Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sachsen "Loburg und Gotha

mehr zulassen: wir Deutschen können selber reiten und brauchen dazu keiner
fremden Hilfe. Unser Land und unser Reich sind mehr als alle andern äußern
und innern Gefahren ausgesetzt: deshalb soll vor allem unsre auswärtige
Politik von Hofmachenschaften fern und dem verantwortlichen Reichskanzler
allein überlassen bleiben. Wir wollen und wir brauchen keine "Mäßiger,"
weder mit England noch sonst mit jemand. Auch genügt uns zur Ver¬
mittlung die englische Botschaft in Berlin, und die Thätigkeit der Königin
Victoria wird vom deutschen Volke am liebsten in keiner Weise in Anspruch
genommen.

Dem gegenüber könnte man zwar einwenden, daß ja Fürst Bismarck
trotz seiner bittern Erfahrungen mit der Kaiserin Augusta und den kleinen
Höfen, niemals selber Anstalt gemacht hat, einen Zustand zu beendigen, der
uns heute sast unerträglich erscheint. Wir können dies bedauern; bedenken
wir aber, welche zahllosen und vordringlichern Arbeiten zur Festigung des
Reichs dem Fürsten Bismarck verblieben, auch mit welch schonender Hand er
den innern Ausbau des Reichs herstellen und überwachen mußte, wenn er
g-e-rs xsrslliiws halten sollte, so versteht, wir wohl, daß er seinerzeit die
Thronfolge in Coburg durch den Herzog von Edinburg durchaus willkommen
hieß. Lagen doch hier die Verhältnisse auch insofern besonders günstig, als
der Erbprinz versprach, ein gut deutsch gesinnter Fürst zu werden. Was nun
aber Bismarck in jener Zeit -- es war besonders in den achtziger Jahren --
nicht zu thun für gelegen hielt, sollte das auf immer zu unterlassen sein?
Ich meine, bismarckischem Geiste entspricht es eher, zu dem gegenteiligen
Schluß zu gelangen. An einem Zeitpunkte, wo die deutschen Fürsten in der
Verweigerung eines deutschen Throns an einen Ausländer keinen Einbruch
mehr in ihre Rechte sehen oder besorgen werden, während das erstarkte natio¬
nale Empfinden die Versorgung der heimatlichen Erde mit fremden Herrschern
als unerträglich verabscheut, bei einer derartigen Sachlage würde auch ein
Fürst Bismarck voraussichtlich daran gegangen fein, die Sache in unserm
Sinne zu regeln. Was noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren ein Huiötg,
uoli inoverö gewesen sein mag, braucht es heute nicht mehr zu sein, und wenn
sich heute unser einheitlich gewordnes und allmählich mächtig erstarrtes National¬
gefühl sein Recht zu verschaffen sucht, so wäre es bismarckischem Geiste zu¬
wider, wenn man ihm nicht zum Siege zu verhelfen versuchte. Wir Deutschen
haben ein Recht zu dem Wunsche: deutsche Lande und Fürstenthrone nicht
vom Auslande und von Fürsten in Besitz genommen zu sehen, die unserm
Empfinden fremd gegenüber stehn und die Erbfolge als eine Versorgung ihrer
Familie zu betrachten gewohnt sind.

Es fragt sich nun, wie ist diesem Wunsche zur Ausführung zu verhelfen?

Die verschiedenartigsten Vorschläge siud in gut gemeinter Absicht, aber
doch in vollkommner Verkennung der Sachlage gemacht worden. Zunächst
dürfte es weder dem Rechtsgefühle noch der Würde des Deutschen Reichs noch


Sachsen «Loburg und Gotha

mehr zulassen: wir Deutschen können selber reiten und brauchen dazu keiner
fremden Hilfe. Unser Land und unser Reich sind mehr als alle andern äußern
und innern Gefahren ausgesetzt: deshalb soll vor allem unsre auswärtige
Politik von Hofmachenschaften fern und dem verantwortlichen Reichskanzler
allein überlassen bleiben. Wir wollen und wir brauchen keine „Mäßiger,"
weder mit England noch sonst mit jemand. Auch genügt uns zur Ver¬
mittlung die englische Botschaft in Berlin, und die Thätigkeit der Königin
Victoria wird vom deutschen Volke am liebsten in keiner Weise in Anspruch
genommen.

