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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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vom litterarischen Jung-Elsaß

dieser Schwank wurde natürlich ungemein von den Straßbnrgern bejubelt. Der
Jubel steckte die Presse an, und statt mit einem gelassen lächelnden "Na ja"
über den dreiaktigen Ulk zu berichten, vergriffen sich selbst ernste Blätter wie
die "Straßburger Post" so gründlich in der Tonart, daß sie in spaltenlangem
Aufsatz das "prächtige Volksstück" rühmten. Daraufhin wurde natürlich anch
die Behörde in die künstliche "Bewegung für Mundartpoesie," die da über
Nacht aufgeschossen war, hineingezogen: der Statthalter, nebst Frau Gemahlin,
besuchte die Vorstellung der Partikularisten, ließ sich den Dichter, Direktor usw.
vorstellen und beschenkte zu allem Überfluß das Unternehmen mit dreitausend
Mark! Auch der Gemeinderat beschloß, ein etwaiges Defizit bis zweitausend
Mark zu decken. Zugleich entbrannte zwischen dem elsässischen Dichter Christian
Schmitt, der mit streng deutscher Gesinnung das Vereinsblatt des Alsabundes,
die "Erwinia," leitete, wegen einer scharfen Kritik, die er darin veröffentlicht
hatte, mit dieser Gruppe ein heftiger Kampf, der -- wie bezeichnend! -- sofort
von den demokratischen und klerikalen Blättern aufgenommen wurde, die ein¬
stimmig über den Bibliotheksbeamten Schmitt herfielen und ihm, teilweise in
unfeinen persönlichen Artikeln, auf das schärfste zusetzten, sodaß er jetzt die
Leitung der "Erwinia" niedergelegt hat. Jene eigentümliche Partikularistische
Kunst aber beherrscht unumstritten das Feld und wird ohne Zweifel noch eine
ganze Weile auf dem Platz bleibe".

Und nun? Was dürfen wir aus alledem für unser Elsaß befürchten
oder erhoffen? Soll ich trotz alledem ganz offen sein: ich erhoffe, allerdings
mittelbar, von dieser sonderbaren Bewegung weit eher Vorteile, als daß ich
von ihr Nachteile befürchte. Vor allen Dingen ist eins mit Freuden zu be¬
grüßen: es ist doch wieder einmal Leben im toten, mürrischen, verdrossenen
Elsaß! Sodann liegt ja freilich die Gefahr nahe, daß der Sinn für hohe und
ernste, für wahre Kunst durch diese Halb- und Scheinkunst verdorben werden
könnte, falls sich die Herren nicht vertiefen und entwickeln, woran ich noch
nicht glaube. Aber es ist mit dergleichen Moden gemeinhin so: die leicht¬
fertigen Elemente werden, gestachelt vom Erfolge, immer seichter und suchen
sich immer mehr in Effekten und Späßen zu überbieten. Sie "schreiben sich
aus," wie man zu sagen pflegt; ebenso könnte man vom Publikum sagen, es
lache sich doch wohl endlich aus und -- kommt endlich an einen Scheideweg.
Die ernstern Leute werden zu höherer Kunst übergehn, die andern werden ge¬
langweilt zur Bierbank oder zu einer andern Mode zurückkehren. Dies wird
sicherlich auch der Entwicklungsweg dieses Übergangstheaters, seines Publikums
Fritz Lienhard und seiner Dichter sein.




vom litterarischen Jung-Elsaß

dieser Schwank wurde natürlich ungemein von den Straßbnrgern bejubelt. Der
Jubel steckte die Presse an, und statt mit einem gelassen lächelnden „Na ja"
über den dreiaktigen Ulk zu berichten, vergriffen sich selbst ernste Blätter wie
die „Straßburger Post" so gründlich in der Tonart, daß sie in spaltenlangem
Aufsatz das „prächtige Volksstück" rühmten. Daraufhin wurde natürlich anch
die Behörde in die künstliche „Bewegung für Mundartpoesie," die da über
Nacht aufgeschossen war, hineingezogen: der Statthalter, nebst Frau Gemahlin,
besuchte die Vorstellung der Partikularisten, ließ sich den Dichter, Direktor usw.
vorstellen und beschenkte zu allem Überfluß das Unternehmen mit dreitausend
Mark! Auch der Gemeinderat beschloß, ein etwaiges Defizit bis zweitausend
Mark zu decken. Zugleich entbrannte zwischen dem elsässischen Dichter Christian
Schmitt, der mit streng deutscher Gesinnung das Vereinsblatt des Alsabundes,
die „Erwinia," leitete, wegen einer scharfen Kritik, die er darin veröffentlicht
hatte, mit dieser Gruppe ein heftiger Kampf, der — wie bezeichnend! — sofort
von den demokratischen und klerikalen Blättern aufgenommen wurde, die ein¬
stimmig über den Bibliotheksbeamten Schmitt herfielen und ihm, teilweise in
unfeinen persönlichen Artikeln, auf das schärfste zusetzten, sodaß er jetzt die
Leitung der „Erwinia" niedergelegt hat. Jene eigentümliche Partikularistische
Kunst aber beherrscht unumstritten das Feld und wird ohne Zweifel noch eine
ganze Weile auf dem Platz bleibe».

Und nun? Was dürfen wir aus alledem für unser Elsaß befürchten
oder erhoffen? Soll ich trotz alledem ganz offen sein: ich erhoffe, allerdings
mittelbar, von dieser sonderbaren Bewegung weit eher Vorteile, als daß ich
von ihr Nachteile befürchte. Vor allen Dingen ist eins mit Freuden zu be¬
grüßen: es ist doch wieder einmal Leben im toten, mürrischen, verdrossenen
Elsaß! Sodann liegt ja freilich die Gefahr nahe, daß der Sinn für hohe und
ernste, für wahre Kunst durch diese Halb- und Scheinkunst verdorben werden
könnte, falls sich die Herren nicht vertiefen und entwickeln, woran ich noch
nicht glaube. Aber es ist mit dergleichen Moden gemeinhin so: die leicht¬
fertigen Elemente werden, gestachelt vom Erfolge, immer seichter und suchen
sich immer mehr in Effekten und Späßen zu überbieten. Sie „schreiben sich
aus," wie man zu sagen pflegt; ebenso könnte man vom Publikum sagen, es
lache sich doch wohl endlich aus und — kommt endlich an einen Scheideweg.
Die ernstern Leute werden zu höherer Kunst übergehn, die andern werden ge¬
langweilt zur Bierbank oder zu einer andern Mode zurückkehren. Dies wird
sicherlich auch der Entwicklungsweg dieses Übergangstheaters, seines Publikums
Fritz Lienhard und seiner Dichter sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/444>, abgerufen am 28.09.2024.