selbst den letzten Jahresbericht der Deutschen Bank, worin das verhältnismäßig starke Ausströmen ausländischer Werte aus Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/519>, abgerufen am 20.10.2024.