Dem gegenüber könnte man zwar einwenden, daß ja Fürst Bismarck
trotz seiner bittern Erfahrungen mit der Kaiserin Augusta und den kleinen
Höfen, niemals selber Anstalt gemacht hat, einen Zustand zu beendigen, der
uns heute sast unerträglich erscheint. Wir können dies bedauern; bedenken
wir aber, welche zahllosen und vordringlichern Arbeiten zur Festigung des
Reichs dem Fürsten Bismarck verblieben, auch mit welch schonender Hand er
den innern Ausbau des Reichs herstellen und überwachen mußte, wenn er
g-e-rs xsrslliiws halten sollte, so versteht, wir wohl, daß er seinerzeit die
Thronfolge in Coburg durch den Herzog von Edinburg durchaus willkommen
hieß. Lagen doch hier die Verhältnisse auch insofern besonders günstig, als
der Erbprinz versprach, ein gut deutsch gesinnter Fürst zu werden. Was nun
aber Bismarck in jener Zeit — es war besonders in den achtziger Jahren —
nicht zu thun für gelegen hielt, sollte das auf immer zu unterlassen sein?
Ich meine, bismarckischem Geiste entspricht es eher, zu dem gegenteiligen
Schluß zu gelangen. An einem Zeitpunkte, wo die deutschen Fürsten in der
Verweigerung eines deutschen Throns an einen Ausländer keinen Einbruch
mehr in ihre Rechte sehen oder besorgen werden, während das erstarkte natio¬
nale Empfinden die Versorgung der heimatlichen Erde mit fremden Herrschern
als unerträglich verabscheut, bei einer derartigen Sachlage würde auch ein
Fürst Bismarck voraussichtlich daran gegangen fein, die Sache in unserm
Sinne zu regeln. Was noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren ein Huiötg,
uoli inoverö gewesen sein mag, braucht es heute nicht mehr zu sein, und wenn
sich heute unser einheitlich gewordnes und allmählich mächtig erstarrtes National¬
gefühl sein Recht zu verschaffen sucht, so wäre es bismarckischem Geiste zu¬
wider, wenn man ihm nicht zum Siege zu verhelfen versuchte. Wir Deutschen
haben ein Recht zu dem Wunsche: deutsche Lande und Fürstenthrone nicht
vom Auslande und von Fürsten in Besitz genommen zu sehen, die unserm
Empfinden fremd gegenüber stehn und die Erbfolge als eine Versorgung ihrer
Familie zu betrachten gewohnt sind.

Es fragt sich nun, wie ist diesem Wunsche zur Ausführung zu verhelfen?

Die verschiedenartigsten Vorschläge siud in gut gemeinter Absicht, aber
doch in vollkommner Verkennung der Sachlage gemacht worden. Zunächst
dürfte es weder dem Rechtsgefühle noch der Würde des Deutschen Reichs noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0466" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230898"/>
            <fw type="header" place="top"> Sachsen «Loburg und Gotha</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1587" prev="#ID_1586"> mehr zulassen: wir Deutschen können selber reiten und brauchen dazu keiner<lb/>
fremden Hilfe. Unser Land und unser Reich sind mehr als alle andern äußern<lb/>
und innern Gefahren ausgesetzt: deshalb soll vor allem unsre auswärtige<lb/>
Politik von Hofmachenschaften fern und dem verantwortlichen Reichskanzler<lb/>
allein überlassen bleiben. Wir wollen und wir brauchen keine &#x201E;Mäßiger,"<lb/>
weder mit England noch sonst mit jemand. Auch genügt uns zur Ver¬<lb/>
mittlung die englische Botschaft in Berlin, und die Thätigkeit der Königin<lb/>
Victoria wird vom deutschen Volke am liebsten in keiner Weise in Anspruch<lb/>
genommen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1588"> Dem gegenüber könnte man zwar einwenden, daß ja Fürst Bismarck<lb/>
trotz seiner bittern Erfahrungen mit der Kaiserin Augusta und den kleinen<lb/>
Höfen, niemals selber Anstalt gemacht hat, einen Zustand zu beendigen, der<lb/>
uns heute sast unerträglich erscheint. Wir können dies bedauern; bedenken<lb/>
wir aber, welche zahllosen und vordringlichern Arbeiten zur Festigung des<lb/>
Reichs dem Fürsten Bismarck verblieben, auch mit welch schonender Hand er<lb/>
den innern Ausbau des Reichs herstellen und überwachen mußte, wenn er<lb/>
g-e-rs xsrslliiws halten sollte, so versteht, wir wohl, daß er seinerzeit die<lb/>
Thronfolge in Coburg durch den Herzog von Edinburg durchaus willkommen<lb/>
hieß. Lagen doch hier die Verhältnisse auch insofern besonders günstig, als<lb/>
der Erbprinz versprach, ein gut deutsch gesinnter Fürst zu werden. Was nun<lb/>
aber Bismarck in jener Zeit &#x2014; es war besonders in den achtziger Jahren &#x2014;<lb/>
nicht zu thun für gelegen hielt, sollte das auf immer zu unterlassen sein?<lb/>
Ich meine, bismarckischem Geiste entspricht es eher, zu dem gegenteiligen<lb/>
Schluß zu gelangen. An einem Zeitpunkte, wo die deutschen Fürsten in der<lb/>
Verweigerung eines deutschen Throns an einen Ausländer keinen Einbruch<lb/>
mehr in ihre Rechte sehen oder besorgen werden, während das erstarkte natio¬<lb/>
nale Empfinden die Versorgung der heimatlichen Erde mit fremden Herrschern<lb/>
als unerträglich verabscheut, bei einer derartigen Sachlage würde auch ein<lb/>
Fürst Bismarck voraussichtlich daran gegangen fein, die Sache in unserm<lb/>
Sinne zu regeln. Was noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren ein Huiötg,<lb/>
uoli inoverö gewesen sein mag, braucht es heute nicht mehr zu sein, und wenn<lb/>
sich heute unser einheitlich gewordnes und allmählich mächtig erstarrtes National¬<lb/>
gefühl sein Recht zu verschaffen sucht, so wäre es bismarckischem Geiste zu¬<lb/>
wider, wenn man ihm nicht zum Siege zu verhelfen versuchte. Wir Deutschen<lb/>
haben ein Recht zu dem Wunsche: deutsche Lande und Fürstenthrone nicht<lb/>
vom Auslande und von Fürsten in Besitz genommen zu sehen, die unserm<lb/>
Empfinden fremd gegenüber stehn und die Erbfolge als eine Versorgung ihrer<lb/>
Familie zu betrachten gewohnt sind.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1589"> Es fragt sich nun, wie ist diesem Wunsche zur Ausführung zu verhelfen?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1590" next="#ID_1591"> Die verschiedenartigsten Vorschläge siud in gut gemeinter Absicht, aber<lb/>
doch in vollkommner Verkennung der Sachlage gemacht worden. Zunächst<lb/>
dürfte es weder dem Rechtsgefühle noch der Würde des Deutschen Reichs noch</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0466] Sachsen «Loburg und Gotha mehr zulassen: wir Deutschen können selber reiten und brauchen dazu keiner fremden Hilfe. Unser Land und unser Reich sind mehr als alle andern äußern und innern Gefahren ausgesetzt: deshalb soll vor allem unsre auswärtige Politik von Hofmachenschaften fern und dem verantwortlichen Reichskanzler allein überlassen bleiben. Wir wollen und wir brauchen keine „Mäßiger," weder mit England noch sonst mit jemand. Auch genügt uns zur Ver¬ mittlung die englische Botschaft in Berlin, und die Thätigkeit der Königin Victoria wird vom deutschen Volke am liebsten in keiner Weise in Anspruch genommen. Dem gegenüber könnte man zwar einwenden, daß ja Fürst Bismarck trotz seiner bittern Erfahrungen mit der Kaiserin Augusta und den kleinen Höfen, niemals selber Anstalt gemacht hat, einen Zustand zu beendigen, der uns heute sast unerträglich erscheint. Wir können dies bedauern; bedenken wir aber, welche zahllosen und vordringlichern Arbeiten zur Festigung des Reichs dem Fürsten Bismarck verblieben, auch mit welch schonender Hand er den innern Ausbau des Reichs herstellen und überwachen mußte, wenn er g-e-rs xsrslliiws halten sollte, so versteht, wir wohl, daß er seinerzeit die Thronfolge in Coburg durch den Herzog von Edinburg durchaus willkommen hieß. Lagen doch hier die Verhältnisse auch insofern besonders günstig, als der Erbprinz versprach, ein gut deutsch gesinnter Fürst zu werden. Was nun aber Bismarck in jener Zeit — es war besonders in den achtziger Jahren — nicht zu thun für gelegen hielt, sollte das auf immer zu unterlassen sein? Ich meine, bismarckischem Geiste entspricht es eher, zu dem gegenteiligen Schluß zu gelangen. An einem Zeitpunkte, wo die deutschen Fürsten in der Verweigerung eines deutschen Throns an einen Ausländer keinen Einbruch mehr in ihre Rechte sehen oder besorgen werden, während das erstarkte natio¬ nale Empfinden die Versorgung der heimatlichen Erde mit fremden Herrschern als unerträglich verabscheut, bei einer derartigen Sachlage würde auch ein Fürst Bismarck voraussichtlich daran gegangen fein, die Sache in unserm Sinne zu regeln. Was noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren ein Huiötg, uoli inoverö gewesen sein mag, braucht es heute nicht mehr zu sein, und wenn sich heute unser einheitlich gewordnes und allmählich mächtig erstarrtes National¬ gefühl sein Recht zu verschaffen sucht, so wäre es bismarckischem Geiste zu¬ wider, wenn man ihm nicht zum Siege zu verhelfen versuchte. Wir Deutschen haben ein Recht zu dem Wunsche: deutsche Lande und Fürstenthrone nicht vom Auslande und von Fürsten in Besitz genommen zu sehen, die unserm Empfinden fremd gegenüber stehn und die Erbfolge als eine Versorgung ihrer Familie zu betrachten gewohnt sind. Es fragt sich nun, wie ist diesem Wunsche zur Ausführung zu verhelfen? Die verschiedenartigsten Vorschläge siud in gut gemeinter Absicht, aber doch in vollkommner Verkennung der Sachlage gemacht worden. Zunächst dürfte es weder dem Rechtsgefühle noch der Würde des Deutschen Reichs noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/466
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/466>, abgerufen am 20.10.2024.